Bauwelt

Learning from Wilhelmsburg


Das Wohnbauprojekt "Grundbau-und-Siedler"


Text: Friedrich, Jan, Berlin


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Die Architekten und der Bauherr des Grundbau-und-Siedler-Projekts, Anne-Julchen Bernhardt, Jörg Leeser und Achim Nagel, über Muskel-Hypotheken, die Angst, in einem bunten Hund zu leben, und den Weltrettungsfaktor ihres Selbstbau-Hauses auf der IBA Hamburg.
Sichtlich irritiert war der Bundesbauminister bei der Verleihung des Deutschen Architekturpreises im Juni, als er sich, eben die Anerkennung für „Grundbau und Siedler“ verlesen, zur Leinwand drehte und erblickte, was er da gerade gewürdigt hatte. Die Jury hatte ihm einen merkwürdigen Wohnwürfel in Hamburg-Wilhelmsburg unterge­jubelt, eher ein notdürftig ausgefachtes Betonregal als ein Haus. „Ob das wenigstens noch verputzt wird?“, mag sich der Minister im Stillen gefragt haben.
Für jemanden, der für den Reiz des Prozesshaften empfänglich ist, hat gerade diese Offenheit, dieses Nichtwissen, wie weit hier noch gearbeitet werden soll, das Selbstbauprojekt des Kölner Büros BeL zu einem der interessantesten der zehn Musterhäuser auf der IBA Hamburg gemacht. Und natürlich der Umstand, dass sich Architekten gemeinsam mit einem Projektentwickler tatsächlich einmal daran gemacht haben, die durch Le Corbusiers Zeichnung der „Maison Dom-Ino“ zur Ikone erhobene Idee mit aller Konsequenz zu realisieren: lediglich ein Betongerüst aufzurichten, auf dem sich die Bewohner ihre Wohnungen nach eigenen Vorstellungen selbst bauen.
Ganz fertig ist das Haus noch nicht (was immer „fertig“ in diesem Fall auch bedeuten mag). Aber es ist so weit gediehen, dass es sich lohnt, mit den Architekten und dem Bauherrn eine erste kritische Rückschau vorzunehmen. Wie etwa geht man damit um, wenn den „Siedlern“ die Freiheit, sich ihre eigene Fassade zu entwerfen und zu bauen, viel zu weit geht? Was bleibt vom ursprünglichen Gedanken des Projekts, wenn sich das Selbermachen letztlich auf den Innenausbau beschränkt? Lässt sich aus dem Experiment unter den Bedingungen einer Bauausstellung ein Modell für kostengünstigen Wohnungsbau entwickeln? Learning from Wilhelmsburg.
Worin besteht der Reiz für Architekten, statt eines fertigen Hauses ein Betongerippe zu bauen – und dann die zukünftigen Bewohner beim Einkauf im Baumarkt zu beraten?
Anne-Julchen Bernhardt | So hört sich das tatsächlich nach einer blöden Idee an. Aber diese blöde Idee ist ja ein langgehegter Traum der Architektenschaft. Angefangen mit Le Corbusier, der das Prinzip gleich mit dem Copyright versah, indem er es zeichnete. Zugegeben, wir hatten am Anfang ein bisschen Angst davor. Denn wir wollten auf keinen Fall zu Begleitern irgendeines partizipatorischen Horrors werden – sondern innerhalb des Betongerüsts über eine Reihe von Festlegungen vieles ermöglichen.
Und sich selbst dabei zurücknehmen?
Anne-Julchen Bernhardt | Es liegt ein Reiz darin, die eigene Rolle zu hinterfragen. Wir gehören ja nicht zu der Architektengeneration, die mit dem roten Schal um den Hals auf der Baustelle Tobsuchtsanfälle kriegt, weil ihre künstlerische Vision zu verwässern droht. Unsere Absicht ist schon immer gewesen, uns als Architekten der Welt zu nähern. Zu schauen, wieweit kommt sie uns entgegen, und an welcher Stelle wir vielleicht sagen: Hier ist die Grenze.
