Das Bild des Architekten 1910-2010
Text: Ballhausen, Nils, Berlin
Das Bild des Architekten 1910-2010
Text: Ballhausen, Nils, Berlin
Es kommt einiges an Material zusammen, wenn die Redaktion im Archiv wühlt, um dem Wesen der Architekten auf die Spur zu kommen: Klischees und Stereotype, Stilisierungen und Wiedergänger, Image- und Werbeträger. Wie sehen sie sich selbst, wie werden sie gesehen?
Zugegeben, unser erster Gedanke zur Konzeption dieser Ausgabe war allzu plump: hundert Jahre Bauwelt, nacherzählt in zehn brillanten Gebäuden, eines pro Dekade. Es wäre eine Rangliste der Architektur-Ikonen geworden, die man schnell beiseite gelegt hätte, auf den großen Stapel ähnlicher Jahrhundertlisten. Der nächste Gedanke: nicht Be-, sondern Verkanntes zeigen! Perlen in den hundert Bauwelt-Jahrgängen entdecken, verschüttete Schätze heben, Vergessenes in neuem Licht betrachten. Doch nach dem Sichten der ersten dreißig Jahre stand fest: Diese Idee trägt nicht. Denn über lange Zeit hinweg war das, was in der Bauwelt veröffentlicht wurde, nach zu vielen Seiten hin abgesichert; die dargestellten Projekte und Bauten sind dabei so häufig gefiltert worden, ob von Redakteuren, Institutionen, Politik oder Zeitgeist, dass das wenige Herausragende hinlänglich bekannt ist und in dem unbekannt Gebliebenen wenig Herausragendes zu entdecken ist.
Phänotyp Architekt
Das bedeutet allerdings nicht, dass eine Durchsicht der alten Jahresbände langweilig ist, im Gegenteil: Immer wieder verleiten die uralten Aktualitäten auf Nebenschauplätze, wird der Blick auf Konflikte gelenkt, deren Lösung lange als unvorstellbar galt, fallen die zahlreichen, längst überkommenen Arbeitsmittel ins Auge. Hierdurch entstand der Gedanke, sich näher mit dem Bild des Architekten zu beschäftigen. Wie zum Beispiel inszenieren sich Architekten auf Fotografien? Welche Attribute weist ihnen die Werbewirtschaft zu? Wie beschreiben sie selbst ihre Rolle? Wie formulieren sie ihren Berufsstand? Und wie hat sich dieses alles im Laufe der letzten hundert Jahre verändert?
Um alle jemals gedruckten Bauwelt-Seiten überhaupt sichten zu können, haben wir die mehr als fünftausend archivierten Ausgaben jahrzehntweise innerhalb der Redaktion aufgeteilt. Die Fundstücke zum Thema „Bild des Architekten“ sortieren sich in Porträts, Industrieanzeigen, Grafiken und Texte. Dank der wöchentlichen Erscheinungsweise der Bauwelt stand uns eine Überfülle an Material zur Verfügung; hinter der hier getroffenen Auswahl steht ein Vielfaches ähnlicher Motive, weswegen wir glauben, dass das Bild feinkörnig genug ist, um etwas auszusagen, auch wenn wir uns der Kommentierung der Quellen enthalten haben. Sie sollen für sich sprechen. Der rauschebärtige Geheime Oberbaurat vom Beginn des 20. Jahrhunderts, der bartlose Fliegenträger der Zwanziger und Sechziger, der weiße Arbeitskittel der Dreißiger und Fünfziger, der Krawattenlose der Achtziger, der Schwarzgewandete der Neunziger, die Prominenten der Jahrtausendwende – sie alle sind keine kuriosen Einzelfälle, sondern haben zahllose Brüder. Warum so wenige Schwestern, steht auf einem anderen Blatt.
Die ausgewählten Texte von Architekten sind naturgemäß heterogen. In ihnen artikulieren sich zeittypische Herausforderungen: die Lösung der Wohnungsfrage, das Verhältnis des Baukünstlers zur Bauindustrie, das Planen und Bauen mit knappen Ressourcen, die Verwissenschaftlichung der Architektur, der Zweifel am Planungswesen, der Umbruch der politischen Systeme. Dass Architekten sich dabei jeweils als Teil der Lösung sehen, versteht sich im Rahmen einer Fachzeitschrift von selbst. Außerhalb ihres Fachs jedoch erodiert die Bedeutung von Architekten seit Jahrzehnten. Inzwischen hat der Generalist von einst viele Kompetenzen aus der Hand gegeben, an die Fachplaner, die Künstler oder die Fertighausanbieter. In der öffentlichen Wahrnehmung – zumindest in Deutschland – machen Architekten die Welt nur komplizierter (Kostenüberschreitung) und werden allenfalls als notwendiges Übel (Bauvorlageberechtigung) akzeptiert. Nur eine Minderheit kann sich auf den globalen Märkten profilieren, tendiert aber in ihren Aussagen oft zur Beliebigkeit.
Und die Bauwelt?
Als Fachzeitschrift will sie ihre Leser informieren und anregen, sie muss Aktuelles kommentieren und kritisieren und darf dabei auf Anstand beharren. Das bedeutet auch, nicht einfach die dünnsten Bretter zu bohren und zuerst denjenigen Raum zu geben, die nicht nur reden, sondern etwas sagen wollen. Diese Einladung kann man gar nicht oft genug aussprechen. Auch der Wandel der Bauwelt lässt sich auf den folgenden Seiten ablesen. Wie ein Gebäude wurde sie ständig umgebaut, modernisiert, bereinigt, verziert, erweitert, entschlackt, neu besetzt, aufgestockt, geöffnet. Unser Lauf durch das vielgestaltige Jahrhundert verführt dazu, Konstanten zu finden und zu formulieren. Vielleicht diese hier: Architektur heißt das beste, wenn auch nicht bestbezahlte Fach der Welt. Das behaupten wir, wenn es sein muss, auch die nächsten hundert Jahre.
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