Bauwelt

Wohnhaus VoltaMitte


Varianz statt Wiederholung


Text: Adam, Hubertus, Zürich


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    Tonatiuh Ambrosetti

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Das Wohnhaus VoltaMitte in Basel liegt an einer Hauptstraße, an der die Wohnstadt ins Industrielle umschlägt. Um für diese Lage Mieter zu finden, braucht es etwas Besonderes. Christ & Gantenbein haben versucht, jede Repetition zu ver­meiden und überraschende Räume zu schaffen.
Sprechen wir zunächst von dem, was neudeutsch „wording“ genannt wird. Im Norden von Basel, dort, wo die Blockrandbebauung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts an all das stößt, was der Stadt jener Zeit nicht zugehören sollte, ist ein Entwicklungsgebiet entstanden, das – notabene positiv formuliert – das Label ProVolta erhalten hat. Dem italienischen Physiker Alessandro Volta verdankt die strikt west-östliche Straßenachse, die lange Zeit den älteren und den neueren Teil der Stadt mehr verband als trennte, ihren Namen. Drei Bauten sind dort jüngst entstanden: VoltaWest (Degelo Architekten), VoltaZentrum (Buchner Bründler) und VoltaMitte (Christ & Gantenbein). Der Letztgenannte wird von der Vermietungsgesellschaft unter dem Label „Janus“ vermarktet, weil die Wohnungen sich sowohl zur Straße als auch zum Hof orientieren und beide Seiten – wenn auch identisch materialisiert – einen unterschiedlichen Charakter besitzen. „Wohnen und Arbeiten in außergewöhnlichen Grundrissen“, verkündet ein Schild an der exponierten Ecke zum Voltaplatz, wo sich Elsässerstrasse und Voltastrasse schneiden. Noch sind eine Reihe von Wohnungen zu mieten – anders als in Zürich absorbiert der Basler Wohnungsmarkt nicht jedes Angebot auf Anhieb.
„Inneres St. Johann“ heißt das nördlich der Innenstadt gelegene Quartier, das im Osten an den Rhein grenzt und nicht zuletzt als beliebter Standort für Architekturbüros gilt. Das „Äussere St. Johann“ schließt an die Voltastrasse an und erstreckt sich bis zur französischen Grenze. Wird das südliche Gebiet von einer kompakten Blockrandbebauung geprägt, so sind davon im nördlichen Bereich nur Rudimente vorhanden – eingezwängt zwischen Universitätsklinik, Müllverbrennungsanlage und Novartis-Campus, der, für Betriebsfremde unzugänglich, gleichsam eine Stadt in der Stadt darstellt (Bauwelt 29.05 und 24.02). Über Jahrzehnte fungierte die vielbefahrene Voltastrasse als Zäsur innerhalb des Stadtgefüges. Denn sie war Teil einer Verbindung zwischen der Schweizer Autobahn A2, welche sich in der deutschen A5 fortsetzt, und der französischen A35. Den Fernverkehr durch die Wohngebiete des Basler Nordens zu schleusen, galt schon lange als unzumutbar; bereits 1987 hatte der Schweizer Bundesrat dem Bau einer Nordtangente zugestimmt, die ursprünglich noch ebenerdig geführt und mit einer Überdachung versehen werden sollte. Schließlich fiel die Entscheidung aber für eine unterirdische Lösung westlich des Rheins. Um Platz für die Baugrube zu gewinnen, wurden die Häuser auf der Nordseite der Voltastrasse 2002 abgerissen. 2007, nach 20 Jahren Planungs- und Bauzeit, wurde der Tunnel in Betrieb genommen.

