Bauwelt

Metropol Parasol: Die falsche Avantgarde



Text: Mendoza, Carlos Mármol, Sevilla


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„Metropol Parasol“ war und ist in Sevilla nicht unumstritten. Ein Projekt dieser Größenordnung wird zwangsläufig zum Spielball der Politik. Unser Autor zeichnet die gröbsten Verfehlungen nach und fragt: Ist das Bauwerk schon jetzt nicht mehr zeitgemäß?
Die Errichtung des „Metropol Parasol“ auf der Plaza de la Encarnación, einem der beiden großen freien Räume im Zentrum von Sevilla, bestätigt die These, dass ein Machthaber mit dem Plan, ein historisches Problem (den Umzug eines Marktes) zu lösen, die Zukunft einer ganzen Stadt belasten kann, wenn er dabei die (manch einem durchaus berechtigt, anderen aber frevelhaft erscheinende) Absicht verfolgt, seinen Nachruhm zu sichern. Das von Jürgen Mayer H. entworfene Bauwerk, das der derzeitige Bürgermeister von Sevilla, Alfredo Sánchez Monteseirín (PSOE), zu seiner persönlichen politischen Standarte erhoben hat, hat in der Stadt fast fünf Jahre lang eine erhitzte Debatte über Ästhetik und urbane Identität hervorgerufen, bei der zwei Haltungen aufeinanderprallten. Zum einen: Sevilla sei bereits eine Stadt mit Charakter und brauche daher keine Ikonen dieser Art, vor allem nicht mitten in ihrem historischen Herzen. Zum anderen: der Plan, die Stadt, vielleicht zur falschen Zeit und mit einem riesigen Kostenaufwand, in die Liste der Städte einzureihen, die ein architektonisches Artefakt haben, das ihnen ein ganz neues Image verleihen kann. Am Ende konnte sich weder die eine noch die andere Ansicht durchsetzen. Was war der Grund? Dass „Metropol Parasol“ auf der Plaza de la Encarnación, unabhängig von seiner Ästhetik und seiner Einbettung in das urbane Raster einer säkularen Stadt, von den Bürgern mehrheitlich als ein Bauwerk wahrgenommen wird, das zwar ein Entwurf für die Umnutzung eines öffentlichen Raums sein soll, dass diese Veränderung aber ohne Rücksicht auf die Bürger und vor allem mit einem unverantwortlich hohen Kostenaufwand durchgeführt wird.
Privatisierter öffentlicher Raum
Die Ästhetik des Bauwerks findet vor Ort sowohl Bewunderer als auch Kritiker. Das ist ganz natürlich in einer Stadt, in der die Vorstellungen von der eigenen Identität ständig Gegenstand von Auseinandersetzungen sind. Wirklich fundamental sind hier die Fakten: „Metropol Parasol“ ist weniger ein öffentlicher Platz als ein Gewerbekomplex unter der Leitung eines privaten Unternehmens (Sacyr), das dieses Bauwerk für die Dauer von vierzig Jahren gewinnorientiert betreiben wird, das einen historischen öffentlichen Raum privatisiert und einen wesentlichen klassischen Bestandteil des städtebaulichen Konzeptes (die griechische Agora) zu einem gewerblichen Raum macht. Und dies noch zu einem extrem hohen Preis (mindestens 123 Millionen Euro), dessen Finanzierung vollständig aus Mitteln stammt, die Sevilla für gesamtstädtische Maßnahmen vorgesehen hatte. „Metropol Parasol“ ist in einem Teil von Sevilla (die historische Altstadt) mit einem hohen Mietniveau angesiedelt. In diesem Sinne trägt es nicht zur sozialen Verbesserung eines Problemquartiers bei. Vielmehr stellt sich das Ganze wie ein (in gewisser Hinsicht spekulatives) Manöver zur Schärfung des wirtschaftlichen Profils dar.
Beim Ideenwettbewerb 2004 spielte die Bürgerbeteiligung keine Rolle. Die Wahl war das Ergebnis eines „Hohen Rates“ von Fachleuten aus Architektur und Politik, der sich ohne Einbeziehung der Stadt Sevilla für dieses Projekt entschied. Die Errichtung des Gewerbekomplexes wurde an den Bürgern vorbei mit öffentlichen Geldern finanziert, was nichts anderes bedeutet, als dass Mittel aus dem Haushalt der Stadt eingesetzt wurden, um ein privates Unternehmen zu fördern. Darüber hinaus wurde der Vertrag über öffentliche Bauarbeiten bereits unterzeichnet, als noch kein Ausführungsplan (ja, kaum eine Skizze) vorlag; dadurch sind die Kosten um bis zu 70 Prozent über den zunächst veranschlagten Betrag hinaus in die Höhe geschossen. Diese markante finanzielle Fehlplanung wurde von der Stadtverwaltung zugunsten von Sacyr ausgeglichen, wofür sie fast 60 Prozent der Mittel aufwendete, die eigentlich für die allgemeinen Versorgungssysteme von ganz Sevilla vorgesehen waren: für Anlagen, Infrastruktur und notwendige Einrichtungen, um die Benachteiligung der Vorstädte auszugleichen und ein Wachstum der Stadt ohne Ungleichgewichte zwischen den Quartieren zu gewährleisten. Die bei der Errichtung des Bauwerks aufgetretenen Probleme, die zu einer Verschiebung des ursprünglichen Fertigstellungstermins um vier Jahre und mindestens fünf Mal nacheinander zu einer Verlängerung der offiziellen Fristen führten, beruhten darauf, dass es technisch nicht möglich war, „Metropol Parasol“ auf einer unzureichenden Gründung zu bauen, bei deren Berechnung das Gesamtgewicht der gigantischen Bedachung, die dem Projekt seinen Namen gab, offenbar nicht berücksichtigt wurde.
