Bauwelt

Mensa


Struktur oder Stuck?


Text: Ballhausen, Nils, Berlin


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    David Franck

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Verästelte Tragstrukturen werden Ornament: Die Mensa in Karlsruhe verbirgt ihre Knochen hinter einer dünnen Haut.
Für Oberflächen, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen, müssen „hygienisch unbedenkliche, glatte und abwaschbare Materialien“ verwendet werden, so schreibt es die Lebensmittel-Hygieneverordnung vor. Holz ist tabu, auch wenn die Forschung dabei ist, es wegen seiner keimhemmenden Enzyme zu rehabilitieren. Betrachtet man den Campus der Fachhochschule Karlsruhe als eine gesetzestreue Großküche, in der alles seinen gewohnten Gang geht, so wirkt der Neubau der Mensa, als habe jemand ein Holzbrettchen mit Siebziger-Jahre-Dekorbeschichtung hineingeschmuggelt. Es sei auch, so erinnert sich der damalige Juryvorsitzende Arno Lederer, dieser allgegenwärtige Zustand des „In-Ordnung-Seins“, der Anfang 2004 das Preisgericht dazu bewog, den unkonventionellen Entwurf des in Berlin ansässigen Büros J. Mayer H. zur Realisierung zu empfehlen. Stadt und Land nahmen die Empfehlung – auch angesichts des damals laufenden Bewerbungsverfahrens um den Titel „Kulturhauptstadt 2010“ – an, und werden heute dafür belohnt.
Der Bauplatz an der Moltkestraße hat Geschichte. Auf dem „Engländerplatz“, der nun zum Teil überbaut wurde, fand 1899 eines von fünf so genannten „Urländerspielen“ zwischen einer deutschen und einer englischen Fußballmannschaft statt. Zudem liegt er im Übergangsbereich zwischen der Stadt und dem Naturraum des Hardtwalds. Die Kompensation des verlorenen Grüns war im Gebäudekonzept der Mensa bereits angelegt: eine trapezförmige Grundfläche, in die Höhe gestemmt, um darunter einen neuen Raum zu eröffnen. Die schiefe Ebene bleibt nutzbar, das an seiner Nordseite relativ geschlossene Volumen löst sich dabei nach Süden hin zu einem unregelmäßigen Gitterwerk auf, das allseitig mit Glasflächen ausgefacht ist.
Ein kurzer Exkurs: Nach dem Stadthaus Scharnhauser Park (Heft 14.02) ist die Mensa der zweite Hochbau des Büros. Dieses Jahr werden außerdem eine Villa bei Ludwigsburg, das „Danfoss Universe“ in Nordborg/Dänemark und ein Bürohaus in Hamburg fertig gestellt. Durch die parallele Arbeit an verschiedenen Projekten tauchen formale und konstruktive Ide en, aber auch konzeptionelle Ansätze mal hier, mal dort in unterschiedlicher Ausführung auf. So leitet sich die Fassadenstruktur der Mensa aus dem früheren Entwurf eines noch nicht realisierten Pavillons im polnischen Gubin ab; die Ausführungsplanung in Karlsruhe diente ihrerseits als Vorarbeit für „Metropol Parasol“, eine großmaßstäbliche Platzüberbauung in Sevilla, die nächstes Jahr fertig gestellt wird. Das Motiv der aufgefalteten oder extrudierten Fläche war zuvor als Uferpromenade im schweizerischen Ascona erdacht (Heft 23.00), ist dann aber – im kleineren Maßstab – bei einem Dachgeschossausbau oder als Möbel-Installation umgesetzt worden.
Das forcierte Springen zwischen unterschiedlichen Maßstäben, Disziplinen, Orten und Zeiten soll stumpfen Wiederholungstaten vorbeugen. Das Werkverzeichnis ist weniger als chronologische Abfolge zu lesen, sondern als permanenter Querverweis.
Wenn die Besucher der Mensa, die am 1. März eröffnet wird, nirgendwo Holz zu sehen bekommen, obwohl der Großteil des Gebäudes daraus besteht, so hat das nicht hygienische, sondern gestalterische und bauphysikalische Gründe. Anfangs erwogen die Architekten noch eine Sichtbetonkonstruktion. Nachdem sich dies als zu kostspielig herausstellte, rechnete man das Ganze in Stahl durch, was das gedeckelte Gesamtbudget von 7,51 Mio. Euro ebenfalls gesprengt hätte. Erst als Holzbau wurde es konstruierbar und bezahlbar (reine Baukosten: 5,5 Mio. Euro). Um eine fugenlose und homogene Ansicht zu erhalten, wurden nicht nur die wetterseitigen Oberflächen, sondern auch Böden und Innenwände
mit einer zwei Millimeter dünnen Schicht aus Polyurethan überzogen und anschließend in dem undefinierbaren Farbton RAL 1000 überzogen; der Akustikputz der Decken ist
elfenbeinfarben, die rückwärtigen Wände mintgrün gehalten, ergänzt um einen olivfarbenen Rammschutz gegen die Küchentransportwagen. Dieses delikate Farbkonzept und die abgerundeten Übergänge zwischen horizontalen und vertikalen Flächen lösen das Gebäude aus der Gegenwart. Der Betrachter ist zunächst verwirrt, sträubt sich das Haus doch gegen eine flüchtige Einordnung. Ist es überhaupt ein Haus? Oder eher ein Stadtmöbel? Eine Theaterkulisse? Jürgen Mayer H., Jahrgang 1965, hegt Sympathie für die Fortschrittseuphorie der frühen siebziger Jahre, die in ihrem Überschwang so viele schwerfällige und plumpe Brachialbauten fabriziert hat, die der heute gepflegten Ästhetik zuwiderlaufen. Deren Mangel
