Bauwelt

Quartier „Hessenberg“


Vier Häuser und ein Fassadenthema


Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin


  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Stefan Müller

    • Social Media Items Social Media Items

    Stefan Müller

Auf den differenzierten städtebaulichen Masterplan für das neue Quartier „Hessenberg“ im Zentrum von Nimwegen antworteten biq mit gestalterischer Beschränkung: Die vier von ihnen gebauten Wohn- und Geschäftshäuser vertrauen auf das gleiche Fassadenprinzip. Die Balance zwischen der Identität des Quartiers und der jeweiligen Adresse wird gehalten.
Der „Stottergiebel“ des De Gelderlander, er ist, wenn auch einem neuen Haus vorgeblendet, an seinen angestammten Ort zurückgekehrt. Und auch sonst werden die Bürger von Nimwegen wenig Anlass finden, mit der neuen Erscheinung der Jahrzehnte währenden Brachfläche am Hessenberg zu fremdeln. Denn so sehr sich das einstige Verlagsareal seit 2005 auch gewandelt haben mag, so geschmeidig fügen sich die neuen Wohn- und Geschäftshäuser in die Struktur der Altstadt. Das mag nicht unbedingt zu erwarten gewesen sein, denn im Hinblick auf die Baumasse, die Größe der Hauseinheiten und auch die Maßstäblichkeit der Architektur klingen hier eher groß- denn altstädtische Ambitionen an. Die Einpassung gelingt aber einerseits dank der differenzierten, unterschiedlich dimensionierten Stadträume, die diese großen Häuser bilden: kleinere und größere Plätze, Treppengassen und Treppenplätze, Durchgänge und Höfe. Und andererseits ist der größere Maßstab kein Unbekannter im Zentrum von Nimwegen, das sich zu nicht geringen Teilen vom Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt zeigt. Dessen Zeugnisse sind architektonisch zwar durchaus ansehnlich, verglichen mit dem, was zur gleichen Zeit jenseits der nahe gelegenen Grenze in Deutschland gebaut wurde, legen jedoch auf Altstadtheimeligkeit wenig Wert. Und zu guter Letzt war das Areal auch in der Historie nicht kleinteilig parzelliert: Bevor sich der Zeitungsverlag ausbreitete, befand sich hier eine Klosteranlage, von der Reste überdauert haben.
Zehn Einzelgebäude wurden realisiert. Sie nennen sich „Blok“, wobei nicht in mehrere Parzellen zerlegte Stadtblöcke assoziiert werden sollten, sondern große, zumeist allseitig umrundbare Hauseinheiten. Der Betrachter fühlt sich an den Potsdamer Platz in Berlin erinnert, bei dem Stadtblöcke typi­scher Berliner Dimension in große Hausklumpen zersägt wurden, um ein kleinteiligeres Wegenetz und mehr mieteinnahmensteigernde Vorderseiten zu erzielen. Vom Potsdamer Platz allerdings unterscheidet sich das Quartier in Nimwegen fundamental. Dreht sich dort alles um den Kommerz, steht hier das Wohnen in der Stadt im Vordergrund: Von der altengerechten Ein-Zimmer-Wohnung bis zum glamourösen Pent­house mit Fernsicht reicht das Spektrum. Doch gibt es noch eine Parallele: Wie bei dem Berliner Großprojekt der neunziger Jahre wurde auch in Nimwegen nicht nur ein Planerbüro mit der Realisierung beauftragt. Nachdem die Antwerpener Architekten AWG den Masterplan erarbeitet hatten, wurde für die Planung der einzelnen Häuser das Rotterdamer Büro biq einbezogen. Man teilte fast brüderlich: Sechs Häuser bauten AWG, vier gingen an biq. Vor allem diese sollen im Folgenden näher betrachtet werden – nicht nur, weil die Häuser von AWG zum Teil noch im Bau sind, sondern auch, weil die von biq auf besonders augenfällige Weise die von der niederländischen Architektur gewohnte Frontstellung „Super Dutch vs. Supertraditionalismus“ links liegen lassen und sich in die Tradition der rationalistischen Architektur stellen.