Jörg Leeser
| Durch die Freiheit, die unsere Siedler haben, sind natürlich auch skurrile Sachen entstanden. Zum Beispiel steht in einer Wohnung mitten im Badezimmer – etwas peter-eisenmanesk – eine Stütze. Das ergab sich, weil der Siedler ein kleines Zimmer wollte, wo unser Raumsystem es nicht vorsah, und daneben das Bad. Der Siedler störte sich nicht daran. Also haben wir uns gesagt: Okay, da steht jetzt eben eine Stütze zwischen Toilette und Waschbecken ...
Anne-Julchen Bernhardt | Solche Dinge machen Architekten immer noch rasend.
Jörg Leeser | Für manche Kollegen verstößt es geradezu gegen die guten Sitten, dass bei uns jeder x-beliebige Siedler sein Fenster an die gewünschte Stelle schieben kann.
Aber die Frage, wie sich bei einem solchen Selbstbau-Konzept Qualität sichern lässt, ist ja nicht abwegig.
Jörg Leeser | Man muss natürlich immer wieder selbst überprüfen: Was gibt man den Siedlern mit? Viele Menschen wollen ja, so sehr wir das auch bedauern mögen, eigentlich gar keine Architektur haben. Das ist ihnen eher suspekt. Wir finden es toll, ihnen, ohne dass man’s merkt, die Architektur unterzuheben – wie das Eiweiß in der Mousse au Chocolat.
Herr Nagel, für einen Projektentwickler lohnt es sich doch gleich gar nicht, ein halbfertiges Gebäude zu verkaufen. Was hat Sie geritten, „Grundbau und Siedler“ zu bauen?
Achim Nagel | Lokalpatriotismus, wenn Sie so wollen. Die IBA startete ja zu einer Zeit, als Wilhelmsburg für Hamburger ein No-go war. Trotzdem dachten mein Partner Manfred König (er ist Wilhelmsburger Unternehmer) und ich: Wenn schon eine IBA in Hamburg stattfindet, dann müssen wir auch etwas machen.
Aber warum dieses Projekt? Sie hätten sich aus den Wettbewerbsarbeiten der IBA auch ein anderes Haus aussuchen können, eines der technisch avancierteren zum Beispiel ...
Achim Nagel | Wir fanden: „Grundbau und Siedler“ war das Projekt, das am besten nach Wilhelmsburg passt.
Sie wurden in letzter Zeit kritisiert, Ihr Projekt richte sich an die falsche Klientel – als sich abzeichnet, dass die Wohnungen nicht so günstig würden, wie das IBA-Motto „smart price“ impliziert, unter dem Sie gestartet sind. Ist Ihr Experiment gescheitert?
Jörg Leeser | Als wir den Wettbewerb gewonnen haben, war unser Projekt eine Provokation. Ökonomisch, sozial und ästhetisch. Jeder, den wir dazu gefragt haben, war sich sicher: In Hamburg baut ihr das nie! Nun, wir haben es gebaut. Und wir haben uns immer eingesetzt für ein Lass-uns-das-so-günstig-wie-möglich-Produzieren. Unser Projekt weckt bei vielen die Erwartung, dass es die Welt retten kann. Und wenn der Prototyp nun unter den Bedingungen einer IBA nicht sensationell niedrige Preise erreicht, ist es verständlich, dass Enttäuschung aufkommt. Wir sind uns aber sicher: Mit den gesammelten Erfahrungen werden wir die nächsten „Grundbau und Siedler“-Projekte um einiges preiswerter realisieren.
Achim Nagel | Die Welt zu retten, so etwas haben wir ja nie versprochen. Wir haben gesagt: Wir versuchen, aus dem Konzept etwas zu machen, das weitestgehend „smart price“ ist. Wir lassen die Makler weg, nehmen keine Entwicklungsgebühren, keine Zulagen etc. Wir versuchen, es so preiswert zu machen, dass Leute, die sich sonst keine eigene Wohnung leisten können, es sich damit leisten können. So haben wir uns bemüht, an allen Ecken und Enden zu sparen.
Nicht genug?
