Bauwelt

Studentendorf Adlershof


Die Zusammenarbeiter bauen ein neues Studentenwohnheim. Auf den ersten Blick: der Versuch, es im Inneren etwas anders zu machen. Auf den zweiten Blick: die Übertragung einer Berliner Architektur-Ikone in die akademische Gegenwart


Text: Ballhausen, Nils, Berlin


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    Studentendorf Adlershof im September 2014
    Luftbild: Adlershof Projekt GmbH/D. Laubner

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    Studentendorf Adlershof im September 2014

    Luftbild: Adlershof Projekt GmbH/D. Laubner

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    Blick von Nordosten in das Studentendorf; auf dem links anschließenden Baufeld werden bald Miet-
    und Eigentumswohnungen entstehen.
    Foto: Mila Hacke

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    Blick von Nordosten in das Studentendorf; auf dem links anschließenden Baufeld werden bald Miet-
    und Eigentumswohnungen entstehen.

    Foto: Mila Hacke

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    Die versetzte Anordnung der Häuser öffnet die Anlage zur Straße. Je zwei Häuser teilen sich ein offenes Treppenhaus
    Foto: Mila Hacke

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    Die versetzte Anordnung der Häuser öffnet die Anlage zur Straße. Je zwei Häuser teilen sich ein offenes Treppenhaus

    Foto: Mila Hacke

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    Die großzügige Wohnküche in einer „Wohnlandschaft“. Jedem Haus ist eine Leitfarbe zugeordnet.
    Foto: Mila Hacke

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    Die großzügige Wohnküche in einer „Wohnlandschaft“. Jedem Haus ist eine Leitfarbe zugeordnet.

    Foto: Mila Hacke

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    Hof mit Holzplateau
    Foto: Mila Hacke

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    Hof mit Holzplateau

    Foto: Mila Hacke

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    Blick auf den „Dorfplatz“ mit den Vermietungsbüros, im Erdgeschoss von Haus 9 befindet sich die Kita
    Foto: Mila Hacke

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    Blick auf den „Dorfplatz“ mit den Vermietungsbüros, im Erdgeschoss von Haus 9 befindet sich die Kita

