Das Schöne ist: Auf einmal sind wir Architekten wirklich wieder als Architekten gefragt
Die Architekten Kofink Schels haben mit den Vorarlberger Ingenieuren merz kley partner ein Hanfkalkhaus für eine junge Familie gebaut, für das sie sowohl auf Klebstoffe im Material als auch auf Zement in der Konstruktion verzichtet haben. Wir haben im Büro der Architekten in München über das Potenzial dieser Bauweise gesprochen.
Text: Klingbeil, Kirsten, Berlin
Das Schöne ist: Auf einmal sind wir Architekten wirklich wieder als Architekten gefragt
Die Architekten Kofink Schels haben mit den Vorarlberger Ingenieuren merz kley partner ein Hanfkalkhaus für eine junge Familie gebaut, für das sie sowohl auf Klebstoffe im Material als auch auf Zement in der Konstruktion verzichtet haben. Wir haben im Büro der Architekten in München über das Potenzial dieser Bauweise gesprochen.
Text: Klingbeil, Kirsten, Berlin
Gibt es in dieser kleinen Größe im Holzbau noch Herausforderungen, die Architekt und Bauingenieur gemeinsam lösen müssen?
Sebastian Kofink Kein Budget! Wir haben versucht, mit minimalen Raumgrößen ein Haus zu schaffen. Da sind wir als Architekten gefragt. Einerseits ist es ein Korsett, wenig Geld zur Verfügung zu haben, andererseits aber eine Freiheit.
Gordian Kley Kein Zement! Die Fundamentierung ist bei diesem Projekt von Anfang an eine besondere gewesen. Ein Tiny House bauen und am besten keinen Beton verwenden – da ist der Konstrukteur oder die Konstrukteurin gefragt.
Sebastian Kofink Und kein Leimholz, keine Stahlbauteile! Da braucht es schon jemanden wie euch, dass man eine „einfache“ Holzkonstruktion entwickelt, die Sinn macht.
Das Tragwerk ähnelt dem eines Fachwerkhauses. Was wurde anders gemacht?
Sebastian Kofink Wir nennen es Neo-Fachwerk, da es einem in die heutige Zeit übertragenen Fachwerkbau entspricht. Mit CNC-Verfahren ist man wieder in der Lage, einfache, zimmermannsmäßige Verbindungen herzustellen, weil das teure Handwerk entfällt.
Gordian Kley Das Haus hat ein Innenmaß von etwa sechseinhalb Metern, da ist man für eine stützenfreie Balkenlage nicht mehr im normalen Schnittholzbereich. Schnittholz, das aus der Gattersäge kommt und begrenztes Schwindvolumen hat, hört bei einer Höhe von 24 Zentimeter auf. Damit kommt man nicht ohne Weiteres über sechseinhalb Meter.
Sebastian Kofink Es war schnell klar, dass sich die Konstruktion an kurzen Spannweiten orientieren muss. Deshalb gibt es in der Mitte eine tragende Zone mit vier Stützen, auf denen die Hauptträger liegen. So hat sich der Grundriss nach und nach aus der Konstruktion geformt.
Wie viel Gestaltungsfreiheit bleibt Ihnen als Planer am Ende?
Sebastian Kofink Sehr viel, weil es ungeheuer schwer ist, an diesen Punkt zu kommen.
Gordian Kley Am Ende ist ein Haus entstanden, bei dem man sich fragen könnte, ob es einen Tragwerksplaner gebraucht hätte. Aber so ist es oft: Alles sieht selbstverständlich aus – nur, dass es eben das Ergebnis von sehr viel Arbeit ist. Statt nach Gestaltungsfreiheit muss eher gefragt werden: Wie kann man die Gestalt und die Konstruktion in Einklang bringen? Die vertikale Lastabtragung haben wir außen und im Kern. Wie steifen wir das Haus aus? In der Regel werden hierfür Kanthölzer und OSB-Platten genommen, letztere fielen wegen des Bindemittels raus. So sind die sichtbaren, diagonalen Streben entstanden. Im Handwerk wie früher, ein Stück weit Fachwerkhaus – und die diagonalen Brettschalungen wurde einfach aufgenagelt und bleibt sichtbar!
Gab es Vorbehalte in der Umsetzung?
Sebastian Kofink Als wir nach Firmen gesucht haben, sind wir nicht auf Selbstverständlichkeit gestoßen – gerade wegen des Verzichts auf verleimtes Holz und der diffusionsoffenen Bauweise mit Hanfkalk. Durch Zufall haben wir eine Firma gefunden, die beides konnte.
Wieso Hanfkalk zur Ausfachung?
Sebastian Kofink Der Vorteil von Hanfkalk ist, dass er dämmt. Wir sind mit diesen Wänden besser, als die Norm vorschreibt. Das schafft Lehm zum Beispiel nicht ohne zusätzliche Dämmung. Hanf ist zudem schnell nachwachsend, kann jährlich geerntet werden, und die Hanfschäben sind mit dem Kalk, der sie bindet, sehr stabil. Ein weiterer Vorteil ist, dass wir das Haus anschließend verputzen konnten, weil es eine durchgehende Hanfkalkschicht gibt und man kein Holzteil überputzen muss.
Sebastian Kofink Der Vorteil von Hanfkalk ist, dass er dämmt. Wir sind mit diesen Wänden besser, als die Norm vorschreibt. Das schafft Lehm zum Beispiel nicht ohne zusätzliche Dämmung. Hanf ist zudem schnell nachwachsend, kann jährlich geerntet werden, und die Hanfschäben sind mit dem Kalk, der sie bindet, sehr stabil. Ein weiterer Vorteil ist, dass wir das Haus anschließend verputzen konnten, weil es eine durchgehende Hanfkalkschicht gibt und man kein Holzteil überputzen muss.
