Bauwelt

Der Justizpalast von Paris


Der 160 Meter hohe Glasturm von Renzo Piano und seinem Büropartner Bernard Plattner wird Ende April bezogen. Er ist das Gegenstück zur Tour Montparnasse von 1974.


Text: Scoffier, Richard, Paris


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    Blick von Osten. Rechts der Boulevard Périphérique an der Porte de Clichy im Norden von Paris. Der Turm treppt sich zur Innenstadt ab.
    Foto: RPBW, Sergio Grazia

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    Blick von Osten. Rechts der Boulevard Périphérique an der Porte de Clichy im Norden von Paris. Der Turm treppt sich zur Innenstadt ab.

    Foto: RPBW, Sergio Grazia

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    Der schlanke Turm ist von der Pariser Innenstadt auch aus großer Entfernung zu sehen.
    Foto: Laurent Zylberman

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    Der schlanke Turm ist von der Pariser Innenstadt auch aus großer Entfernung zu sehen.

    Foto: Laurent Zylberman

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    Der Martin-Luther-King-Park ist das Naher­holungsgebiet vom neuen Quartier Clichy-Batignol­les an der Porte de Clichy. Zwischen Justizpalast und dem höher liegenden Park verläuft der Boule­-vard Berthier.

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    Der Martin-Luther-King-Park ist das Naher­holungsgebiet vom neuen Quartier Clichy-Batignol­les an der Porte de Clichy. Zwischen Justizpalast und dem höher liegenden Park verläuft der Boule­-vard Berthier.

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    Die Eingangs- und Wandelhalle nimmt die Höhe von 27 m des vorgesetzten Gebäudeblocks ein. Der zentrale Gang ist 175 m lang. Die runden Dachfenster bilden sich als weiße Hauben im Terrassengarten vom 8. Obergeschoss ab.
    Foto: Michel Denancé

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    Die Eingangs- und Wandelhalle nimmt die Höhe von 27 m des vorgesetzten Gebäudeblocks ein. Der zentrale Gang ist 175 m lang. Die runden Dachfenster bilden sich als weiße Hauben im Terrassengarten vom 8. Obergeschoss ab.

    Foto: Michel Denancé

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    Als Bäume wurden Eiche, ...
    Foto: RPBW, Francesca Avenzinelli

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    Als Bäume wurden Eiche, ...

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    ... Ahorn und Birke gewählt.
    Foto: Laurent Zylberman

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    ... Ahorn und Birke gewählt.

    Foto: Laurent Zylberman

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    Das große Auditorium im Erdgeschoss. Alle Säle sind mit hellen Akustikwänden aus Buchenholz verkleidet.
    Foto: Laurent Zylberman

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    Das große Auditorium im Erdgeschoss. Alle Säle sind mit hellen Akustikwänden aus Buchenholz verkleidet.

    Foto: Laurent Zylberman

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    Einer der Gerichtssäle mit den weißen Zuschauer­bänken.
    Foto: RPBW, Stefano Marrano

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    Einer der Gerichtssäle mit den weißen Zuschauer­bänken.

    Foto: RPBW, Stefano Marrano

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    Visualisierung der noch nicht ferti­-gen Bibliothek auf zwei Ebenen.
    Visualisierung: RPBW

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    Visualisierung der noch nicht ferti­-gen Bibliothek auf zwei Ebenen.

    Visualisierung: RPBW

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    Ausblick auf eine der Terrassen. Das Gebäude wird durch 805 Kameras gesichert.
    Foto: RPBW

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    Ausblick auf eine der Terrassen. Das Gebäude wird durch 805 Kameras gesichert.

    Foto: RPBW

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    Teilweise befinden sich in den Zwischenzonen der Büros entlang der Fassaden Besprechungsräume.
    Foto: Laurent Zylberman

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    Teilweise befinden sich in den Zwischenzonen der Büros entlang der Fassaden Besprechungsräume.

    Foto: Laurent Zylberman

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    Detailansicht der Ostfassade mit dem Panorama­aufzug und den vorgesetzten Solarpaneelen, die eben­falls dazu beitragen, den 160 Meter hohen Turm zu untergliedern.
    Foto: RPBW, Sergio Grazia

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    Detailansicht der Ostfassade mit dem Panorama­aufzug und den vorgesetzten Solarpaneelen, die eben­falls dazu beitragen, den 160 Meter hohen Turm zu untergliedern.

