Bauwelt

Hotel an der Bernauer Straße


Klare Raumgrenzen schaffen


Text: Weinz, Fanziska, Berlin


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    Foto: Doris Spiekermann-Klaas

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Einst geteilte Stadt, heute schillernde Touristenmetropole – diese beiden Aspekte Berlins hat sich der Verein Schrippen­kirche gegenüber der Mauergedenkstätte an der Bernauer Straße zu Nutze gemacht. Steiner Weißenberger haben ein unrentables Altenheim zum Hotel umgebaut und dabei Resträume aufgelöst.
Berlin, an der berühmten Bernauer Straße, Ecke Ackerstraße, direkt an der Gedenkstätte der Mauer. An keiner anderen Stelle in der Stadt ist die Erinnerung an die Teilung noch so frisch oder besser gesagt: wieder so aufgefrischt. Der massive städtebauliche Eingriff, den der einstige „antifaschistische Schutzwall“ darstellte, wird inzwischen nirgends stärker inszeniert als hier; fast fühlt man sich in eine Art Open-Air-Themenpark zum Kalten Krieg versetzt. Nach und nach hat sich das Gedenken an die Teilung auf verschiedene Weise baulich manifestiert. Das Gemeindezentrum der Versöhnungskirche aus dem Jahr 1965 wurde zum Dokumentationszentrum Ber­liner Mauer umgebaut, die Stuttgarter Architekten Kohlhoff & Kohlhoff verwirklichten das Denkmal Berliner Mauer (Bauwelt 29.1997); 2000 wurde die „Kapelle der Versöhnung“ eingeweiht, entworfen von Rudolf Reitermann und Peter Sassenroth (Bauwelt 43–44.2000); bis 2012 soll der 2006 beschlossene „erweiterte Ort der Erinnerung an die Mauer“ fertig gestellt sein, für den die Landschaftsarchitekten sinai Faust.Schroll.Schwarz mit Mola Winkelmüller und Christian Fuchs den Zuschlag in einem internationalen Wettbewerb erhielten (Bauwelt 3.2008). Ein Großteil dieser Erinnerungswelt aus Cortenstahl ist bereits verwirklicht und lockt täglich mehr Touristen in die Gegend. Doch bei allem Trubel stoßen hier noch immer zwei verschiedene Gesellschaftsschichten aufeinander: die durchsanierte und gentrifizierte Mitte und der migrantisch geprägte Wedding. Oder, architektonisch betrachtet: Die heile Altbau- und egozentrische Townhouse-Welt und die Sozialwohnungsbauten, die auf die Kahlschlagsanierung der alten Mietshausbebauung durch den West-Berliner Senat in den siebziger Jahren folgten. Die Grenze entspricht dem Verlauf der Mauer auf dem südlichen Bürgersteig der in Ost-West-Richtung verlaufenden Bernauer Straße. Das „Hotel Grenzfall“ stellt eine Art Verknüpfung der beiden Welten dar: Ein schäbig anmutendes Seniorenheim auf der Weddinger Seite wurde zum Hotel umgebaut.
Cortenstahl versus Kupfer
Der Entwurf des jungen Berliner Architekturbüros Steiner Weißenberger knüpft an das gebietsprägendste Element – die Gedenkstätte – an. In der Verlängerung der Cortenstahlmauer des Denkmals haben die Architekten in farblicher Anlehnung ein sich faltendes Kupferband angeschlossen. Erhebungen betonen jeweils die Eingänge zu den drei wichtigsten Teilen des umgebauten Altenheims: Bistro, Hotel und Restaurant. Die ineinander gefalzten Kupferblechrauten des Bandes überdecken eine gedämmte, tragende Holzkonstruktion, die im Inneren sichtbar wird. Zwischen den Anbauten bilden sie eine niedrige Mauer, welche die bislang durch das Vor- und Zurückspringen der Fassade undefinierten Außenräume zu Vorgärten fasst und so eine klare Trennung von privatem und öffentlichem Raum schafft. Die kupfernen Zugänge stellen sich zwar in den Kontext der gegenüberliegenden Gedenkstätte, imitieren diese aber nicht. Im Sockelbereich direkt mit dem Dokumentationszentrum an der Bernauer Straße verbunden und interagierend, öffnet sich die erste Erhebung, das Bistro, mit einer Pfosten-Riegel-Fassade zur Bernauer Straße. Schon durch ihre Farbigkeit machen die Anbauten auf die erfolgte Umnutzung aufmerksam und ziehen Neugierige in die Ackerstraße hinein. Eine zusätzliche Fassadensanierung des Siebziger-Jahre-Baus hätte diese Wirkung noch steigern können.