an Eleganz wird hier angedeutet und im selben Zuge behoben. Dass dabei auch Abkofferungen aus Gipskarton zum Einsatz kommen, um nicht erforderliche, aber formal wünschenswerte Deckenbalken darzustellen, wird manchen Material-Puristen entsetzen. Doch jede mit Klinkern verblendete Stahlbetonwand bedient sich desselben Tricks.
Man benötigt diesen Diskurs nicht, um sich im Inneren des Gebäudes zurecht zu finden. Sowohl die Gast-Seite als auch die Wirt-Seite des Gebäudes sind übersichtlich organisiert.
Den Gästen bietet sich dabei eine reiche Auswahl an gut proportionierten, fließend ineinander übergehenden Raumzonen dar, die in erster Linie durch die Reihen aus unregelmäßig geneigten Stützen gegliedert sind. Die „Speisefläche“ mit ihren 460 Plätzen verteilt sich über die südlich vorgelagerte Veranda, auf einen großzügigen vorderen und einen niedrigen
hinteren Bereich, über die Galerie und die Dachterrasse. Hinzu kommt die feine Abstufung, die sich aus den mal intim, mal riesenhaft wirkenden Verglasungen ergibt. Es werden sich in diesem Stützenwald Sonnen- und Schattenplätze herausbilden. Der Leiter der Mensa erklärt, der Neubau werde wesentlich effizienter zu führen sein als der rund hundert Meter entfernt stehende Altbau aus den Sechzigern: keine Warenaufzüge, kurze Wege, energiesparende Geräte. Trotz der geringeren Nutzfläche, lässt sich hier in kürzerer Zeit und mit weniger Personal mehr Essen zubereiten, zu Spitzenzeiten werden es etwa 1500 Einheiten pro Tag sein. Dazu kommt ein moderner „Frontcooking“-Bereich, an dem das Essen vor den
Augen der Gäste frisch zubereitet wird. Es ist der Geist des optimierten „Workflow“, der sich hier ein neues Instrument geschaffen hat und dem sich auch das Studentenwerk als Betreiber nicht entziehen kann. Für Studierende, die sich allenfalls noch an das letzte Siebziger-Jahre-Revival erinnern können, steht im Untergeschoss des Mensa-Altbaus ein greifbares Anschauungsstück bereit: Die alte, noch weitgehend originalgetreu eingerichtete Cafeteria wird in Betrieb bleiben.
Zur Konstruktion
Die Wandbauteile bestehen aus Hohlkastenelementen in sehr unterschiedlichen Größen, Formen und Zuschnitten. Über eine abgestufte Kantenausbildung wird die Verbindung sowohl der einzelnen Elemente untereinander als auch der Anschluss an die Glasfassadenkonstruktion hergestellt.
Die Hohlkastenelemente sind als Rippenkonstruktion aus BSH, d = 124 mm (für die 300 mm starke Wand) bzw. 424 mm (für die 600 mm starke Wand), ausgeführt und mit Mineralwolle 040 voll ausgedämmt; beidseitig sind 88 mm starke Brettsperrholzplatten (System Leno) aufgeleimt. Die Oberfläche der Leno-Platten erhielt eine Beschichtung aus Kerto-Furnierschichtholz, die für die PU-Beschichtung geschliffen wurde.
Im Werk zum geschlossenen Bauteil (inkl. Elektro-Leerrohren und Blitzschutzleitungen) montiert, wurden die Elemente auf der Baustelle mit Holzschrauben miteinander verbunden.
Die Fußpunkte sind über massive Stahlteile verankert, die in Köcheraussparungen nach träglich einbetoniert wurden. Die Dachbauteile bestehen aus Hohlkastenelementen mit Standardbereiten von 1,80 bzw. 2,40 m, in der schrägen Dachfläche liegend, mit Randausbildung der Elemente zum Anschluss an Wandaufkantungen und Rinnenausbildung.
Sie bestehen aus ober- und unterseitiger Kertoplatte (d = 27 mm) und zwischenliegenden
Rippen aus Kerto-S (d = 57 mm), Abstand 600 mm, Höhe 300 mm, Gesamtdicke 354 mm. Die Rippen und Platten sind schraubpressverleimt und ebenfalls voll ausgedämmt mit Mineralwolle 040. Das weit auskragende Vordach über der Anlieferung ist als Rippenkonstruktion aus BSH in den Dimensionen 200 x 600 mm ausgeführt. Auf der gesamten Oberseite der Dachkonstruktion dient die aufgebrachte PU-Beschichtung als Dachabdichtung. Für die Ableitung des Regenwassers wurden innenliegende Rinnen durch Einlagen von Furnierschichtholzstreifen zur bauseitigen PU-Beschichtung der Rinnenkästen vorbereitet.
Der über der Empore veraufende BSH-Träger ist auf vier BSH-Stützen aufgeständert und dient als Auflager für die Dachelemente. Sein Gesamtquerschnitt bemisst sich auf 600 x 946 mm, er besteht aus drei miteinander verschraubten und verdübelten Teilen. Der Stützen querschnitt beträgt 600 x 600 mm als Verbund querschnitt und ist gedübelt und geschraubt.
Die Rundungen in den Ecken der Fensterund Türöffnungen von Wand- und Stützenkonstruktion bestehen aus massiven Kerto-Ecken,die in drei unterschiedlichen Radien entsprechend der abgestuften Falzausbildung der Wandkonstruktion durch Roboter in Form gefräst wurden. Magnus Birkmeir, Finnforest Merk GmbH



Fakten
Architekten J. Mayer H., Berlin
aus Bauwelt 8.2007
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