Bauwelt

Die große Schlacht wird im Bestand geschlagen

Friederike Meyer im Gespräch mit Eike Roswag-Klinge über die Fragestellung des Bauweltkongresses 2015: Zukunft Energiewende – Wie radikal müssen sich Architektur und Städtebau ändern?

Text: Meyer, Friederike, Berlin

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    Forschen im Rahmen von [H]-House: Innenwandaufbauten aus Naturbaustoffen werden für den Emissionstest vorbereitet
    Foto: Roswag Architekten

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    Friederike Meyer, Eike Roswag
    Foto: Andreas Pohl

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    Friederike Meyer, Eike Roswag

    Foto: Andreas Pohl

Die große Schlacht wird im Bestand geschlagen

Friederike Meyer im Gespräch mit Eike Roswag-Klinge über die Fragestellung des Bauweltkongresses 2015: Zukunft Energiewende – Wie radikal müssen sich Architektur und Städtebau ändern?

Text: Meyer, Friederike, Berlin

Herr Roswag-Klinge, im Zusammenhang mit der Wohnungsnot in Deutschland fordern manche eine Aussetzung der Energieeinsparverordnung EnEV 2016. Was halten Sie davon?
Es gibt überhaupt keinen Grund, ein Gebäude schlechter oder mit ein paar Zentimeter weniger Dämmung zu bauen.
Welche Rolle spielt die EnEV, wenn es darum geht, dem Klimawandel zu begegnen?
Das Klimaziel besagt, dass ab 2020 alle Neubauten in Deutschland nahezu klimaneutral sein werden und ab 2050 auch Bestandsgebäude. Die EnEV hat in Deutschland geholfen, die energetischen Standards zu verbessern. Aber mit dem Berechnungsmodell allein werden wir die Klimaziele nicht erreichen.
Was braucht es noch?
Bis in die Ministerien hinein verschließen wir die Augen vor der Wirklichkeit und glauben, dass uns die Technik hilft, die zuvor berechneten Energieverbrauchswerte einzuhalten. Das Gegenteil ist der Fall: Je komplexer die Gebäude werden, desto weniger erreichen sie ihre Ziele. Je ausgefeilter die Technik, desto größer das Fehlerpotenzial. Für all die Bürogebäude, Museen und Wohngebäude haben wir gar nicht die entsprechenden Leute, die mit der Technik umgehen können. Wenn die berechneten Werte nicht erreicht werden, sofern das überhaupt jemand über einen langen Zeitraum hinweg überprüft, schiebt man es auf die Nutzer. Oder agiert nach dem Motto: Wenn es die Technik nicht löst, dann packen wir eben noch mehr Technik drauf.
Was ist die Alternative?
Spätestens seit der Ölkrise in den siebziger Jahren befassen wir uns mit Energiefragen beim Bauen. Das ökologische Bauen in den achtziger Jahren war ein Nischensegment für Ökos und Hippies, das belächelt wurde, während man Steuerungsinstrumente und Berechnungsmodelle entwickelte. Heute müssen wir feststellen: Wir haben beim Bauen vierzig Jahre verloren, weil wir uns nur auf die Technik konzentriert haben. Wir haben mit den im Büro entworfenen Bauten die Erfahrung gemacht, dass sich die Ideen des Architekten Gernot Minke, der für seine Bücher und Forschungen zum Bauen mit Lehm und Stroh bekannt ist, bei heutigen Häusern gut anwenden lassen. Unsere Denkweise basiert auf der Konstruktion des Fachwerkhauses. Es gibt heute Naturbaustoffe, die wir zu hochdämmenden Wandaufbauten verarbeiten können, zum Beispiel Holzfasern und Lehm. Da brauchen wir keine Lüftungsanlage und es gibt ein gesundes Raum-klima. Wir müssen Neubauten mit nachwachsenden Rohstoffen bauen und Gebäude im Bestand auf höchste energetische Standards bringen.
Das klingt einfach und plausibel. Aber es muss auch in der breiten Masse Anwendung finden. Ein oft gehörtes Gegenargument sind die Kosten. Der Bauherr sagt dann, Naturbaustoffe sind teurer als Styropor und Beton.
Hier könnte der Gesetzgeber eine Förderung für Gebäude zum Beispiel ohne Lüftungsanlage festsetzen.  Wir haben das bei der Photovoltaik gesehen. Es vergingen keine zwanzig Jahre, dann war die Energiegewinnung auf dem Dach ein Massenprodukt.
Die Photovoltaik ist doch aber auch Hightech.
