Bauwelt

Die Fassade als Space Shuttle


Laborgebäude des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt


Text: Höhns, Ulrich, Oldenbüttel


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    Foto: Christian Richters

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Das Laborgebäude DLR-RY „SpaceLIFT“ des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Bremen bietet erstmals Besuchern Einblick in Weltraumforschung auf höchstem Niveau. Kister Scheithauer Gross Architekten und Stadtplaner haben dafür eine Fassade entwickelt, deren Teile den Eintritt in die Erdatmosphäre überstanden zu haben scheinen.
Albert Püllenberg gehörte zu einer Handvoll deutscher Raketenpioniere mit typischer Biografie: Er begann in jungen Jahren als Tüftler, entwickelte später Rakentenwaffen für die Nationalsozialisten und widmete sich nach dem Zweiten Weltkrieg ausschließlich der zivilen Raumfahrt. Anders aber als Wernher von Braun, für den er auch arbeitete, ist er heute in Vergessenheit geraten. In den 30er Jahren testete er auf den nassen Wiesen des dünn besiedelten „Blocklands“ am Rande Bremens seine Raketen. Damals hat er wohl kaum geahnt, dass mit der amerikanischen Raumfähre „Columbia“ 1981 zum ersten Mal ein „Space Shuttle“ starten würde, das seinen Entwürfen frappierend ähnelte. Genauso wenig hat er es vermutlich für möglich gehalten, dass, kaum eine Generation nach seinen ersten Versuchen, in Sichtweite des damaligen „Feldlabors“ High-Tech-Institute stehen, die zu den führenden europäischen Einrichtungen auf dem Gebiet der Weltraumforschung zählen.
So real die Raumfahrt und ihre zivile wie militärische Nutzung heute ist, so verschlossen sind die Stationen auf der Erde, in denen die wissenschaftlichen und technischen Grundlagen dafür erarbeitet werden. Diese verborgene Welt ein we­nig zu öffnen, war Leitmotiv bei der Planung des Bremer Forschungsbaus des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. In dem Gebäude für neue Labore, die den technischen  Höchsstandards entsprechen, sollten erstmals auch Besucher auf einem Rundgang durch das Haus Einblick in die Räume und die Versuchsabläufe nehmen können.
Der Technologiepark am Rande des Universitäts-Campus’ ist weithin sichtbar durch den 110 Meter hohen „Fallturm“ markiert. In ihm kann in einer Kapsel für Sekunden Schwerelosigkeit erzeugt werden. Um ihn herum breitet sich eine überschaubare städtebauliche Ordnung aus, die typisch für monofunktionale Zonen an der Peripherie ist. Umso erfreulicher nimmt sich darin der Neubau aus – in günstiger Lage am Ende und im Fluchtpunkt einer der vielen Sackgassen des Gebiets. Das verhältnismäßig kleine, flache Gebäude mit seiner matten keramischen Außenhaut wird zum Point de vue, die Straße dadurch zum Raum. Die architektonisch unauffälligen Nachbarn werden zu Flügelbauten in einem hierarchischen, an eine barocke Ordnung erinnernden Bezugssystem, zum Vorteil aller. Der Eingang des Hauses, das jenseits eines Fleets liegt, wurde als übergroßes Schaufenster in einer sonst fast hermetisch geschlossenen Fassade herausgestellt. Bei Bedarf lässt er sich wie ein Hangar mit zwei hohen Metall-Schiebetoren verschließen. Mit einer kastenförmigen, freistehenden Fußgängerbrücke dockt das Laborgebäude im Obergeschoss über den Wasserlauf hinweg an den benachbarten Altbau an. Aufgefächerte Balgen zwischen Brücke und Gebäuden immitieren die Optik von Fluggastbrücken, sind jedoch frei von deren Funktionalität.
40.000 Unikate
Die Gestaltsatzung des Geländes sah als Fassadenmaterial Stein vor. Die außergewöhnliche Oberfläche des Laborgebäudes fügt sich in den fixierten Materialkanon ein, legt diesen aber schöpferisch aus. So bekommt die im Grunde einfache Zweckform eine deutliche architektonische Aussage. Bei der Suche nach einem passenden Fassadenmaterial gingen die Architekten von einer originalen „Kachel“ aus dem Hitzeschutzschild ei-nes Space Shuttles aus, die im Bremer Museum „Weltraumladen“ gezeigt wird. Die Unterseite eines Space Shuttles ist mit ungefähr 20.000 Kacheln verkleidet. Ursprünglich anthrazit-schwarz, werden sie mit jedem Flug heller, weil sie – wenn die Raumfähre wieder in die Erdatmosphäre eintritt – bei Temperaturen knapp