Achim Nagel | Die Kosten sind natürlich überall hoch gegangen. Es war eine Hochkonjunkturzeit, da waren kaum die entsprechenden Handwerker zu finden für die Preise, die wir ursprünglich im Kopf hatten. Die Stadt Hamburg hat dann bei den Umlagen zugelangt, und wir haben auch noch einige Dinge im Zuge der IBA beauftragt, die normalerweise nicht nötig sind. Trotzdem haben wir losgelegt und erst einmal den Grundbau gebaut, dann einen Katalog mit Einzelpreisen gemacht. Einmal die Preise für Materialanteile, die wir bereitstellen, und Kostenansätze für Lohnanteile, die „Muskel-Hypothek“. Diese Tabelle sind wir mit allen Interessenten durchgegangen und haben gefragt: Was wollt ihr machen? Wollt ihr das Material von uns gestellt haben? Könnt ihr das billiger beziehen? Und dann fingen die Leute an zu rechnen: „Ich kann jetzt 300 Euro pro Quadratmeter sparen ...“
Wie viel haben die Käufer am Ende bezahlt?
Achim Nagel | Je nachdem, wie viel sie selber gemacht haben, einen Quadratmeterpreis von 2500 bis 2800 Euro.
Wie kamen Sie zu Ihren Interessenten? Das lief ja sicher anders als bei normalen Eigentumswohnungen ...
Achim Nagel | Ein großes Thema. Zunächst haben wir beschlossen: Wir drucken keine der üblichen Hochglanzbroschüren, beteiligen keine Makler und machen keine schicke Website, sondern wir gehen davon aus, dass Leute uns finden – über die Internetseite der IBA, über Artikel in Zeitungen. Und mit dieser Methode, über zwei, drei Jahre, gab es rund dreißig Kontakte mit potenziellen Siedlern.
Was sind das für Leute, die sich schließlich zum Siedeln bei Ihnen entschlossen haben?
Jörg Leeser | Einer hat einen Handyladen, der andere arbeitet im Hafen in einem Verwaltungsjob, einer ist bei der Agentur für Arbeit. Wir haben eine Schauspielerin, die auch Englischlehrerin ist. Ein Beinahe-Käufer, der abgesprungen ist, ist Elektriker, in einem größeren Familienverband. Dann gab es eine Vorstandsassistentin, die leider auch abgesprungen ist ...
Anne-Julchen Bernhardt | ... weil sich ihre Lebensumstände verändert haben. Sie war eigentlich unsere perfekte Bauherrin: Bei ihr hat sich der Grundriss dreimal geändert, sogar noch auf der Baustelle wurden Fenster verschoben und neu ausgesägt. Sie hat sich jetzt ein Hausboot gekauft.
Sie haben zu Beginn ihre Angst vor dem „partizipatorischen Horror“ erwähnt. Wie war das bei Ihren Siedlerworkshops?
Jörg Leeser | Wir sind nach Hamburg gekommen und haben mit jedem Interessenten diskutiert, seine Wünsche aufgenommen. Im Büro haben wir das nachgearbeitet. Manche Interessenten warfen die Dinge immer wieder über den Haufen, aber bei den meisten ging es ziemlich flott. Im Unterschied zu den Selbstbau-Projekten der 70er und 80er, bei denen es vor allem um Selbstverwirklichung ging, wollen unsere Siedler einfach eine Wohnung.
Achim Nagel | Sie haben eher gefragt: Ist die EnEV eingehalten, wie hoch sind die Nebenkosten, ist die Fassade dicht?
Anne-Julchen Bernhardt | Bei uns gab es keine endlosen Diskussionen über alles und jeden. Wir vermuten, es liegt daran, dass bei uns die Rahmenbedingungen fast alles möglich machen. Die Siedler müssen sich nicht permanent abstimmen. Sie sind unabhängig voneinander.
Wäre nicht für ein Projekt wie „Grundbau und Siedler“ eine Baugruppe wesentlich passender als das Bauträgermodell?
Anne-Julchen Bernhardt | Sicherlich liegt das nahe und ist auch gut möglich. Aber eine Baugruppe spricht nur eine sehr begrenzte, homogene Klientel an. Sie ist eine reine Bildungsbürger-Angelegenheit ...
Jörg Leeser | ... Bäckereifachverkäuferinnen nehmen selten an Baugruppen teil ...
Anne-Julchen Bernhardt | ...während sie sich sehr wohl auf dem kommerziellen Wohnungsmarkt umsehen. Weit draußen allerdings, weil sie sich in der Stadt keine Wohnung leisten können. Deshalb finden wir es richtig, das Konzept mit einem Investor weiterzudenken. Weil sich dabei der Wohnungskauf nicht über die Zugehörigkeit zu einem Milieu entscheidet, sondern darüber, was man ausgeben kann.
