Bauwelt

„Die Expo ist ein extrem überinszenierter Ort.“

Interview mit Andreas Bründler über den Schweizer Pavillon

Text: Kockelkorn, Anne, Zürich; Meyer, Friederike, Berlin

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„Die Expo ist ein extrem überinszenierter Ort.“

Interview mit Andreas Bründler über den Schweizer Pavillon

Text: Kockelkorn, Anne, Zürich; Meyer, Friederike, Berlin

Herr Bründler, die Architektur des Pavillons weckt viele Assoziationen. Wie wollen Sie ihn verstanden wissen?

Es geht um die Unmittelbarkeit zwischen Stadt und Land, die einen Großteil der Lebensqualität in der Schweiz ausmacht: Von allen Schweizer Großstädten aus braucht man kaum länger als eine Stunde Fahrt, bis man allein auf einer Bergwiese sitzen kann. Insofern kann man unseren Pavillon als ein Stück ausgeschnittene Schweiz verstehen. Wir haben ein Stück Wiese renaturiert und stemmen sie aus dem Boden raus. Darunter entsteht die Stadtlounge. Die Seilbahn  soll von dort aus – im übertragenden Sinne – in die Abgeschiedenheit der Berge fahren.
 
Der Naturgenuss ist technisch vermittelt.

Natürlich ist der Pavillon ein hybrides Gebilde zwischen Natur, Stadt und Technik. Die Wiese repräsentiert ein Stück Schweiz, aber sie ist künstlich angepflanzt, und die Pflanzen sind in China gezüchtet. Die Grenze zwischen Natur und Kunst zu verschieben war aber nur ein Aspekt. Uns kam es mindestens genauso darauf an, einen hierarchiefreien Pavillon zu schaffen, der für alle zugänglich ist. Die Leute nutzen das. Sie essen, treffen sich und ruhen sich unter dem Dach aus.
 
Und für die Seilbahnfahrt müssen sie bis zu vier Stunden anstehen.

Wie es scheint, ist der Schweizer Pavillon eine der zehn beliebtesten Attraktionen der Expo. Mit einem derartigen Andrang haben wir nicht gerechnet. Aber wir möchten die Fahrt nicht beschleunigen, sie soll relativ beschaulich sein.
 
Massenabfertigung und Kontemplation, wie geht das zusammen?

Die Expo ist ein extrem überinszenierter Ort. Gerade aufgrund der Besuchermassen wollen wir die Eindrücke reduzieren, diese aber umso stärker visuell und emotional inszenieren, um ein Bewusstsein für nachhaltiges Denken zu fördern. Es gibt den dunklen Ausstellungsraum, der die Leute zu sich führt, die Seilbahnfahrt übers Dach, die extrovertiert wirkt, die Stadtlounge als kommunikativen Ort und die Ferngläser zur individuellen Wissensvertiefung: Man steht auf der Rampe, sieht die anderen Besucher, schaut dann ins Dioramabild und hat eine ganz andere Räumlichkeit und eine andere Illusion. Aber dieses Bild gehört nur einem selbst. In dem Sinne denken wir, dass weniger mehr ist. Das verstehen viele unserer Landsleute und auch viele Medien nicht. Immer wieder kommt die Frage: Warum nicht mehr Information?
 
Der aufgeständerte Rasen, der besichtigt, aber nicht betreten werden kann, die roten Solarpaneele der Fassade, die am Abend das gespeicherte Sonnenlicht reflektieren – solche Elemente des Pavillons integrieren den Garten als poetisches Moment in die Architektur. Ähnliches hat Toyo Ito mit seinem Turm der Winde gemacht. War das für Sie eine Referenz?

Ich finde es zwar sehr schön, dass unser Pavillon so poetisch verstanden wird. Aber unsere Her-angehensweise war pragmatischer, zumindest in Bezug auf die Seilbahn: Sie befördert die Besuchermassen über die Wiese, ohne sie zu zerstören. Dabei lassen sie ihre Füße hängen, eine wunderbare Entspannung. Die Wiese ist im übertragenen Sinne das Stück Schweiz, das wir in die chinesischen Städte exportieren wollten: Bei uns zu Hause ist alles, was nicht bebaut ist, Wiese. Sie ist die Basis der Schweizer Milchwirtschaft, sie grenzt an jedes Grundstück. Selbst mitten in Zürich und Basel gibt es Wiesen. Auf diese Balance zwischen urbanem Raum und Naturraum wollen wir hinweisen. In China ist der Boden entweder als Reisfeld kultiviert oder bebaut.
 
Die Seilbahn kann nicht nur als klassisches Element der Erschließung von Weltausstellungen gesehen werden, sondern auch als Symbol der Umweltzerstörung der Alpen. Wird dies im Pavillon thematisiert?

Ich glaube, die Seilbahn wird in erster Linie als Schweiz-Klischee wahrgenommen, und zwar im positiven Sinn. Natürlich werden die Alpen intensiv genutzt, und zwar genauso für die Tourismusindustrie wie für die Landwirtschaft. Die Seilbahn steht für die Interaktion zwischen Stadt und Land und für diesen Paradigmenwechsel der europäischen Moderne in Bezug auf die Wahrnehmung und den Gebrauch von „Natur“; sie dient nicht mehr der Subsistenz, sondern der Erholung. 

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