über 1000 Grad Celsius immer wieder neu „gebrannt“ werden. Diese Beschaffenheit materiell, farblich und in ihrer Vielfalt so authentisch wie möglich zu simulieren, war das Ziel. Dem widmete sich das Schüttorfer Klinkerwerk der ABC-Keramik nach anfänglichen Misserfolgen mit wachsender Begeisterung. Zuerst wurde eine anthrazitfarbene Engobe aufgebracht und grau überstrichen. Wie beim Shuttle erhielt jede Kachel einen Nummerncode (hier allerdings nicht stückgenau, sondern chargenweise). Durch den Zusatz von Koh­le beim Brennen wurde schließlich eine Überhitzung provoziert, die zum „Kochen“ der Oberfläche und partiell zur Sinterung führte. So entstanden fast 40.000 Unikate. Bei ähnlichen Temperaturen wie beim Eintritt des Shuttles in die Erdatmosphäre wurden insgesamt acht verschiedene Typen gebrannt.
Sortiert nach Farbton und Helligkeitswerten und -verläufen, wurden sie in unterschiedlichen Feldern scharenweise diagonal auf ein Wärmedämmverbundsystem geklebt. So entstand ein changierendes, lebendiges Schuppenkleid, das unter wechselndem Licht und Wetter stets anders wirkt. Es erzeugt den Eindruck von Bewegung, und auch bei trockener Außenhaut scheint es, als würde gerade ein Schlagregen auf der Fassade verdunsten. Die Fassade erinnert an ein Tarnkleid, das die Form des Baukörpers auflöst, andererseits verschafft sie ihm aber auch eine deutliche Präsenz. Beim Blick über Eck ist die plastische Wirkung des Hauses besonders prägnant. Durch breite Fugenbänder voneinander getrennt, laufen Scharen ähnlich gefärbter Fliesen über die Ecken weiter, werden an diesen gebrochen, steigen im Musterverlauf auf oder sinken, und binden damit aufeinanderstoßende Fassadenseiten in das diagonale Verlegesystem ein.
Blick ins Labor
Die Innenwelt des Hauses dagegen ist aufgeräumt und weit weniger „spacig“. Die große, zweigeschossige Eingangshalle erinnert mit klaren, harten Oberflächen in ihrer kühlen Strenge an Ken Adams Gestaltung von Kontrollräumen in James Bond-Filmen. Eine zeichenhaft hineingestellte Treppe leitet hinauf zum Besucher-Rundgang im Obergeschoss. Dieser führt durch vier Flure, drei an den Rändern, einer annähernd durch die Mitte des Gebäudes. Ein Gang, der reizvoll durch Zenitlicht beleuchtet wird, verbindet den mittleren Flur mit der Eingangshalle. In die glatten Sichtbetonoberflächen eingeschnittene „Schaufenster“ ermöglichen den Blick in die drei wichtigsten, über zwei Geschosse reichenden Labore mit unzähligen Messinstrumenten, Apparaten und Werkzeugen. Es gibt ein Strahlungslabor für die Simulation von Sonnenstrahlung, ein Kyrolabor für Tieftemperaturforschung sowie ein Explo­rationslabor, in dem ein umgebauter Industrieroboter Raumfahrzeuge bewegt oder auch in einen Sandkasten „wirft“, um so mehr oder minder weiche Landungen auf anderen Planeten zu simulieren. In einem Reinraum widmet man sich Systemintegration und -konditionierung.
Die fensterlosen Rückwände der Flure an den Außenseiten des Gebäudes hingegen sind mit rauhem, tiefblauem Spritzputz überzogen – weltraumblau, könnte man meinen. Unsichtbar darin eingelassen sind Bündel von Lichtleitfasern, deren En­den bei hinreichender Dunkelheit Sternbilder zum Leuchten bringen. Innerhalb der schmalen Flure stellt der Kontrast zwischen dunkler Rauhheit auf der einen und heller Glätte auf der anderen Seite die einzige Rauminszenierung dar und dient zugleich der Wegeführung und Orientierung. Ansonsten herrscht der Charme technischer Funktionsräume.
Das Replikat eines Shuttle-Triebwerks hängt, zur Riesenleuchte degradiert, in der puristisch leeren Eingangshalle von der Decke. Wie das Original wirkt der Nachbau auf den Laien hinreißend improvisiert – mit Aggregaten, durch Tapes befestigten Kabeln und einer willkürlich anmutenden Führung der Leitungen. Zum Glück darf die technische Rohheit und Unmittelbarkeit des Raketenantriebs – Symbol einer Technik, die sich seit Püllenbergs Versuchen vor siebzig Jahren nicht grundlegend verändert hat – einmal auch im Inneren des Hauses aufscheinen.



Fakten
Architekten Kister Scheithauer Gross Architekten und Stadtplaner, Köln
Adresse Robert-Hooke-Str. 7b, 28359 Bremen


aus Bauwelt 11.2013
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