Bauwelt

Guggenheim Lab-Pavillon


Fliegender Werkzeugkasten


Text: Schmidt, Marika, Berlin; Klingbeil, Kirsten, Berlin


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    Foto: Paul Warchol, Solomon R. Guggenheim Foundation

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    Foto: Atelier Bow-Wow

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    Foto: Atelier Bow-Wow

Die Auseinandersetzungen um den neuen Berliner Standort und die Ziele der Auftraggeber haben das „BMW Guggenheim Lab“ ins Gerede gebracht. Wie sieht es aus mit der innovativen Struktur, die sich die japanischen Architekten Atelier Bow-Wow in Rekordzeit ausgedacht haben? Taugt Carbon als Material für einen zerlegbaren Veranstaltungspavillon?
Im September 2010 wurden die japanischen Architekten Momoyo Kaijima und Yoshiharu Tsukamoto und ihr Atelier Bow-Wow eingeladen, für die Auftraggeber BMW und Guggenheim eine mobile Raumstruktur zu entwickeln. Anders als bei ihren üblichen, viel größeren Bauvorhaben waren die Bauherren auf der Suche nach jüngeren – allerdings auch schon etablierten – Architekten, mit deren Namen sich keine formalästhetischen Erwartungen an das Bauwerk verbanden. Man war auf der Su­che nach einer unaufgeregten und zugleich zweckmäßigen Struktur, die dem Workshopcharakter des „Labs“ gerecht wird und einen öffentlichen Raum für verschiedene Aktivitäten schafft. „Sie fragten nach einer Architektur, die nicht ikonografisch ist und doch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregt“, erklärt mir Yoshiharu Tsukamoto. Die Architekten entwickelten einen wandelbaren Ereignisraum ähnlich dem ei­ner Bühne: Ein nach unten offenes Raumvolumen, dreißig Meter lang, sechs Meter breit und vier Meter hoch, wird angehoben und von sechs  filigranen Stützen getragen. Die Seitenflächen sind mit schwarzem PVC-Netz bespannt, den Wet­ter­abschluss bildet eine transluzente PVC-Membran. Nach unten wird der angehobene Baukörper von einem umlaufenden Wartungsgang eingefasst.
Toolbox mit Seilzügen
Dieses Volumen beherbergt keine Räume im üblichen Sinn, sondern ist eine Art Oberbühne – von den Architekten Toolbox genannt – die aus einer filigranen Tragstruktur gebildet wird, an der sämtliche Technik befestigt ist. Mittels Seilzügen werden Mobiliar und Szenenbilder in der Toolbox sichtbar verstaut und bei Bedarf innerhalb kürzester Zeit im Bühnenraum ausgetauscht. Die Szenerie auf der Bühne, der eigentlichen Programmfläche, wechselt im Laufe eines Tages mehrmals. Die Nebennutzungen wie Café, Büro und sanitäre Einrichtungen sind in einfachen „Hütten“ untergebracht und wer­den in der Nähe des Labs aufgestellt – sie haben eine Formensprache, die „aus städtischen und ländlichen Kontexten bekannt ist“ (Guggenheim).
Die sichtbare Tragstruktur der Toolbox besteht aus ei­nem Raumfachwerk aus mit Kohlefasern verstärktem Kunststoff, CFK. „Da sich die gesamte sichtbare Raumstruktur über den Köpfen der Besucher befindet, war es uns wichtig, ein Material zu benutzen, das Leichtigkeit vermittelt. Außerdem ist Carbon in der Architektur noch ein unbekannter Baustoff. Es hat uns gereizt, etwas Neues auszuprobieren. Anfänglich hatten wir sogar mit dem Gedanken gespielt, das Publikum am Aufbau der Konstruktion zu beteiligen“, so Tsukamoto.
Nachdem im Dezember 2010 der Entwurf und als Material das auf Zug hoch beanspruchbare Carbon feststanden, blieben gut drei Monate Planungszeit für die Tragstruktur – sehr wenig für eine innovative Konstruktion. Bereits im April 2011 erfolgte die Produktion, im Juni begann der Aufbau, und am 3. August 2011 wurde das Lab in New York eröffnet. In der kurzen Entwicklungs- und Planungszeit musste das Gebäude alle nötigen Genehmigungs- und Zustimmungsprozesse durchlaufen. Da nie zuvor ein Gebäude aus Carbon realisiert wurde, fehlten die notwendigen Erfahrungswerte genauso wie die materialspezifischen Sicherheitsfaktoren, die als Bemessungsgrundlage für das Tragwerk hätten dienen können. Dazu kam die Schwierigkeit, dass die bei der Fertigung von Carbonelementen üblichen Klebeverbindungen im Hochbau nicht üblich sind.