Städtebauliche Neuordnung einer Grenzlage

„ProVolta“ ist ein wichtiger Schritt der Stadtreparatur im Basler Norden. Ziel war es nicht nur, die durch die Abbrüche aufgerissene Naht im urbanen Gefüge wieder zu schließen, sondern auch, einem Ort eine neue Identität zu geben und ihn dabei grundsätzlich aufzuwerten. Als „Boulevard“ mit Tramschienen in separatem Gleisbett besitzt die Voltastrasse ein jetzt deutlich verbreitertes Profil; VoltaWest und VoltaMitte treten erkennbar hinter die bisherige Bebauungslinie zurück.
Der Bebauungsplan für die neuen Gebäude war 2003 aufgestellt worden, noch im gleichen Jahr genehmigte der Grosse Rat der Stadt das Projekt ProVolta, für dessen drei Teilbereiche einzelne Wettbewerbe durchgeführt wurden. Im Rahmen ei­nes Architekten- und Investorenwettbewerbs konnten Christ & Gantenbein, die gemeinsam mit der Berner Generalunternehmung Marazzi antraten, einen Sieg für sich verbuchen. Die Erarbeitung eines funktionierenden Raumprogramms wurde den Architekten- und Investorenteams überlassen; die offiziel­len Festlegungen waren allgemeinerer Natur. Es gehe darum, „ein Überbauungsmuster zu entwickeln, das als neues Erscheinungsbild wahrgenommen wird und neue Identifikationsmöglichkeiten schafft“. Ziel sei die Aufwertung des Quartiers durch „ein Spektrum von attraktiven Wohngelegenheiten“.
Die erste Setzung von Christ & Gantenbein bestand da­rin, das gesamte Baufeld mit einem Gebäuderiegel zu bebauen, der sich als Großvolumen entlang der Voltastrasse aufspannt, im Winkel von 60 Grad in die Elsässerstrasse im Osten und in die Hüningerstrasse im Westen umknickt, an die anschließende Blockrandbebauung andockt und diese zu einem nahezu gleichseitigen Dreieck schließt. Damit setzen die Architekten nicht auf eine Gliederung in einzelne Häuser, wie sie die gegenüberliegende Bebauung der Voltastrasse vorgibt, sondern auf die explizite Artikulation des großen Maßstabs – eine Haltung, die für den aktuellen Wohnungsbau des Landes durchaus typisch ist: Dem Klischee der kleinteiligen Schweiz wird ein massiges Volumen entgegengesetzt. Mit seinen Fensterbändern, die mit Brüstungszonen aus schwarzen Klinkern mit belebter Oberfläche alternieren, erweckt das Gebäude zunächst nicht einmal den Eindruck eines Wohnhauses; bei flüchtigem Blick könnte es auch als Bürobau wahrgenommen werden. Den Vorgaben des Bebauungsplans entsprechend wurden über einem für Läden vorgesehenen, durchgehend verglasten Ergeschoss drei Hauptwohngeschosse angeordnet; zwei weitere Geschosse mit Maisonetten bilden die Attikazone, die zum Voltaplatz hin in die Fassade mündet und dieser so zu einer turmartigen Akzentuierung der einspringenden Ecke verhilft. Die Differenzierung des Volumens erzielen Christ & Gantenbein auf der Südseite, zur Voltastrasse hin, durch Vorsprünge, die als verglaste Loggien genutzt werden, mal spitzer, mal fla­cher ausfallen und zudem in sich asymmetrisch sind. Dabei handelt es sich weniger um eine Abfolge aus Wandabschnitten und dreieckig auskragenden Erkern, wie man sie aus expressionistisch inspirierten Wohnbauten der zwanziger Jahre kennt, als um eine Strategie, durch eine unregelmäßige Facettierung die Monotonie der Fassade zu konterkarieren. Die von Geschoss zu Geschoss zuweilen verschobenen Teilungen der Fenster sind ein zusätzliches Element der Irritation; sie überspielen die klare Trennung in einzelne Fassadenabschnitte. Tatsächlich besteht das Gesamtvolumen aus neun von separaten Treppenhäusern und Liftkernen erschlossenen Häusern.
Der zuckenden Vibration der Straßenfassade antwortet die Hofseite mit einer höheren Amplitude und einer stärkeren Gestik. Die Fassade knickt vor und zurück, lässt in den Ecken spitzwinklige Außenräume entstehen und schlägt Haken gegenüber der Nachbarbebauung. Der weite Hof wird auf diese Weise gegliedert. All das ist keine formale Spielerei, sondern Reaktion auf die Ausrichtung des Gebäudes. Die starke Verformung der nach Norden orientierten Hoffassade führt zur besseren Belichtung der Wohnungen, deren Tiefe zwischen neun und 16 Metern variiert.



Fakten
Architekten Christ & Gantenbein, Basel
aus Bauwelt 34.2010
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