Voto de calidad
Es konnte schließlich nur fertiggestellt werden, nachdem das ursprüngliche Projekt abgespeckt (Verkleinerung des Panorama-Rundgangs, leichtere Bauweise) und der Entwurf, der seinerzeit den Wettbewerb gewonnen hatte, zu einem großen Teil verfälscht wurde. Abgesehen von diesen technischen Fragen ist es politisch von besonderer Relevanz, dass nicht nur der Bau ohne Einbeziehung der Bürger wie auch eines großen Teils der übrigen opponierenden politischen Gruppen beschlossen wurde, sondern auch die nach und nach erforderlichen Erhöhungen der Zuschüsse für die Fertigstellung im Plenum der Stadtverwaltung mit einer politischen Mehrheit durchgesetzt wurden, die zwar de jure korrekt war, aber in der Öffentlichkeit als nicht ausreichend wahrgenommen wurde. Keine politische Gruppierung, mit Ausnahme der sozialistischen PSOE, unterstützte die Verwendung der für allgemeine Infrastrukturmaßnahmen vorgesehenen Gelder für die Fertigstellung des „Metropol Parasol“. Selbst der Consejo Consultivo de Andalucía (höchstes Justizorgan der Regionalregierung) riet in einem Gutachten von dieser Verwendung der Mittel ab, und sogar die Vereinigte Linke (IU), d.h. die Partei, die dem aktuellen Bürgermeister zu seiner Mehrheit im Gemeinderat verhilft, distanzierte sich davon. Der Abschluss des Baus konnte daher nur mit dem sogenannten „voto de calidad“, der zweiten Stimme des Vorsitzenden bei Stimmengleichheit, entschieden werden: Dies ist eine Rechtsfigur, mit der den Regierenden in Ausnahmefällen in politischen Foren eine ausreichende Mehrheit garantiert werden soll und deren Einsatz hier einen denkbar negativen Präzedenzfall für die Verwaltung von öffentlichen Geldern darstellt.
Die Obsession eines Einzelnen
Alles dies hat „Metropol Parasol“ zu einem „unmöglichen Bauwerk“ gemacht. Diesen Begriff verwandte selbst die Stadtverwaltung, die sich nach zwei Jahren Stillschweigen über sämtliche Probleme bei den Bauarbeiten den Tatsachen beugen musste, als die Zeitung Diario de Sevilla die technischen Gutachten veröffentlichte, die das Projekt in Frage stellten. Die öffentliche Meinung ist, wie meist in einer Großstadt, geteilt: Die einen gestehen zu, dass alle diese Exzesse doch noch das abschließende Ergebnis rechtfertigen, die anderen kritisieren das Bauwerk weiter sowohl im Hinblick auf die Ästhetik als auch auf die bauliche Qualität. Eine gewisse Einigkeit herrscht darüber, dass städtebauliche Maßnahmen dieser Art heutzutage nicht akzeptabel sind, da einerseits eine Wirtschaftskrise und eine enorme Arbeitslosigkeit herrschen und andererseits die Architektur sich nach Jahren der Megalomanie weltweit nun eher in die Richtung von deutlich nachhaltigeren Projekten entwickelt, die den wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten besser entsprechen und weitaus nützlicher sind. Es gibt Menschen, die glauben, dass „Metropol Parasol“ zu einem dauerhaften Wahrzeichen in der Stadtlandschaft von Sevilla wird. Das ist durchaus möglich, allein schon wegen der gigantischen Größe des Bauwerks, auch wenn nur schwer vorstellbar ist, dass es zu einem allgemein anerkannten klassischen architektonischen Element wird. Vielmehr wird es das Vermächtnis der Obsession eines Einzelnen und der Beweis dafür sein, dass in Sevilla ein Sinn für Maßhalten offenbar unmöglich ist. Das Bauwerk wird rasch altern und am Ende ein Beispiel für eine Phase der Architektur bleiben, die zum Glück bereits überwunden ist. Sevilla, die Stadt, die erst spät und verhalten von der Moderne in der Architektur erreicht wurde, hat nun mit dem „Metropol Parasol“ ein Sinnbild für die falsche (in gewisser Hinsicht irreale) Avantgarde der Architektur, die nach den Auswirkungen der Wirtschaftskrise als grundsätzlich überholt gilt. Man könnte sogar sagen, dass sie alt geworden ist. Es ist ihr Schicksal, überall zu spät zu kommen.
Aus dem Spanischen von Beate Staib



Fakten
Architekten J. Mayer H., Berlin
Adresse Plaza de la Encarnación 41003 Sevilla, Spanien


aus Bauwelt 18.2011
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