Bauwelt

Kranturm


Ein Werkzeug zum Hochgehen


Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin


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    Foto: Udo Meinel

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Der historische Kranturm an der Porta Nuova des Arsenals in Venedig ist saniert und zum Kulturzentrum umgebaut worden. Francesco Magnani und Traudy Pelzel haben seine Struktur bewahrt und mit einer monumentalen Treppen- und Rampenfigur erlebbar gemacht.
Keiner, der am Vaporetto-Haltepunkt „Bacini“ wartet; niemand, der den Wasserbus hier verlässt außer dem Bauwelt-Redakteur und seinem Fotografen. Von den Touristenscharen in Frieden gelassene Orte gibt es im Gewirr der Gassen und Kanäle Venedigs etliche – das Arsenal aber dürfte unter ihnen der größte sein: 480.000 Quadratmeter messend, nimmt das ehemalige Werftgelände rund ein Zehntel der Stadtfläche in Anspruch. Einst eine pulsierende, die Fließbandfertigung mit strenger Arbeitsteilung vorwegnehmende Produktionsstätte, wo bis zu 16.000 Arbeiter Kiele fügten, Schiffsrümpfe kalfa­terten, Segel nähten, liegen die Hallen und Bassins heute still. Der Schiffbau ist schon vor Jahrzehnten an die Küste des Festlands verlagert worden, nur im jüngsten Teil des Areals, an der Ostspitze, werden noch Boote repariert.
Die Zukunft des Arsenals gehört – wie so oft bei einem historischen Industriegelände – einer kulturellen Nutzung, ergänzt um kleinere Büroeinheiten und Forschungseinrichtungen. Die Architekturbiennale hat in diesem Transformationsprozess von Anbeginn eine wichtige Rolle gespielt: Erstmals 1980 in der alten Seilerei untergebracht, markierte sie den Auftakt der Neuausrichtung. Inzwischen ist der südliche, heute noch gesperrte militärische Bereich komplett an die Biennale vermietet, der von Stadt und Staat verwaltete nördliche Teil ist derzeit im Umbau begriffen.
Ein deutliches Signal an die Öffentlichkeit jenseits der das Arsenal noch immer umschließenden Mauern war Anfang April die Eröffnung der zum Kultur- und Ausstellungszentrum umgenutzten Torre di Porta Nuova. Das Gebäude ist das einzige des Arsenals, das sich unübersehbar in die Stadtsilhouette eingeschrieben hat. Schon vom Boot aus, von Norden kommend, ist der blockhafte, aus Ziegeln gemauerte Turm am östlichen Ende der Stadt auszumachen, ohne dass sich seine ursprüngliche Bestimmung gleich mitteilt – ein Sonderling jedenfalls unter all den spitzen Campanili und Kuppeln der Lagunenstadt.
Dampfmaschine versus Kranturm 
Die Torre di Porta Nuova wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Kranunterbau errichtet, mit dem die Großmasten der Schiffe gesetzt werden sollten. Der Turm erhebt sich an der ehemaligen Ostgrenze des Areals: Sein trapezförmiger Grundriss erklärt sich daraus, dass seine Ostseite auf der Grenzmauer errichtet wurde. Die rasante technische Entwicklung jener Zeit sollte seine Bestimmung allerdings rasch obsolet werden lassen: Größere Schiffe wurden schon bald mit Dampfmaschinen statt mit Windkraft bewegt. Trotzdem diente der Turm auch weiterhin seinem Zweck als Kran, nur wurde seine stolze Höhe von immerhin 35 Metern nicht mehr benötigt, weshalb man Kräne in geringerer Höhe an der wasserseitigen Fassade montierte. Der dadurch entstehenden Belastung war die gemauerte Konstruktion jedoch nicht gewachsen. Noch heute zeichnen sich in den Seitenwänden des Turms Risse als Folge des damaligen Gebrauchs ab – sie sollten bei der jüngsten Umnutzung auch nicht kaschiert werden.
Wer weiß, ob das Bauwerk bis zum Anbruch dieses neuesten Lebensabschnitts überhaupt überdauert hätte, wäre nicht zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein neuer Kran in Betrieb genommen worden: jene drehbare Stahlkonstruktion nach Armstrong-Bauart, die der Torre di Porta Nuova heute auf der anderen Seite des Bassins schräg gegenüber steht. Der alte Turm diente seitdem nur noch untergeordneten Zwecken, vornehmlich als Lagerraum.
www.secondchanceproject.eu
„From industrial use to creative impulse“ ist das Motto eines EU-Projekts, das brach gefallene Industrieareale in fünf Städten zu neuem Leben erwecken will. Neben Venedigs Arsenal sind auch zwei Orte in Deutschland ausgewählt worden – die Halle 14 der alten Spinnerei in Leipzig und das AEG-Gelände in Nürnberg – sowie ein ehemaliges Tram-Depot in Krakau und ein Fabrikgelände in Ljubljana. Die Förderung ist Teil des übergeordneten „Central Europe Programme“ der EU; bis 2013 sollen die fünf Projekte umgesetzt sein.