    Foto: Mila Hacke

Seit über zwanzig Jahren wird der traditionsreiche Wissenschaftsstandort im Berliner Ortsteil Adlershof ausgebaut. Mit der Verlegung der naturwissenschaftlichen Fächer der Humboldt-Universität aus der Stadtmitte in den Südosten entstanden um die Jahrtausendwende zahlreiche Forschungs- und Institutsgebäude. Zwar sind im gesamten Bereich teils bemerkenswerte Bauten namhafter Architekturbüros entstanden, doch stehen sie weitgehend monadisch und ohne Zusammenhang da. Der Wissenschaftspark ist noch lange keine Stadt. Deswegen entwickelt die landeseigene Adlershof Projekt GmbH seit einigen Jahren nördlich des Hightech-Standorts das „Wohnen am Campus“; geplant sind rund eintausend Wohneinheiten.
Das knapp 11.000 Quadratmeter große Baufeld für studentisches Wohnen ist im Herbst letzten Jahres fertiggestellt und bezogen worden. 386 Wohnplätze, verteilt auf zehn Häuser, sind im Studentendorf Adlershof entstanden. Der Name verweist auf das Studentendorf Schlachtensee, das als Vorbild diente. In einer Art Neuauflage knüpften die Initiatoren an jenes Ensemble im Berliner Südwesten an, das Ende der 1950er Jahre von den Architekten Fehling, Gogel und Pfankuch errichtet wurde. Nach Jahren der Verwahrlosung hatte sich in der Bewohnerschaft ein Freundeskreis gebildet, der sich erfolgreich für den Erhalt der denkmalgeschützten Anlage einsetzte und das Dorf im Jahr 2000 vom Land Berlin erwerben konnte (Bauwelt 35.2012). Die 2002 gegründete „Genossenschaft Studentendorf Schlachtensee“ interessierte sich für den Neubau am Standort Adlershof und gründete 2012 zusammen mit einer Schweizer Pensionskasse und dem Architekten Christian Schöningh die „Studentendorf Adlershof GmbH“, die als Bauherr das Pendant realisierte.
Die städtebauliche Figur ist feinkörniger als die umliegenden Großformen und vermittelt zum nördlich anschließenden Landschaftspark. Die in Einzelhäuser geliederte Anlage soll den Studierenden das „Dorf“ als alternative Form des Zusammenlebens bieten. Mit der Vereinzelung müsse man ja nicht bereits im Studium beginnen, sagt Andreas Barz, Vorstand der Genossenschaft Studentendorf Schlachtensee. Gewicht bekommt diese Aussage, weil sie nicht auf einer Marketing-Idee beruht, sondern hinterlegt ist mit Erfahrungen aus dem alltäglichen Betrieb von 24 Häusern vergleichbarer Größe in Schlachtensee. Was dort in den letzten Jahren nicht mehr gut funktioniert hat, etwa eine 16er-WG mit Miniküche und zwei Bädern, wurde bzw. wird noch bis 2024 nach heutigen Bedürfnissen umgebaut (der denkmal- und mieterverträgliche Schlüssel liegt jetzt bei 2,5 Bewohnern je WC). Schlachtensee war also nicht nur Vorbild, sondern auch ein Testfeld für Adlershof.
Aber welcher Student interessiert sich für solche Episoden der Berliner Baugeschichte? Heutige Bewohner erwarten für ihre All-in-Miete von 390 Euro vor allem ein eigenes Bad. Wer darüber hinaus eine eigene Kochgelegenheit benötigt, kann sich eines der 96 Apartments in einem der beiden Viergeschosser an der Abram-Joffe-Straße mieten (420 Euro). Diese etwas urbaneren Bauteile des Dorfs nehmen im Erdgeschoss die Gemeinschafts- und Sonderräume auf: Verwaltung, Poststelle, Waschsalon, zwei Gästeapartments, Lernraum, Fitnessraum. Der gläserne Clubraum, der sich am Haus 10 zum „Dorfplatz“ orientiert, soll bald bespielt werden. Er wird von Studierenden betrieben, denen damit ein Teil der Verantwortung für die Stimmung im Dorf übertragen wird. Weitere Analogie zu Schlachtensee: eine Kindertagesstätte in Haus 9, weniger von den Bewohnern beansprucht, sondern eher ein Instrument der Öffnung nach außen.
Die Mehrzahl der Wohnplätze ist in den übrigen acht Häusern als „Wohnlandschaft“ angelegt, bei der jeweils zehn bis dreizehn individuelle Räume um einen rund 100 Quadratmeter großen Gemeinschaftsraum gruppiert sind, in dem gekocht, gegessen und gesessen wird. Diese Wohnlandschaften sind ihrerseits alle zu einem grünen Hof ausgerichtet, so dass jeder sehen kann, was gerade in den anderen Häusern los ist. Im Vorfeld der Planung hatten sich Architekten und Bauherr das preisgekrönte Tietgen-Kolleg in Kopenhagen angesehen, eine kreisrunde Großform mit zentralem Gemeinschaftsgarten (Architekten Lundgaard & Tranberg, 2006). Die Idee des konzentrierten Freiraums ist in Adlershof noch als Spur vorhanden, aber durch das Umformen in Quader und das Aufteilen in zwei Bereiche deutlich abgeschwächt. Die Grünflächen sollen zwar von allen Bewohnern genutzt werden, wirken aber wegen der gleichförmigen Anordnung der Baukörper eher wie Zwischenräume. Die höhere Dichte hat ihren Preis. Vieles dürfte sich im Sommer unmittelbar vor den etwas privilegierten Wohnlandschaften im Erdgeschoss abspielen, obwohl auch hier, ganz im Sinne des Gesamtkonzepts, keine individuellen Freiflächen vorgesehen sind.
Gegen die Vereinzelung
Für den Betreiber des Studentendorfs ist es wichtig, dass die Betriebs-und Unterhaltskosten kalkulierbar bleiben, unabhängig vom Mieterverhalten; auch dies eine Erkenntnis aus Schlachtensee. Der Bau in Adlershof erfüllt den Passivhausstandard (KfW 40). Die Innenausstattung ist robust, aber freundlich: Estrichboden, Sichtbetondecken mit punktuellem Farbeinsatz, lediglich die Einbaumöbel wirken etwas zu abwaschbar. Kennt man die innere Holzvertäfelung aus den „Buden“ in Schlachtensee, so findet man in Adlershof eine schöne Referenz an das Vorbild: Die außen mit Lärchenholz verkleideten Erker kamen als vorgefertigte Elemente auf die Baustelle und gaben dem Rohbau zügig Wetterschutz (Gesamtbauzeit: 12 Monate, KG 200–700: 22 Mio. Euro). Die Verschalung erhielt einen Vergrauungsanstrich in drei unterschiedlichen Tönen, und im Zusammenspiel mit den vielfarbigen Jalousien ergibt sich ein belebtes Fassadenspiel, das eine gewisse Individualität ausdrückt.
Das neue Studentendorf ist für sich betrach-tet nicht weniger als eine moderat-moderne und angenehm bodenständige Architektur. Die zahlreichen historischen, gesellschaftlichen und formalen Bezüge zu seinem ideellen Ausgangspunkt im Westen machen jede weitergehende Beschäftigung so reizvoll. Es gibt wohl nur wenige Bauten, die so integer als „Wiederaufführung“ durchgehen. Unweigerlich wird man zu Vergleichen zwischen der gegenwärtigen Studentenschaft und derjenigen der bundesrepublikanischen Nachkriegsjahre verführt, die mit leichter und offener Architektur zu Austausch und demokratischem Handeln stimuliert werden sollte. Solche polit-pädagogischen Ansätze sind heute obsolet; nicht jedoch das immer wieder neu auszubalancierende Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft, zwischen Selbstbestimmung und Mehrheitsprinzip. Es braucht Orte, an denen solche Wohnerfahrungen gemacht werden können. Mit der Neuinterpretation wird ein Weg aufgezeigt, wie man der Isolation entgehen kann, in die eine als pure Effizienz missverstandene Moderne führen muss.



Fakten
Architekten Die Zusammenarbeiter Gesellschaft von Architekten mbH, Berlin
Adresse Abram-Joffe-Straße, 12489 Berlin


aus Bauwelt 14.2015
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