Bauwelt

Havelland-Grundschule


Lernen in der Schallschutzwand


Text: Ballhausen, Nils, Berlin


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    Werner Huthmacher

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Als „black back“ bezeichnen Augustin und Frank Architekten ihren Erweiterungsbau der Havelland-Grundschule in Berlin-Schöneberg. Ihr konsequent umgesetztes Konzept der Gegensätze bietet jedoch mehr als einen schwarzen Rücken.
Im Berliner Bezirk Schöneberg-Tempelhof besteht ein Überangebot an schulischem Raum. Der aktuelle Schulentwicklungsplan prognostiziert bis zum Schuljahr 2017/18 knapp zehn Prozent weniger Grundschüler an staatlichen Einrichtungen. Manche Schulen werden daher zusammengelegt, die Einzugsgebiete ausgedehnt. Das hat zur Folge, dass andere Schulen zu wenig Platz haben und erweitert werden müssen, wie beispielsweise die Havelland-Grundschule an der Kolonnenstraße. Laut Prognose werden hier 2015 knapp 600 Schü-ler der Klassen 1 bis 6 in 3,5 Klassenzügen Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. 
 
Es wird laut

Im heutigen Schulbau wirkt meist ein für Nichteingeweihte schwer zu durchschauendes Bündel an Fördermaßnahmen mit. Neben dem bundesweiten Ganztagsschulprogramm, aus dem hier unter anderem eine Mensa mit Schulküche finanziert wurde, und dem Programm „Stadtumbau West“, das die Umgestaltung der Außenanlagen ermöglichte, war es vor allem das „Programm zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW)“, das zwar nichts mit Bildung zu tun hat, indirekt aber großen Einfluss auf die Gestalt dieses Erweiterungsbaus hatte. Durch EFRE-Geld war es möglich, die östlich an das Schulgelände grenzende Privatstraße so auszubauen, dass sie eines Tages das benachbarte Gewerbegebiet an die Stadtautobahn anschließen kann. Mit anderen Worten: Irgendwann wird es dort recht laut werden.
Der Erweiterungsbau hat insofern auch die Aufgabe, den Schulhof gegen den Verkehrslärm abzuschirmen. So ist die Ausrichtung des Gebäude selbstverständlich: alle Klassenräume zum Hof, die Flure entlang der Zubringerstraße. Georg Augustin und Ute Frank, die 2007 das Auswahlverfahren des Bezirksamts für sich entschieden, hatten offenbar keine Hemmungen, sich vom Formenkanon der Lärmschutzwände inspirieren zu lassen. Die schroffe Ostfassade ist von übergroßen Glasflächen zerteilt, so wie man es hin und wieder an Bahntrassen sieht, wo den Hinterliegern etwas Licht zugestanden wird. Selbstverständlich geht hier alles raffinierter zu, es gibt einiges zu entdecken: Man sieht – wie im gesamten Gebäude – keine Blechabdeckungen, das Regenwasser sammelt sich in einer verborgenen Kehle und wird an der tiefsten Ecke des Glaspolygons über einen kleinen Speier abgeführt. Die riesigen Öffnungen ersetzen die Dehnungsfugen. Der massive
Beton, der den Schall gestreut reflektieren muss, ist mit einemLochmuster aufgeraut (eine Matrize aus Dränagebahnen wurde in die Schalung gelegt). Diese 275 Millimeter starke Rückwand steht für sich und erscheint wie das Gegengewicht des weit auskragenden Klassenraums an der Hofseite. Er markiert den Eingang und bietet Schutz in der Regenpause. Vom Hof aus ist das Gebäude vor lauter alten Bäumen kaum in ganzer Länge zu überblicken, wie es sich überhaupt der schnellen Erfassung verweigert. Die nördliche Hälfte ruht auf einem Sockel, der ebenfalls mit polygonalen  Öffnungen aufgebrochen ist: die Mensa, der einzige „durchgesteckte“ Raum, ein Mittler zwischen dem Ruhigen und dem Lauten. Hier wird deutlich, dass die Architekten der Dualität ihres Konzepts bis in die Konstruktion gefolgt sind: Die Lärmschutzwand ist innen gedämmt, zeigt also eine „weiche“ Oberfläche, die Hofwand ist außen gedämmt, ihr „harter“ Beton bleibt innen sichtbar. Diese Inversion des Wandaufbaus zog indes einen baulichen Mehraufwand nach sich, um Kältebrücken zu vermeiden.
Ein weiterer Grund für diese besondere Konstruktion ist im Bestand zu finden: Bis zu ihrer Erweiterung beschränkte sich die Havelland-Grundschule auf zwei Ziegelbauten aus der Zeit um 1900, die erst als Kaserne, später als Altenwohnheim gedient hatten; beide sind später für die Schulnutzung mit einem Korridor verbunden worden. Im Süden des Grundstücks hingegen steht die Sporthalle, bei der (erfolglos) versucht wurde, einen Bezug zum Backstein herzustellen. Augustin und Frank, ohnehin keine Verfechter simplen Verblendens, neutralisieren ihr Gebäude in diesem Ensemble – nicht nur durch die Materialwahl, sondern auch durch die Farbgebung. Der Beton der Schallschutzwand wurde anthrazitfarben gestrichen, denselben Farbton erhielt die PU-Beschichtung der Fassadenplatten an der Hofseite, ein Farbton, den wegen der Wärmeabsorption keine WDVS-Fassade aushalten würde.
Die äußere Flugzeugträger-Anmutung kontrastiert mit lichten, freundlichen und – trotz hellgrün und rosa gestrichener Wände – überaus erwachsenen Innenräumen, die den ältesten Grundschülern vorbehalten sind. Die tief nach unten gezogene Verglasung vermittelt den Eindruck, man stünde im Geäst. Schüler, die dieses Bauwerk einmal verlassen müssen, sind zu bedauern, dürfen später aber behaupten: „Als es am schönsten war, bin ich abgegangen.“



Fakten
Architekten Augustin und Frank Architekten, Berlin
aus Bauwelt 35.2010
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