Bauwelt

Das Hertie-Problem gelöst

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Eventteaser Image
  • Social Media Items Social Media Items

Foto: Ulrich Brinkmann

  • Social Media Items Social Media Items

Foto: Ulrich Brinkmann


Das Hertie-Problem gelöst

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Leerstehende Warenhäuser begegnen dem Passanten in etlichen Innenstädten, seitdem die letzten Hertie-Häuser vor drei Jahren geschlossen wurden. Doch der Stadt Eschwege ist es beispielhaft gelungen, aus der leergefallenen Immobilie Nutzen zu ziehen – indem sie selbst als Projektentwickler tätig geworden ist.
Dies also soll unter den Fachwerktriennale-Städten die Hauptstadt des Geschäftsleerstands sein? Wer im Herbst 2012 einen Spaziergang vom 2009 eröffneten neuen Bahnhof zum Rathaus von Eschwege unternimmt, reibt sich verwundert die Augen. Zugegeben, die Forstgasse, die vom alten Landgrafenschloss in den Stadtkern führt, ist nicht gerade der Inbegriff einer belebten Straße, und mit dem leeren Geschäft „Hammel“ findet sich auch tatsächlich ein Hinweis auf jene Probleme, mit denen das Mittelzentrum an der Werra bei der ersten Triennale vor drei Jahren auf sich aufmerksam machte (Heft 47.09). Die Haupt­geschäftsstraße „Stad“ aber und die von ihr zum Marktplatz führenden Querstraßen bieten ein buntes Bild mit augenscheinlich inhabergeführten Läden, die ein durchaus ansprechendes Sortiment anbieten. Keine Spur jedenfalls von der heutzutage gerade in kleineren Städten oft anzutreffenden, deprimierenden Ballung von Ein-Euro-Shops, Mobiltelefonläden und Junk-Food-Grills. Die kleinen Geschäfte dürften sich freilich kaum über genügend Kundschaft freuen, wenn es nicht jenes Geschäftshaus anderen Maßstabs gäbe: die „Schlossgalerie“. Mit diesem vor zwei Jahren eröffneten Shop-in-shop-Einkaufszentrum ist der Stadt Eschwege etwas Seltenes ge­lungen: die kommerzielle Wiederbelebung eines ehemaligen Karstadt- bzw. Hertie-Warenhauses und damit der Aufschwung des gesamten Stadtzentrums.
Hertie-Aus = Innenstadt-Aus?
Rückblende August 2009: Die 20 verbliebenen Warenhäuser von Hertie werden vom Mutterkonzern Karstadt geschlossen – die wirtschaftlichen und strategischen Probleme des Konzerns finden ihr erstes großes Opfer. Anfang 2007, als der traditionsreiche Name mit der Umetikettierung der zuvor als „Karstadt kompakt“ firmierenden, jedoch bereits in eine Tochtergesellschaft ausgelagerten kleineren Warenhäuser in die deutsche Einzelhandelslandschaft zurückkehrte, waren es noch 73 Häuser gewesen. In einer Großstadt mag das Aus für die jeweilige Filiale zu verschmerzen sein – im rund 20.000 Einwohner zählenden Eschwege droht damit das Ende der Stadtmitte als Geschäftszentrum. Hier macht das erst 1997/98 vom Düsseldorfer Architekturbüro Ingenhoven erweiterte Hertie-Haus mit seinen rund 5500 Quadratmetern Verkaufs­fläche nicht weniger als etwa ein Viertel der gesamten innerstädtischen Verkaufsfläche aus; seine Schließung treibt den Leerstand von Ladenlokalen, der seit 2005 in der Eschweger Altstadt um sich greift, in neue Höhen. Doch zum Zeitpunkt der Schließung wird im Rathaus bereits ein möglicher Ausweg diskutiert.
Projektentwickler Rathaus Eschwege
