Als Louis Fouquet die Kutscherkneipe betrat, wurden seine Sinne augenblicklich benebelt von der stickigen Luft. Es roch nach Pferd, Tabak und billigem Wein. Doch Fouquet war nicht gekommen, um seinen Durst zu löschen, sondern um den ganzen Laden zu kaufen. Das geschah 1899, in dem Jahr, als die Pariser Droschkenpferde zum ersten Mal motorisierte Konkurrenz bekamen. Aus der Kneipe Ecke Champs Elysées, Avenue George V machte Fouquet ein Restaurant und nannte es Fouquet’s, was britisch klang und der Mode entsprach, die, wie alle Moden an den Ufern der Seine, bald von der nachfolgenden weggespült wurde. Das Restaurant konnte aber seinen Namen behalten. Er wurde im Verlauf einer hundertjährigen Geschichte zum Namen einer Institution, zum Synonym von „tout Paris“. Seit 1990 steht Fouquet’s auch auf der Liste der Baudenkmäler und gehört heute zur Gruppe „Lucien-Barrière“, die ausschließlich im Bereich der Kasinos, Thermalbäder und Luxushotels operiert. Am 3. November wurde das „Fouquet’s Barrière“, ein Hotelbau mit Restaurantanschluss, eröffnet. Die Übernachtung mit Frühstück kostet 690 Euro, eine Deluxe-Suite 1900 Euro. Die Hoteliers hoffen auf einen treuen Kundenstamm aus den Golfstaaten.
Die Fusion von Hotel und Restaurant war weniger ein geschäftliches Problem als ein bauliches. Edouard François wurde gerufen, um die heterogene Bausubstanz von sieben Häusern mit unterschiedlichen Stilen und Deckenhöhen zu ordnen und für neue Aufgaben nachzurüsten. Er wurde dem bereits designierten Innenarchitekten Jacques Garcia zur Seite gestellt. Von einer Zusammenarbeit im engeren Sinn kann allerdings nicht die Rede sein. Begriffe wie Integration, konstruktive Ehrlichkeit, Korrespondenz von Innen und Außen usw. sind in den Darstellungen beider nie gefallen. Während der eine mit schweren Stoffen, weichen Teppichböden, Blattgold und besticktem Leder arbeitet, experimentiert der andere mit Gusstechniken und Löchern in Lochfassaden, die streng genommen keine sind.
Metropolen sind Brutplätze von Widersprüchen. Da diese so zahlreich sind und niemals vollständig von den Metropolenbewohnern aufgelöst werden können, müssen sie eben ausgehalten werden. Obwohl die Pariser kein besonders stoisches Volk sind, haben sie dennoch beim Ertragen des Unvereinbaren erstaunliche Leistungen erbracht. Unvereinbar sind nicht nur Rohmilchprodukte und Europa-Normen, Kinderwunsch und Mietpreis, Autodichte und Busspur, sondern auch die Forderung nach zeitgenössischer Gebäudetechnik bei gleichzeitigem Erhalt historischer Bausubstanz. Doch da es die Pariser beim schlichten Ertragen nicht belassen wollen, erfinden sie täglich neue Widersprüche. In Edourad François haben sie einen Architekten gefunden, der ihnen dabei unter die Arme greift. Der Architekt erfindet Äste aus Aluminium und Steinfassaden aus Beton; er veredelt den Kitsch und verkitscht den Luxus ; er spielt Verstecken und blinde Kuh mit Haussmann, Napoléon III, den Denkmalpflegern und seinen reichen Bauherren. Edouard François hat für die Architektur ein Gebiet erschlossen, das bisher auf die Plateaus von Film und Fernsehen beschränkt war. Er arbeitet mit Attrappen, Kulissen und Effekten. Immer so, dass sich schließlich die Widersprüche, da an Auflösung ohnehin nicht zu denken ist, zu einem bizarr-barocken Geflecht verknäulen. Das Gütesiegel Edouard François’scher Architektur ist jenes leise und leicht beschwippste Kichern, welches den vollendeten Werken entweicht und zuweilen auch auf ihre Betrachter übergeht.
Axel Sowa
Was tun mit den Fenstern?Das Ganze begann mit der Aufforderung, die Fassade zu verändern. Eigentlich ein unmögliches Ansinnen, vor allem in dem sorgsam gehüteten VIII. Pariser Arrondissement. Und zudem noch bei einem Gebäude von 1970 mit Vorhangfassade aus getöntem Glas. Im Inneren waren die Büros einer Bank gegen Hotelsuiten mit Salon, Schlafzimmer und Bad auszutauschen. Man stelle sich vor, eine Vorhangfassade vor den Bädern. Undenkbar! Aber was ist schon eine Fassade? Man bedeutete mir, ich könne an dieser Stelle ja eine ganz und gar zeitgenössische Fassade entwerfen. Wie bitte? Mein Hotel ist ein Ganzes, und ich will, dass es als solches in Erscheinung tritt!
Während ich noch an seiner inneren Logik arbeitete, fiel mir auf, dass es in der Mitte des Blocks, zu dem das Hotel gehört, so etwas wie ein Knäuel gab, auf jeden Fall einen Kern, wo eines nicht mehr zum anderen passte. Die Raster gingen nicht auf, die Struktur tendierte zum Chaos. Hier muss ich ansetzen, dachte ich mir, hier muss ich einen vorsichtigen chirurgischen Eingriff wagen und meine vertikalen Dienste etablieren, vielleicht in einer Art Turm, der alles mit allem versorgt. Damit habe ich mich aber zum Ausgangspunkt zurückkatapultiert. Denn nun habe ich es mit zwei Fassaden zu tun. Wirklich vorangekommen bin ich nicht. Und doch, wenn ich mir die ganze Sache näher betrachte, steckt so etwas wie ein Fingerzeig in diesem chaotischen Kern. Er setzt sich auf drei Seiten aus Haussmann’schen Originalen aus dem 19. Jahrhundert zusammen, dann folgt ein Quasi (ein Neo-Haussmann aus den Achtzigern, entworfen von irgendeinem großen Tier mit dem Prix du Rome), es folgt der vielversprechende chaotische Kern, in den ich meine vertikale Erschließung zu platzieren gedenke, auf den ein weiteres Quasi folgt, von dem gleichen Architekten, diesmal allerdings als Neo-Louis-Philippe. Dies alles mündet in meine Ex-Bank, und vor der hängt nun auch noch ein inadäquater moderner Überwurf.