Aufgrund der schlechten Bausubstanz wurde das Gebäude im Inneren von Grund auf saniert. Nur die tragenden Wände blieben stehen, das Geschoss drumherum wurde in klare Räume unterteilt. Die Haustechnik wurde komplett erneuert.
Betritt man die zweite Auffaltung – das Hotelportal – wird man, wie schon im Bistro, von einem frischen Orange begrüßt, das an die Entstehungszeit des Gebäudes anknüpft. Im Gegensatz dazu steht die dunkle Möblierung. Aufgrund der hellen, gelben Decke wirkt das Erdgeschoss höher, und die engen Räume werden mittels an den Wänden angeordneter Spiegel optisch geweitet. Durch die Bar gelangt man zum Restaurant, dessen Haupteingang an der Straße die dritte Erhebung bildet und sich nach Westen zum Garten öffnet.
Integrieren mit Farbe
Der Bauherr kann auf eine weit zurückreichende karitative Geschichte verweisen. Im Jahr 1901 war der 1882 gegründete heutige Verein „Schrippenkirche e.V.“ in die Ackerstraße, nördlich der Bernauer Straße, gezogen; wofür der Verein berühmt geworden war und seinen Namen erhielt, waren die sonntäglichen Gottesdienste mit Obdachlosenspeisungen, die aus zwei Schrippen und einer Tasse Kaffee bestanden. Dieser so­ziale Gedanke sollte beim „Hotel Grenzfall“ trotz Nutzungs­änderung erkennbar bleiben. Deshalb wurde neben dem weiterhin bestehenden Behindertenheim das Konzept eines „In-
tegrationshotels“ umgesetzt: Ein Großteil der Angestellten sind Menschen mit Behinderungen, und das Hotel ist vollkommen barrierefrei gestaltet; vier Zimmer sind behindertengerecht ausgestattet. Deutschlandweit gibt es inzwischen 26 weitere Integrationshotels. Die „barrierefreien“ Details, die nicht nur für die Besucher, sondern vor allem für die Mitarbeiter gedacht sind, ziehen sich durchs gesamte Hotel: die Fußleiste mit ihrer außergewöhnlich Höhe von 35 Zentimeter soll die Wand vor dem Aufprall eines Wäschewagens schützen; die Zimmerausstattung ist robust, reduziert und massiv, der PVC-Fußbodenbelag pflegeleicht, und bei der Gestaltung der Rezeption wurde auf eine rollstuhlgerechte Tresenhöhe geachtet. Für manche Besucher mögen die Farben, vor allem die im Erdgeschoss, aufdringlich wirken, doch auch sie haben einen tieferen Sinn. Speziell Sehbehinderten bietet das ausgeklügelte Farbkonzept Orientierung. In jeder Etage wird man von einem anderen Farbton empfangen, so ändert sich die Wirkung von Geschoss zu Geschoss.
Die jeweilige Farbe zieht sich nicht nur über Decke und Boden des Flurs, sondern auch in die Hotelzimmer und Bäder hinein. Betritt man ein Zimmer, wird man durch die Farbgebung zum Bett und im Bad zu Spiegel und Waschbecken geleitet, denn genau diese Wände sind in den Zimmern zusätzlich zu Decke und Boden farbig angelegt. Die dominante Farbigkeit wird durch die eigens entworfenen, dunklen, schlichten Möbel aus Räuchereiche und die dunkel gestrichenen Fensterrahmen gebrochen. Um dauerhaft mit ihnen zu wohnen, mögen die Farben zu kräftig sein, doch für ein Hotel mit den kurzen Aufenthaltszeiten der Besucher bieten sie einen einprägsamen Wiedererkennungswert.
Nicht nur mit der Substanz gingen die Architekten respektvoll um, auch die Geschichte der Mauer und der Schrippenkirche wurde ernst genommen. Überall findet man historische Fotografien, zusätzlich sind in Vitrinen Fundstücke der 1985 auf dem Todesstreifen gesprengten Versöhnungskirche ausgestellt. Man merkt, dass sich die Architekten intensiv mit dem Vorhandenen und dem Vergangenen, mit dem Gedanken der Integration und mit der spezifischen Charakter der Umgebung auseinandergesetzt haben. Mit einem knappen Budget von 2,3 Millionen Euro wurde eine angenehme Reduzierung aufs Wesentliche erreicht.



Fakten
Architekten Steiner Weißenberger Architekten, Berlin
Adresse Bernauer Straße 110 13355 Berlin


aus Bauwelt 46.2011
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