Es gibt immer zwei Seiten am Gebäude, den Bedarf, also den Verlust über die Hülle und Lüftung, und die Deckung dieses Bedarfs. Wenn ich die Technik kritisiere, dann die, bei der die Verluste technisch gesteuert werden. Bei der Photovoltaik geht es um Energiegewinnung. Außerdem ist die Photovoltaik nicht so komplex, als dass private Eigentümer sie nicht bedienen könnten.
Wo ist das Büro Ziegert Roswag Seiler ökologisches Vorbild?
Wir weisen mit unseren Bauten nach, dass eine Lowtech-Bauweise im gemäßigten Klima Deutschlands funktioniert. Zum Beispiel in der Torfremise in Schechen (Bauwelt 6.2015), ein historisches Gebäude, das mit einer Naturbauhülle ergänzt wurde und regenerativ betrieben wird. Oder das Werkstattgebäude der Artis GmbH in Berlin-Tempelhof. Wir brauchen dort keine Lüftungsanlage und keine komplexe, digitale MSR-Steuerungstechnik. Der Nutzer weiß in unseren Gebäuden, wenn er das Fenster oft offen hat, muss er mehr Holz in den Ofen tun. Wir haben in Wettbewerbsentwürfen Naturbaugebäude als Energieplusgebäude ohne großen Einsatz von Lüftungstechnik vorgeschlagen. Christof Ziegert hat die DIN-Norm im Lehmbau mitentwickelt. Wir messen in den von uns gebauten Häusern und weisen nach, dass Häuser ohne Lüftungsanlagen eine sehr gute stabile Raumluftfeuchte haben. Und wir forschen, derzeit im Rahmen des [H]-House.
Was bedeutet [H]-House?
[H]-House ist ein europäisches Forschungsvorhaben mit zwölf internationalen Partnern. Die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, BAM, ist beteiligt, dessen Wirtschaftspartner wir sind. Es geht um gesundes Innenraumklima. Wir erforschen, wie verschiedene Innenwandaufbauten aus Naturbaustoffen Feuchte adsorbieren, Klima steuern und Schadstoffe aufnehmen können.
Was wünschen Sie sich von der Politik?
Die große Schlacht wird im Bestand geschlagen. Das muss gefördert werden. Die Gesetzgebung sollte positiv und flexibel agieren und nicht rigide. Das Denken in den Ämtern ist sehr hierarchisch. Ich wünsche mir, dass zum Beispiel das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung zu einer dynamischen Behörde wird. Da gibt es gute Modelle in der Wirtschaft. Agiles Arbeiten mit flachen Hierarchien, wo man alle Ideen auf den Tisch kriegt.
Und was sollen die Architekten tun?
Ich wünsche mir, dass unsere Fachschaft sich mit den Themen auseinandersetzt, ohne nur ein Geschäftsmodell zu wittern. Unsere Aufgaben haben sich geändert. Früher haben Architekten einen schönen Entwurf gezeichnet und der Ingenieur hat die Technik geregelt – und manchmal halt den Entwurf versaut. Wir müssen das Problem früher lösen, indem wir gemeinsam klimaangepasste Gebäude konzipieren.
Was möchten Sie den deutschen Vertretern auf dem Klimagipfel in
Paris
mit auf den Weg geben?
Deutschland ist ein reiches Land. Wir können es uns leisten, Modelle zu entwickeln und diese mit anderen zu teilen – Open Source. Vielleicht sollten wir uns auf die Zeit besinnen, in der wir Deutschen als Ingenieure und Denker in der Welt anerkannt waren.
Die Fragestellung des Bauweltkongresses 2015 lautet: Wie radikal müssen sich Architektur und Städtebau ändern? Was ist Ihre Antwort?
Wir betrachten mit der Diskussion über Energiesparverordnung, Technikeinsatz und Baustoffe einen viel zu kleinen Teil des Kuchens. Wir leben und denken immer noch in der Konsumgesellschaft: Mehr ist besser, viel hilft viel. Ich finde, die Idee der Schweizer 2000-Watt-Gesellschaft gut: Jeder Mensch hat ein so genanntes CO2-Budget, mit dem er auskommen muss. Wer viel mit Auto oder Flugzeug unterwegs ist, muss halt auf weniger Quadratmeter wohnen, oder weniger Fleisch essen. Oder umgekehrt. Wir sollten einen hohen Wert darin sehen, angemessen mit den Ressourcen umzugehen. Der Sand wird knapp, Energie für Stahl wird knapp, Erze werden knapp. Bei Kupfer wird der Markt eng. Das Problem ist kein technisches oder wirtschaftliches, sondern ein gesellschaftlich ökologisches.

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