In Anbetracht der kurzen Entwicklungszeit entschied man sich, die ohnehin an einen Stahlbau erinnernde Struktur als vorgespannte Mischkonstruktion aus Stahl und Carbon auszuführen; die rechteckigen Fachwerkstäbe wurden mit Flanschen aus massiven Stahl versehen. „Die beiden Stabenden in Stahl sind mittels Stahlstangen untereinander verspannt. So können die angeschweißten Laschen nicht nur Zug und Druckkräfte, sondern auch Querkräfte aufnehmen. (...) Durch die gegenseitige einfache Vorspannung der Knoten wurde eine einfache mechanische Verbindung erreicht, ohne zusätzliche ungünstige Kräfte in den Carbonstab einzuleiten“, so erläutert es Josef Kurat aus Zürich, unter dessen Leitung Auslegung und 1:1-Belastungsversuche der Carbonelemente durchgeführt wurden. Das auf Druck wenig beanspruchbare Carbon wurde einfach „überdrückt“ und dient als Abstandhalter. Die Autoren sind auf den Einsatz von Carbon für die Gebäudestruktur des Labs trotzdem sehr stolz. Gezeigt werde eben auch, was noch zu entwickeln sei. Die Diskrepanz zwischen der kons­truktiven Logik der Baugestalt und den Eigenschaften von Carbon bleibt bestehen: Eine auf Druck belastete Struktur wurde augenscheinlich mit einem auf Zug beanspruchbaren Material realisiert. Vielleicht sollte man den Blick eher auf die architektonischen Qualitäten der Toolbox lenken. In der schmalen Lücke am Standort in Manhattans Lower East Side wirkt die leichte Konstruktion grazil und poetisch zugleich. Da sie nur von den Schmalseiten her sichtbar ist, scheint das Lab zwischen der nachbarlichen Bebauung eingespannt. Erst wenn der Besucher unter die Konstruktion tritt erkennt er, dass er sich auf einer ganz besonderen Bühne befindet, in der es keine Unterscheidung zwischen Darstellern und Publikum gibt. Alle Anwesenden sind gleichermaßen Akteure, egal ob zufällige Passanten oder professionelle Kommentatoren des urbanen Geschehens. Kurz, der Bau selbst ist eine Aufforderung an die Macher, den Besuchern durch ein offenes Programm die Berührungsängste zu nehmen. In Berlin haben sich nach den Querelen um den aufgegebenen Standort am Kreuzberger Spreeufer die Voraussetzungen allerdings geändert: Dem neuen Standort in einem tief im Block liegenden Innenhof fehlt die Offenheit. Das Lab wird eher als mobile Bühne mit einem klassischen Setting bespielt werden: mit Akteuren auf der einen und dem Publikum auf der anderen Seite.  Marika Schmidt
Standort East Village, N.Y.
Im letzten Jahr fand das BMW Guggenheim Lab seinen Standort an der Houston Street zwischen der Lower East Side und dem East Village. In einer Baulücke, die bis an die East First Street heranreicht, wurde auf einem schmalen, T-förmigen Grundstück der Pavillon von Atelier Bow-Wow installiert. Eingespannt zwischen die beiden Straßen war der Aktionsraum von zwei Seiten aus zugänglich. Das einstige Künstlerviertel East Village ist längst vor allem eines: Szeneviertel. Die freien Kunst- und Kultureinrichtungen sind verschwunden. Neben Sozialwohnungsbauten und Obdachlosenasylen ent­stehen heute Luxuswohnungen (Heft 10.2012), die Mieten sind exorbitant. In der Nachbarschaft des Campus erweitert die New York University gerade ihren Campus, um dringend benötigen Wohnraum für Studenten zu schaffen. Für die 2,5-monatige Nutzung der Brachfläche zahlte das Museum 25.000 Dollar an das New Yorker City Department of Parks and Recreation – der ermäßigte Mietpreis für das 2000 Quadratmeter Grundstück war möglich, weil die Veranstalter 250.000 Dollar in die Aufwertung des Grundstücks investiert hatten.
Standort Pfefferberg, Berlin
Anders als in New York versteckt sich der Pavillon bei seinem Berliner Aufenthalt im Hinterhof des Kulturzentrums Pfefferberg. Zur Zeit wird aufgebaut, die Eröffnung des Labs ist für Mitte Juni geplant. Der Pfefferberg ist ein ehemaliges Brauereigelände, das Anfang der Neunziger zu einem Kulturzentrum mit Galerien, Ateliers und Restaurants umgebaut wurde. Auch Olafur Eliasson hat hier seit vier Jahren seine Werkstätten, die in dem ehemaligen Flaschenabfüll-Gebäude untergebracht sind. Der bekannteste Akteur ist die Galerie Aedes mit einer Vielzahl von Architekturveranstaltungen, Diskussionsrunden und Ausstellungen. Thematisch passt der Standort also für das BMW Guggenheim Lab.
Ein Nachteil im Vergleich zum New Yorker Standort an der Houston Street und auch zum zunächst angedachten Kreuzberger Standort an der Cuvrystraße ist der fehlende direkte Bezug zur Straße. Zufällige Passanten wird es am Prenzlauer Berg kaum geben. Es kommen die Eingeweihten und die Afficinados. Die Mietkosten für den Berliner Standort sind unbekannt, liegen aber sicher weit unter denen von New York. Kirsten Klingbeil



Fakten
Architekten Atelier Bow-Wow, Tokio
Adresse Pfefferberg, Schönhauser Allee 176, 10119 Berlin


aus Bauwelt 20.2012
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