Durch den Kalk ist die CO2-Bilanz erstmal schlecht, aber der Hanf gleicht es aus. Und es ist ein Baustoff, mit dem jede Holzkonstruktion gefüllt werden kann. Das heißt, die Bauweise, so neu sie zu sein scheint, ist auf jede standardisierte Holzständerfertigung anzuwenden.
Gordian Kley Im Grunde genommen ist das keine Weltneuheit. Wir unternehmen im Moment große Anstrengungen, um uns auf das zu besinnen, was die Altvorderen aus anderen Gründen angetrieben hat. Sie hatten geringere Ressourcen, andere Verfügbarkeiten, Material- und Personalkosten standen in einem anderen Verhältnis.
Lässt sich Hanfkalk auch bei größeren Gebäuden einsetzen?
Sebastian Kofink Die Schwierigkeit in Deutschland ist die Zulassung. Aktuell bräuchte man eine Zustimmung im Einzelfall. Es gibt aber Projekte –zum Beispiel in Frankreich – da haben Kollegen von uns schon mehrgeschossigen sozialen Wohnungsbau mitten in der Pariser Innenstadt mit Hanfkalkwänden gebaut.
Zwei Details fallen bei dem Haus außerdem auf: zum einen die Fundamente ...
Gordian Kley Das Thema Fundament wird gern überbewertet. Wenn man das obere Rhonetal runter ins Wallis fährt, dann sieht man viele hunderte Jahre alte Häuser, die auf einzelnen Steinen, fast schon im labilen Gleichgewicht, stehen. Wir denken heutzutage bei Fundament sofort an Beton, und wenn wir an Beton denken, dann Stahlbeton. Aber es Bedarf immer einer Prüfung. Bei Fundamenten mit geringer Beanspruchung tut es auch ein Stein! Die kurzen Spannweiten des Hauses führen dazu, dass es relativ kleine Beanspruchungen an den Stellen gibt, wo man ins Erdreich muss, um die Lasten abzutragen.
Sebastian Kofink Eine Gewindestange verbindet die Steine, auf denen der Holzbau aufgesetzt wurde. Der Aufbau war sehr einfach, da man durch die Auflageplatten auf den Millimeter genau sein konnte, um eine horizontale Ebene für den Holzbau zu schaffen.
Gordian Kley Die Gewindestange war erforderlich, damit wir das Eigengewicht des Fundaments für die Aussteifung aktivieren konnten. Das Haus ist relativ leicht und braucht ein Gegengewicht, dass es auf den Boden bleibt. Um das Gesamtgewicht aus zwei, drei Gesteinsblöcken nutzen zu können, haben wir eine Gewindestange durchgesteckt und eine Unterlegscheibe daruntergelegt. Alles keine Raketentechnologie, sondern einfachste Überlegungen.
... zum anderen die Dachkonstruktion: ein aufgeständertes Kaltdach.
Gordian Kley Die Grundidee ist ein Dach wie ein Schirm. Früher hat man nichts anderes als kalte Dächer mit großen Dachüberständen gebaut.
Sebastian Kofink Konstruktiv sind wir für die Pfetten bei einem Sägezahnträger gelandet. Mit ihm lässt sich der hohe Querschnitt, den man braucht, um die Spannweite zu überspannen, nicht übers Leimen, sondern über eine Verzahnung im Träger erreichen.
Gordian Kley Die Leistungsfähigkeit von zwei auf- und miteinander verzahnten oder verdübelten Trägern ist nicht so groß, wie von einem Brettschichtholzträger, der am Stück verklebt ist. Aber durch moderne Abbundanlagen ist es ökonomisch wieder möglich zwei Balken nicht nur lose aufeinanderzulegen, sondern kraftschlüssig miteinander zu verbinden. Und obendrauf ein selbsttragendes Blechdach: Das ist das einfachste Dach, das man sich nur vorstellen kann.
Kommen alle Materialien aus der Region?
Sebastian Kofink Es könnte ein komplett aus regionalen Materialien gebautes Haus sein, ist es aber nicht. Es ist ein Prototyp – und wir waren auf den Hanfkalkbauer mit Zimmerei angewiesen, der aus dem Allgäu kommt. Der vorgefertigte Holzbau wurde von dort in den bayerischen Wald gebracht und aufgestellt. Die Fundamente sollten aus dem nächstgelegenen Steinbruch kommen, 17 Kilometer entfernt. Auf der Schlussrechnung haben wir dann entdeckt, dass die Steine aus Polen kamen. Die Steinmetze hauen die Steine meisten nicht selbst, sondern bestellen und bearbeiten sie. Das ist Teil des Lernprozesses.
Lässt sich mit dieser Art der Konstruktion auch im größeren Maßstab planen?
Gordian Kley Wenn wir die Spannweiten begrenzt halten, dann könnten wir dieses Grundprinzip der Konstruktion – womit ich das Gesamte meine: Außenwand, Decke, Dach, Boden, Fundament, Dämmung – auch für eine dreigeschossige Wohnanlage, die fünfzig Meter lang ist, bauen. Wichtig werden dann Themen wie der Brandschutz und der Schallschutz.
Sebastian Kofink Das Minimieren der Spannweiten hat dazu geführt, dass wir eine sehr wirtschaftliche Konstruktion aus massivem Schnittholz umsetzen konnten. Wenn man es skaliert und in größeren Dimensionen in der Logik des traditionellen Holzbaus weiter planen will, braucht man ein angepasstes Tragsystem zum Beispiel mit mehr Stützen und weiteren Trägern.
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