Blok II: Wurfanker

Blok II ist von besonderer Bedeutung für das Ganze, denn er fungiert quasi als Wurfanker des Quartiers im Hinblick auf seine Präsenz an der Hauptgeschäftsstraße Lange Hezelstraat. Aus der Perspektive des neuen Quartiers betrachtet, dient er als eine Art Angelhaken, der Passanten anlockt. Das, was sich beim Umrunden des Gebäudes auf der anderen Seite als durchaus wuchtige U-Form entpuppt, ist in der lebendigen Altstadtstraße nur noch ein schmaler Finger, der auf seiner Kuppe besagte Schmuckfassade balanciert, die beim Abriss des Zeitungsgebäudes gerettet wurde. Diese nimmt die gesamte Breite der Nordfassade ein, die so das Maß der Nachbarhäuser aufgreift. Als Giebelhaus kann man diesen „Finger“ aber nicht klassifizieren, denn an der Längsseite bildet er keine Brandwand aus, sondern – ganz im Gegenteil – eine Platzfassade. Auf ganzer Höhe mit jenem anthrazitfarbenen Klinker verkleidet, der sonst nur die Sockel der von biq geplanten Häuser ziert, wird der schmale Finger so zum Kopfbau, der aus der Lange Hezelstraat geschickt auf einen kleinen Platz leitet, von dem aus sich das neue Quartier erschließt. Nun hat man zwei Möglichkeiten: Entweder folgt man der Straße „Hessenberg“, oder man nimmt geradeaus die Stufen einer Treppe, die hinauf zur eigentlichen Vorderseite von Blok II führt. Diese zeigt nach Süden und liegt Blok III gegenüber, dem größten Volumen, das biq am Hessenberg geplant haben. Rechter Hand erhebt sich der AWG-Blok I, ein ebenfalls wuchtiger, etwas düster verklinkerter Sechsgeschosser. Der Stadtraum zwischen Blok II und III aber ist ein Platz, ein Platz, der sogar mit einem interessanten Raumeindruck aufwartet: Die Fassaden der beiden Häuser von biq stehen nämlich nicht parallel zueinander, sondern bilden einen trichterförmigen Raum, der die gefühlte Länge des Platzes je nach Blickrichtung steigert oder kürzt. Hierhin adressiert sich Blok II mit einem Durchgang in den Hof, von dem sämtliche der in diesem Haus untergebrachten Ein- und Zwei-Zimmer-Wohnungen über Laubengänge erschlossen werden.

Blok III und IX: Ausguck und Ostkopf

Blok III und IX wird der Betrachter des Lageplans als einen lediglich von einer kurzen Gasse geteilten Block lesen. Im Stadtraum aber agieren die beiden Teile unterschiedlich. Blok III übernimmt als einer der beiden Turmbauten des Gesamtprojekts einen Teil der fernwirksamen Verankerung des Quartiers. Aus einem viergeschossigen Sockel, der zusammen mit Blok II besagten trichterförmigen Platzraum bildet, wächst auf der Südseite ein fünfgeschossiger Turm mit einer als Pent­house genutzten Laterne. Blok IX wiederum stellt auf der Ostseite analog zum „Finger“ von Blok II eine Stirnseite des Quartiers dar, indem abermals der dunkle Sockelklinker über die gesamte Haushöhe vermauert wurde. In diese Fassade wurde die Rampe in die Tiefgarage integriert, die unter dem Hessenberg angelegt wurde. Die schmalen Fensterschlitze sind lediglich zusätzliche Fenster für die nach Süden oder Norden großzügig belichteten Räume dahinter. Lediglich beim zweiten Fenster von rechts, welches mit der Aufgabe, für die Belichtung der Küche der Vier-Zimmer-Wohnung zu sorgen, wohl überfordert ist, hätte das Fassadenraster der Wohnqualität zuliebe besser eine Varianz erfahren. Aber Fragen der Wohnqualität werden in der rationalistischen Architektur auch hierzulande schon mal hintangestellt, wenn es die Abstraktion und damit die Wirkung des großen Ganzen steigert.

Blok VII: Platzteiler

Wer sich am „Stottergiebel“ des Gelderländers für eine Biegung nach rechts entscheidet, gelangt in die Straße Hessenberg und, nachdem Blok I passiert ist, auf einen weiteren Platz. Dessen Südseite ist ein altes Gemäuer, ein ehemaliges, zurzeit als Baubüro für den Hessenberg genutztes Waisenhaus, zu dem eine breite Treppe hinaufführt. Seine Bausubstanz stammt zum Teil noch von der historischen Klosteranlage; demnächst sollen neue Pläne für ihre künftige Nutzung vorgestellt werden. Die prominente Herausstellung mit der großen Freitreppe legt eine öffentliche Nutzung des alten Gebäudes nahe.
Die Westseite des Platzes wird von Blok VII gebildet, dem vierten Haus von biq, wie sich aufgrund der verwandten Fassade mühelos erkennen lässt. Auf seiner Schmalseite besitzt das Gebäude eine Kolonnade, in der eine Treppe hoch auf einen weiteren Platz führt, von dem aus man wie von einer Terrasse auf die Straße sieht. Auf dieser naturgemäß ruhigen Seite befindet sich der Eingang in Blok VII. Durch einen engen Durchschlupf entlang der historischen Bebauung gelangt man zurück zum Platz vor dem alten Waisenhaus.
 
Das Zusammenspiel der vielfältigen Stadträume und der Architektur der vier Häuser von biq ist gelungen. Die Stärke des Projekts liegt in der wechselseitigen Stärkung: Das einheitliche Fassadenthema, das der jeweiligen Situation entsprechend variiert wurde, gewährleistet den Zusammenhang des Ganzen über das einzelne Haus hinaus; dessen stadträumliche Rolle stärkt die Identität der jeweiligen Adresse. Was allerdings auffällt, ist der komplette Verzicht auf private Außenräume in diesem Projekt – kein Balkon und, bis auf wenige Ausnahmen in Blok III, keine Loggia, die einen Aufenthalt im Freien ermöglichten, und sei es nur, um eine Zigarette rauchen zu können, ohne die Mitbewohner zu stören. Hier hat der Bauherr möglicherweise am falschen Ende gespart – was schade ist: Denn am künftigen Leben auf den Plätzen und in den Gassen nähme der eine oder andere Bewohner sicher gerne auch aus der Wohnung heraus stärker Anteil.



Fakten
Architekten biq, Rotterdam
aus Bauwelt 34.2010

0 Kommentare


loading
x

9.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.