    Foto: RPBW, Sergio Grazia

Wie baut man Justiz? Wie baut man einen Ort, wo man darüber entscheidet, ob einer seine Freiheit verlieren soll, weil er die Regeln dieser Stadt gebrochen hat? Seit sich das Recht losgelöst von der politischen Macht behauptet, ab dem 18. Jahrhundert also, gilt es die Antwort auf solche Fragen zu finden. Seitdem sind in Frankreich die Architekten der Aufklärung, Etienne-Louis Boullée etwa oder Claude-Nicholas Ledoux, auf der Suche nach einer angemessenen Architektur für die unabhängige Gerichtsbarkeit, die „selbstbewusst“ für sich spricht und zugleich ein eigenständiges architektonisches Idiom entwickelt. Ihre Bauten hatten Modellcharakter, in der Folge fanden sich alle großen Städte ausgestattet mit Gebäuden, deren Freitreppen zu monumentalen offenen Säulenhallen hinauf führen, von denen aus man in die Gerichtssäle schreitet. Erst in den fünfziger Jahren wurde diese Typologie zugunsten der Cités Judiciaires aufgegeben, betont sachlichen Verwaltungskomplexen.
Seit knapp zwei Jahrzehnten allerdings wird das alte Modell wiederentdeckt und neu aufgelegt. Etwa durch Jean Nouvels Palais de Justice von Nantes (Bauwelt 39.2000), der in übersteigern­-der Manier an die monumentalen Visionen von Boullée anknüpft, oder auch durch Richard Rogers in Bordeaux (Bauwelt 27.1998), in dessen frei stehenden, kegelförmigen Holzkapseln Richter, Angeklagte und Publikum hochsteigen müssen.