Dennoch glaube ich in alledem einen Rhythmus zu spüren. Man könnte ihn sogar musikalisch phrasieren: a, a, a, oh, oh. Oder noch einmal anders: a, a, a, oh, a, oh, a. In den a, a, a ist etwas Ganzheitliches enthalten. Ich glaube, ich nähere mich dem, was mir vorschwebt, wenn ich mich von der Musik zur Architektur vorarbeite und das vielmalige „a“ als die Handschrift von Haussmann interpretiere und das „oh“ als Verschnitt. Die zu stopfenden Löcher liegen eindeutig im Haussmann’ schen, und das, glaube ich, macht es mir leicht.
Der Rhythmus, zu dem ich mich entschlossen habe, um den Stadtblock zu dechiffrieren, führt mich also primär auf das Werk von George Eugène Haussmann zurück und nicht auf die architektonischen Travestien meines illustren Kollegen. Deshalb schere ich mich einen Dreck um eine „zeitgenössische Architektur mit doppeltem Boden“. Das kann ich irgendwann auch irgendwo anders machen.
Also gut. Ein Haussmann’scher Entwurf !
Was sagt mir das?
Zuerst einmal Löwenköpfe, Engel zuhauf, Kranzgesimse und eine Stockwerkshöhe, die aus dem Rahmen fällt. Irgendwie muss ich das Ganze umformen. Das Detail kommt später. Ummodeln, umgießen ... und abschneiden. Meine Aufgabe besteht darin, Haussmann in eine neue Parzellierung einzupassen. Also gut, den Rhythmus nicht antasten und das Einmalige der Dekoration spüren lassen. So weit mein Briefing.
Was tun mit den Fenstern? Hinter einem Haussmann-Dekor wird es von nun an Suiten geben, mit Bett und Tisch und Leseplatz. Dazu fehlt ein weiteres Fenster. Das kann man nicht irgendwohin packen. Unmöglich. In Wirklichkeit gibt es nur einen einzigen Ort für das zusätzliche Fenster...
Also, wie erwähnt, ummodeln, umformen, umgießen, was bleibt mir andres übrig! Der Rest ist Funktionsverteilung, ist Architektur.
Nach 5600 Arbeitsstunden sind die Funktionen genau dort, wo sie hingehören, für die schwerreichen Gäste ebenso wie für die 350 Angestellten, die sich hier tummeln werden. Denn ein Palasthotel besteht im Wesentlichen aus Personal, das zu jeder Zeit lächelnd nach deinen Wünschen fragt.
Ein Lächeln, das nicht immer ganz leicht fällt, es sei denn, man fühlt sich wie eine wichtige Person, die rasch und zielsicher in den unendlichen Korridoren ihren Auftrag erfüllt. Ein Palasthotel steht und fällt mit dem Personal. Ein Hummer, aber bitte, kommt sofort, heiß und rot. Die Speisen werden wie von Zauberhand aufgetischt, und ähnlich magisch verschwinden die Reste wieder. Ob doppelter Boden oder andere Tricks – nichts von alledem darf aufgedeckt werden. Für den Architekten schält sich eine Aufgabe heraus, die nur mit umständlichen Recherchen gelöst werden kann. Wir nennen sie die „Architektur hinter den Kulissen“. Es gibt übrigens noch einen Garten, der sich aus Freiräumen zusammensetzt und der dadurch entstanden ist, dass man die Grundstücksmauern im Inneren der Parzellen abgerissen hat. Weit davon entfernt, ein nobles Stück Gartenlandschaft zu sein, bleibt er eher eine Restfläche unmöglichen Zuschnitts, umgeben von Mauern und blinden Giebeln.
Wissend, dass das unmöglich ist, packt mich jetzt doch das Verlangen, alles abzureißen und neu zu beginnen...
Womit ich indessen umgehen muss, ist ein Wald mit einer Lichtung, und diese Lichtung ist der Hofraum. Meine Lichtung ist von Bäumen umstanden, und da stehe ich nun, unter herabhängenden Zweigen, die alle silbrig schimmern. Das kenne ich nur aus Wäldern, wo die Bäume viel zu dicht stehen. Hier muss es etwa 8000 von ihnen geben. Der Boden ist vollständig mit Moos bedeckt, das grün fluoresziert. Vielleicht ist das schon der Garten.
Der Wellnessbereich ist ein Kapitel für sich, darüber spricht man besser nicht. Die illustren Gäste begeben sich im Morgenrock dorthin und wollen inkognito bleiben. Der Weg darf also nicht weit sein. Wir haben inmitten des Blocks alles auf einer Ebene arrangiert. Die Dimensionen sind mehr als üppig und werden einzig von den Pfeilern durchschnitten, auf denen das Gebäude ruht. Die wiederum stehen in einem Wasserbecken und erzeugen ein Bild, wie ich es in dem großen Wasserreservoir von Istanbul gesehen habe, das in meinem Reisetagebuch aufgezeichnet ist ...
Edouard Francois
Aus dem Französischen von Martina Düttmann
0 Kommentare