Jörg Leeser | Uns interessiert ein „Idealismus zweiten Grades“: Wie lassen sich innerhalb eines marktwirtschaftlichen Bauträgermodells sowohl ökonomische als auch soziale Vorteile für die Bewohner gewinnen?
Herr Nagel, für Sie als Projektentwickler wäre es auch interessant, das Konzept weiterzuverfolgen?
Achim Nagel | Durchaus. Mit „Grundbau und Siedler“ bieten wir ein Produkt an, bei dem die Leute ungefähr 500 Euro pro Quadratmeter über Eigenarbeit selber einbringen können. Das ist viel: Bei einem Kaufpreis von 2500 Euro pro Quadratmeter sind das 20 Prozent. Ziemlich genau der Eigenanteil, den Sie bei einer Bank heute für einen Kredit mindestens bringen müssen. Als Bauträger erschließt man sich damit einen ganz anderen Markt von Menschen, die sich normalerweise so eine Wohnung nicht kaufen würden.
Und der Kaufpreis, könnte der nicht doch noch ein bisschen „smarter“ werden?
Achim Nagel | Unser Haus in Wilhelmsburg ist ja ein relativ kleines Projekt: 900 Quadratmeter Wohnfläche. Die Größe war durch das Baufenster der IBA festgelegt. Es gibt günstigere Größen: zwischen 2500 und 3000 Quadratmeter, denke ich. Da bekommt man auch andere Vergabepreise. Außerdem müssten wir die Rohbaukonstruktion optimieren, die ist – mit den großen Spannweiten – recht teuer geworden.
Jörg Leeser | Größer als 4000 bis 5000 Quadratmeter sollte so ein Projekt nicht werden. Sonst wird das gruppendynamisch irgendwann anonym.
Was könnte aus Architektensicht beim nächsten Mal besser laufen als beim „Prototypen“ in Wilhelmsburg?
Jörg Leeser | Schön wäre es, wenn es gelänge, die Siedler zu animieren, wesentlich mehr selbst zu machen. Auf dem Land gibt es diese Selbstbau-Tradition. Die Leute packen einfach mit an. Aber wenn es um verdichteten Geschosswohnungsbau in der Innenstadt geht, gibt es mit einem Mal Schwellenängste – vor allem bei den Außenwänden. Da hatten die Leute Angst, sie könnten etwas kaputt machen.
Achim Nagel | Den 48er-Stein, den wir mit Ytong entwickelt haben, den können Sie mit einer Hand hoch heben, den kann jeder selbst bewegen. Damit hätten die Siedler die Fassade selbst mauern können.
Das Haus sieht ja nun wesentlich homogener aus, als Sie es sich ursprünglich vorgestellt hatten, weil die Siedler eine einheitliche Fassade wollten – das stört Sie nicht?
Anne-Julchen Bernhardt | Sie dürfen den in jedem Geschoss umlaufenden Umgang nicht vergessen, unseren „Aus-Versehen-Balkon“, der ja eigentlich ein fest installiertes Baugerüst ist. Das wird ein ganz wichtiger Raum für das Haus, in dem sich zeigt, wie die Leute so sind.
Jörg Leeser | An den Ösen, in denen während der Bauphase das Sicherheitsnetz hing, können die Siedler Sonnenschutz-Vorhänge aufhängen, Blumenampeln arrangieren ...
Anne-Julchen Bernhardt | ... eine Verglasung einbauen ...
Jörg Leeser | ... die Siedler können alle möglichen Arten von Fußboden auslegen ...
Anne-Julchen Bernhardt | ... sie werden Fahrräder lagern.
Jörg Leeser | Obwohl sie das Haus nicht als bunten Hund wollten, werden sie es nun selber zum bunten Hund machen.
Anne-Julchen Bernhardt und Jörg Leeser | ­betreiben seit 2000 das gemeinsame Architekturbüro BeL Associates in Köln.
Achim Nagel | ist Gründer und Inhaber von PRIMUS developments in Hamburg. Zuvor war er u.a. Leiter der Bauabteilung bei Bertelsmann und Partner bei Christoph Ingenhoven.



Fakten
Architekten BeL - Sozietät für Architektur, Köln
Adresse Am Inselpark 11, 21109 Hamburg


aus Bauwelt 35.2013
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