Von der Ile de la Cité zum Boulevard Périphérique

Die Pariser Gerichtsbarkeit residiert seit dem 13. Jahrhundert auf der Ile de la Cité. Längst drohte der Kollaps in den völlig überlasteten historischen Gemäuern mit ihren endlosen Fluren, die sich auf immerhin 24 Kilometer addieren. Bereits zur Jahrtausendwende war es beschlossene Sache, die inzwischen teils weit über das gesamte Stadtgebiet verstreuten Abteilungen des Gerichts an einem Standort zusammenzuführen. Nur die Sondergerichte, also Schwurgericht, Berufungsgericht und die Cours de cassation (in Deutschland der Bundesgerichtshof), würden weiterhin am ursprünglichen Ort verbleiben.
Man entschied sich für die Porte de Clichy zwischen dem neuen Stadtteil Batignolles und dem Boulevard Périphérique. 2010 wurde der Public-Private-Partnership-Wettbewerb ausgelobt, den das Gespann Renzo Piano (RPBW) mit dem Konzern Bouygues Bâtiment gewannen.
In der Auslobung war gefordert, Büroturm und Verhandlungssäle räumlich voneinander zu trennen und zugleich einen Vorschlag für die architektonische Darstellung des Leitmotivs Justiz/Gerichtsbarkeit zu entwickeln. Rem Koolhaas schlug zum Beispiel eine Variation über das Thema Ausgleich vor: einen wie ein Schlagstock oben breiteren Büroturm, an dessen Basis zwei Sockelgebäude mit den Strafgerichten im Inneren und den Zivilkammern im äußeren Bereich angeordnet sind.
Renzo Piano, der Architekt des Siegerentwurfs, hatte hoch gepokert: Auf die Gefahr hin, gleich zu Beginn aus dem Rennen geworfen zu werden, schlug er einen Sockelbau für die Gerichtssäle vor – und setzte dann den Büroturm einfach oben darauf. Auf diese Weise ergab sich nur ein einziges Bauvolumen, das dann seiner großen Höhe wegen weithin sichtbar ist. Um diese Lösung anbieten zu können, musste das Ensemble mit zwei sehr eng gefassten – und teils durchaus widersprüchlichen – Regelwerken konform gebracht werden: den Auflagen für Turmbauten auf der einen und den Bauvorschriften für Gebäude öffentlicher Nutzung mit viel Publikumsverkehr auf der anderen Seite.
Zugleich aber wurde durch dieses simple Aufeinanderstapeln der beiden Hauptelemente aus dem Nutzungsprogramm und gerade wegen des daraus resultierenden „Schönheitsfehlers“ – der großen Höhe von 160 Metern – die Antwort auf die Frage nach einer symbolischen Deutung des neuen Baus unmittelbar beantwortet, ohne sich wie die Mitbewerber in teils überinterpre­tierend-geschwätzige Architektur zu verlieren.
In der Folge scheinen dann alle Anstrengungen des Entwerfers darauf zu fokussieren, die Wirkung des massigen Baus auf die umgeben­de (Stadt-)Landschaft zu dämpfen. Da ist zunächst das Aufbrechen in drei Teile, wobei die getreppten Rücksprünge der Blöcke in sehr prononcierter Weise in Richtung Stadt ausgearbeitet, an der Fassade nach Clichy hin jedoch so gut wie nicht mehr ablesbar sind. Die Baukörper werden über tiefe Einschnitte voneinander abgesetzt, wobei weit auskragende Zwischenebenen die Last des darüber liegenden Blocks auf den tragenden Gebäudekern ableiten. An diesen Einschnitten nehmen Dachgärten den Terrassengarten der Sockelpartie wieder auf.
Eine zweite Strategie für eine optische Auflösung der Gebäudemasse führt die gläsernen Vorhangfassaden der Längsseiten weit über die Gebäudekanten hinaus. Ein solches „Verwischen“ der Kanten verleiht den klotzigen Bauquadern eine gewisse Leichtigkeit. Abhängig von Tagesstimmung und Lichteinfall kann der Bau im wolkenverhangenen Grau eines Regentages verschwinden, bei klarem Himmel dagegen scheinen die drei massiven Blocks auf surrealistische Manier nahezu schwerelos im Raum zu schweben.
In den Bauten von Renzo Piano schwingt seit Jahrzehnten immer ein gewisses Etwas mit, liegt quasi „im Raum“: eine Art Versprechen, dass alle Anspannung und alle Gegensätze aufgehoben sein können. Vom versteckt gelegenen Clarissenkloster in Ronchamp über den Flughafen Kansai von Osaka bis hin zu den Sozialwohnungen der Rue de Meaux in Paris oder der Fondation Beye­-ler – immer erfährt man bei Renzo Piano diese Helligkeit, ohne Schattenwurf, ohne Kontraste. Eine Helligkeit, aus der jene sonst so unterschiedlichen Bauten dieselbe heitere und gelassene Gestimmtheit ableiten.
Auch beim Betreten der hohen Eingangshalle des Zivilgerichts werden die von oben in die Decke gestanzten Rundöffnungen einfallenden Lichtmassen durch die Helligkeit der bodentiefen Glasfront zum östlichen Vorplatz sofort ab­gefangen, diffundiert. Über Rolltreppen gelangt man von hier in die 90 Gerichtssäle, die meist ebenfalls vom natürlichen Tageslicht profitieren. Das Licht fällt ein über das Atrium im Rücken der Zuschauer und von der Außenfassade hinter dem Richtertisch. Diese bewusste Ausarbeitung der Lichtverhältnisse, mit der wohl Spannung abgebaut und eine Entkrampfung bewirkt werden soll, wird in der internen Wegeführung fortgesetzt. Auch die Wegeplanung bietet Besonderes. Während das Publikum die Gerichtssäle über die zentrale Eingangshalle betritt, führt der Weg für die Richter über einen Außenflur entlang der Glasfassade, über den auch die Beratungsräume erschlossen werden. Die Angeklagten dagegen kommen über direkt an die Säle angrenzende Wartezellen, deren Zugang über eigens reservierte Aufzüge über das Tiefgeschoss erfolgt.
Hängende Gärten, Licht ohne Schatten, Rolltreppen, die die Besucher nach oben tragen, eine allgegenwärtige Transparenz, die nur hier und da mit zugezogenen Vorhängen oder dickem Panzerglas korrigiert werden muss: Das sind die Puzzlesteine, mit denen Renzo Piano arbeitet, um die an diesem Ort gefällten Urteile irgend menschlicher wirken zu lassen.
Das Statement ist deutlich: weniger Richtstätte, mehr Flughafen, Einkaufspassage oder Kli­nikum; ein Gerichtsgebäude, das sich bewusst der Versuchung entzieht, die Justiz durch ar­chitektonischen Duktus legitimieren zu wollen.
Aus dem Französischen von Agnes Kloocke



Fakten
Architekten RPBW, Renzo Piano Building Workshop, Genua/Paris
Adresse 29-45 Avenue de la Porte de Clichy, 75017 Paris, Frankreich


aus Bauwelt 8.2018
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