Bauwelt

Wohnung


Den Umbau um- und ausgebaut


Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin


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    Stefan Maria Rother

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Manches Element hatte sich beim Umbau angesammelt im Dachstuhl: ein Aufzugsschacht, ein Rohr, eine dicke Bodenplatte, eine riesige Dachterrasse, verstreute Fenster. Oda Pälmke hat Beziehungen zwischen den Dingen geknüpft und aus dem Durcheinander einen Raum geschaffen.
Es ist ein unauffälliges Haus in Berlins Spandauer Vorstadt. Rund 160 Jahre alt, steht es traufständig, acht Fensterachsen breit und drei Etagen hoch, in einer Gasse, die zwar von einer lebendigen Straße des Berliner Zentrums abzweigt, selbst aber nur selten betreten wird. Warum auch, es gibt hier nicht mal ein Ladenlokal, geschweige denn irgendeine Sehenswürdigkeit. Man kann hier also wohnen. Dabei gilt die Lage offiziell noch als einfach, was auf die verbliebenen spätklassizistischen Häuser der Gasse vielleicht zutreffen mag, denkt man an jene in Raum und Stuck schwelgenden Etagenpaläste, die ein paar Jahrzehnte später im Westen der Hauptstadt gebaut wurden – die Bewohnerschaft aber hat sich in den letzten Jahren gewandelt, wie in vielen Altbauquartieren des ehemaligen Ost-Berlin.
Dieses Haus hat ein Künstlerpaar erworben und es denkmalgerecht sanieren und umbauen lassen. Kurz bevor alles fertig war, dämmerte den Bauherren, dass ihr Architekt und sie sich irgendwie missverstanden haben mussten: Der Umbau wollte nicht zu dem geraten, was sie sich vorgestellt hatten. Man trennte sich. Das Paar suchte einen neuen Planer – und fand Oda Pälmke. Oda Pälmke könnte man, besieht man die Liste ihrer Bauherren, als die Künstlerversteherin unter Berlins Architekten bezeichnen.

Gut Freund mit Störenfrieden
Bei diesem Projekt sah die Architektin ihre Aufgabe darin, „zwei Störenfriede zu Freunden zu machen“. Die Störenfriede machten sich im Dachgeschoss breit; sie waren von dem unvollendet gebliebenen Umbau übrig: ein Aufzugsstummel neben der Treppe und eine überdimensionierte Dachterrasse. Beide störten die räumliche Großzügigkeit, die hier oben vielleicht denkbar wäre, erheblich, mehr noch, sie schienen jeden Gedanken an Großzügigkeit von vornherein zu unterbinden. Rückgängig machen wiederum ließen sich diese Eingriffe auch nicht mehr – der Aufzug wurde schlicht benötigt, und der Ausschnitt der Dachterrasse ragte zwar viel zu weit in den Dachraum, lieferte aber den einzigen Außenraum des Hauses, da dieses seine Parzelle fast komplett füllt. Es galt also, aus der Not eine Tugend zu machen und die Störungen als Besonderheiten in den Raum „einzupflegen“.
Doch wie ließen sich all die Elemente ordnen, die außerdem noch wie zufällig verteilt das Dachgeschoss verunklarten? Etwa die über die Schräge der Hofseite verstreuten Dachfenster? Oder die beiden Bodenniveaus, die aus der dicken Betonplatte in der einen Hälfte des Grundrisses resultierten, die einen Whirlpool tragen kann, den aber niemand haben wollte? Und erst die klobigen Profile der Glasfassade zur Terrasse, in deren Gliederung nirgendwo der Goldene Schnitt aufscheint? Wie ließen sich mit diesen diversen Dingen Raumerscheinungen thematisieren, statt Oberflächenveredelung zu betreiben? Wie einen großen Maßstab gewinnen?
Drei Maßnahmen sind es vor allem, die ein neues Ganzes entstehen lassen – ein Ganzes, das sich am besten zeigt, wenn man sich im Raum bewegt, denn die geometrischen Bezüge sind komplex und wechseln mit jedem Standpunkt des Betrachters. Zunächst: Der Aufzugs- und Technikturm wurde entmaterialisierend verspiegelt, so dass sich der Dachraum wieder zu jenem großen Zelt vervollständigt, das als ein Raum lesbar ist. Die Verspiegelung spielt auf klassische Salonverglasungen an, was insofern passt, als die Bauherren den Raum auch für gesellschaftliche Termine öffnen. Der Aufzugsturm verbindet sich mit dem verglasten Treppenhaus zu einem größeren Element, das zugleich wuchtig und schwerelos wirkt. Des Weiteren kamen Vorhänge zum Einsatz, die das Malheur der Dachterrasse in leuchtendes Weiß aufgehen lassen. Und schließlich entwickelte die Architektin für die Straßenseite des Dachgeschosses jene regelmäßig vom Boden bis zum First Wände und Dachfläche zusammenbindende Leistenlinie, die „den Gipskarton aus seiner Gipskartonhaftigkeit erlöst“, wie es Oda Pälmke formuliert, und wieder zur Verkleidung werden lässt; die Maßstäblichkeit einführt und einen ruhigen Takt.

Strategie und Alltag 

Damit waren die räumlichen Ideen im Grunde verwirklicht, aber es gab auch noch Ansprüche, die das Wohnen an den Raum stellt. Eine große Leistung liegt darin, dass sich dadurch nicht weitere Einzelteile ansammelten, sondern im Gegenteil die noch übrigen Zufälle thematisch gebunden wurden. In die Betonplatte etwa wurde eine Sitzecke eingelassen, die exakt zwei Gaupen breit ist, so dass vertikale Flächen in den schrägen Dachraum kommen; Wände eben. Entsprechend wurde mit den Einbauten verfahren. Ihre polygonalen Grundrisse schreiben die Schrägen des Dachraums fort. In ihnen verstecken sich außer Schränken und Ablagen eine winzige Küche, ein ebenso kleines Bad und eine Bibliothek. Diese liegt unter der Galerie, auf die eine geometrisch anspruchsvolle, zweifach gewendelte Treppe führt. Die verstreuten Fenster finden dank dieser Einbauten Zuordnung. Ein wichtiges Hilfsmittel für das Wohnen aber verbirgt sich dem Blick des Besuchers: Von der Bibliothek führt eine steile Stiege hinab in die Schlafräume des Paares. Durch die so verdoppelten Wege können die Hausherren recht lange unbemerkt von der Betriebsamkeit in den unteren Geschossen bleiben: „Ferien auf dem Dachboden.“



Fakten
Architekten Oda Pälmke, Berlin
aus Bauwelt 34.2010

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