Beim Arsenal reicht die Planung ins Jahr 2006 zurück. Damals wurde ein Wettbewerb für junge Architekten ausgelobt, der neben der Umnutzung der Torre di Porta Nuova auch den Bau einer neuen Brücke über das Bassin und die Umnutzung von zwei benachbarten Hallen zum Gegenstand hatte. Den ersten Preis für den Turm errangen Francesco Magnani und Traudy Pelzel, die ihr gemeinsames Büro unter dem Si­gnet MAP führen. Ihre Planung ist zum ersten Bauabschnitt der „Second Chance“ in Venedig bestimmt worden, eine der beiden Hallen – sie trägt die Nummer 105 – soll im Herbst fertiggestellt werden. Die andere Halle und die Brücke werden in absehbarer Zeit wohl nicht realisiert.
Magnani und Pelzel sind Venezianer, die fest an eine Zukunft für ihre Heimatstadt glauben, der schon so oft der Untergang prophezeit wurde. Zwar seien die Kosten des Lebens­unterhalts im Stadtzentrum in den letzten Jahren spürbar ge­stiegen, aber die Kinder in einem autofreien Umfeld mit allen Angeboten des täglichen Bedarfs in fußläufiger Entfernung aufwachsen zu lassen, wiegt das in ihren Augen auf – ein Aspekt, mit dem Venedig in der Debatte um die emissionsarme Stadt in den nächsten Jahren neue Aufmerksamkeit zuteil werden könnte. Das Projekt für die Torre di Porta Nuova könnte durchaus zum Symbol werden für eine solche neue Aktualität Venedigs: Die Architekten erweisen zwar der historischen Substanz Respekt, in dem sie die Eingriffe beschränken und aus der Struktur des Vorgefundenen entwickeln, zeigen aber keine Scheu davor, diese Eingriffe als erkennbar zeitgenössisch zu artikulieren – eine Haltung, die sich auf dem Gelände des Arsenals vielleicht weniger Widerstand gegenüber sieht als im Rahmen eines mittelalterlichen Palazzo.
Dreigeteilt in Grundriss und Schnitt
Konferenzraum, Studienzentrum, Ausstellungsbereich, Büros und eine öffentliche Dachterrasse – das sind die wesentlichen neuen Funktionen, die unterzubringen waren. Die Trapezform des Grundrisses und der basilikale Querschnitt legten die Entscheidung nahe, im schmalen rechteckigen „Seitenschiff“ die Nebenräume anzuordnen (Garderobe, Aufzug, WC im Erdgeschoss, Büros im Dachgeschoss), die sich aufweitende Zone im Osten hingegen für Konferenzbereich (im Sockel) und Studienzentrum (im Dach) zu nutzen. Dazwischen liegt der Ausstellungsbereich, der sich über die gesamte Breite des Grundrisses erstreckt – und vor allem über die ganze Höhe des Turmschafts. Die Größe dieses Raumes und die Wucht der ihn überspannenden Bögen werden durch das Dämmerlicht, das im Treppenaufgang des Sockels herrscht, noch betont. Man kann nur hoffen, dass die Kuratoren, die hier künftig Ausstellungen einrichten dürfen, diesen Raum zur Gänze zu nutzen wissen und sich nicht auf ein paar Stellwände auf dem Boden beschränken: Hier haben Großformate Platz, Skulpturen und raumgreifende Installationen.
Altes und Neues ausbalancieren
Magnani und Pelzel haben sich diesen gewaltigen Raum auf ihre Weise angeeignet: Mit einer wuchtig-massiven Stahltreppe in der Nordostecke und einer gestreckten Rampe im Kopf des Turms; beide sind von den Außenwänden jeweils abgerückt und miteinander verbunden über einen von den Architekten „Bypass“ genannten Steg unterhalb der verglasten Fuge, die Seiten- und Mittelschiff voneinander trennt und Tageslicht über die Ziegelwände streifen lässt. Beim Hinaufsteigen durchschreitet der Besucher verschiedene Raumsituationen, die sich aus der jeweiligen Lage der Treppenläufe und Podeste im Schaft ergeben; besonders eindrucksvoll ist die oberste Kehre mit ihrer gedrückten Dimension unterhalb des kantig-geneigten Unterbodens des Studienzentrums, das darüber hängt, im Tragwerk des neuen Daches. Die enge Stiege, die sich an die großzügig gestreckte Rampe anschließt, ist dann eine weitere Raumstauchung, bevor sich auf der Terrasse der Blick über das Arsenal und die Stadt öffnet.
Bei der Behandlung der Oberflächen ist es den Architekten gelungen, die rauhen Wände des alten Kranturms mit den neuen Zutaten ins Gleichgewicht zu bringen; weder suchten sie den größtmöglichen Kontrast noch die Verschleifung der Zeitschichten. Dies zeigt sich am Nebeneinander von stählerner Treppe und Ziegelwand wie bei den Betonoberflächen im Sockel: Sie wurden mit einer historischen Technik ohne die heute üblichen Verankerungslöcher erstellt, da die Schalung gegen die Außenwand abgestützt werden konnte – ein Detail, das durchaus stellvertretend für das Ganze zeigt, wie sich Altes und Neues in der Torre di Porta Nuova seit kurzem ergänzen.



Fakten
Architekten magnani + pelzel, Venedig
Adresse 30122 Venedig, Italien


aus Bauwelt 20.2011
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