„Wir haben schon vor der endgültigen Schließung beschlossen, hier selbst aktiv zu werden“, erinnert sich Wolfgang Conrad. Der Leiter der Stabsstelle Wirtschaftsförderung der Stadt Eschwege ist eine der Hauptpersonen in dieser Erfolgsgeschichte. Wehklagen angesichts all der Probleme, denen sich Eschwege damals gegenüber sah (und abgesehen vom Ladenleerstand auch heute gegenübersieht; die demographische Perspektive „Alterung und Schrumpfung“ wird jedenfalls auch in Zukunft die Geschicke der Stadt beeinflussen), war ihm fremd. Stattdessen sprach Conrad schon frühzeitig Handelsunternehmen und potentielle Investoren an, um ein Inter­esse an dem Standort auszuloten; zunächst freilich erfolglos. Also musste die Stadt selbst aktiv werden. Wirtschaftsförderer Conrad, Noch-Bürgermeister Zick, Noch-nicht-Bürgermeister Heppe und Investor Jantz aus Köln gründeten eine parteiübergreifende Projektgruppe und entwickelten die Idee einer Objektgesellschaft. Der zunächst simpel erscheinende Plan, eine städtische Entwicklungsgesellschaft zu gründen, welche das Hertie-Haus mit einer Kommanditgesellschaft kauft, sollte sich freilich als nicht durchführbar erweisen, aus rechtsaufsicht­lichen Gründen. Was folgte, ist ein im Nachhinein nicht leicht zu entwirrendes Abklopfen unterschiedlicher Konstellationen für Kauf- und Entwicklungsgesellschaften mit städtischer wie privater Beteiligung. Am 14. September 2010 wird der Kaufvertrag dann doch geschlossen. Letztendlich gelang die Übernahme, indem die Projektentwicklungsgesellschaft Eschwege mbH als Generalmieter auftritt, und dank der guten Beziehung von Uwe Jantz zum Eigentümer Dawnay Day in London. Seit dem von der Sparkasse Werra-Meißner finanzierten Kauf tritt die IKT Service GmbH & Co KG als Eigentümer auf, eine hundertprozentige Tochter der Kasseler Projektentwicklungsgesellschaft OFB („Organisieren. Finanzieren. Bauen“), die wiederum eine Tochter der Landesbank Hessen-Thüringen ist. Eschwege mbH hat das Objekt an die verschiedenen Einzelhändler untervermietet.
Projektentwickler
Architektonisch hat sich das ehemalige Hertie-Gebäude durch den Neustart kaum verändert; die neuen Läden haben sich ohne großen baulichen Aufwand in den Etagen eingerichtet. Der Umbruch ist eher in der Nachbarschaft sichtbar. So hat die Stadt das in der „Stad“ benachbarte Gebäude zugunsten eines Platzraums abgerissen, und soeben hat mit dem Abbruch eines Fachwerkhäuschens im Rücken der Schlossgalerie der Bau eines Parkdecks begonnen, das im Mai fertiggestellt werden soll. Damit wird der bereits vereinbarte Weiterverkauf der Immobilie an den dänischen Kristensen-Fonds mit Sitz in Aalborg rechtskräftig, und gleichzeitig erlischt das bislang noch bestehende Sonderkündigungsrecht des Hauptuntermieters. Inzwischen kann sich Eschwege der besten Einzelhandelszahlen in ganz Nordhessen rühmen. Auch dank der Bekleidungsgeschäfte in der Schlossgalerie ist der Ruf als Einkaufsstadt für Mode bis nach Thüringen hinein gewachsen. Der Ausbau des ehemaligen Woolworth-Kaufhauses am nördlichen Ende der Fußgängerzone auf doppelte Größe ist ein sichtbares Zeichen für die neue Attraktivität. Die Stadt als Projektentwickler – in Nordhessen ist das Modell geglückt.

0 Kommentare


loading
x
loading

11.2025

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.