Bauwelt

Bis auf die Hülle


Kommentar zur Eröffnung der „Europa-Galerie“


Text: Lüth, Johann Peter, Saarbrücken


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    Axel Häsler

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Vergangene Woche eröffnete in Saarbrücken die „Europa-Galerie“, ein weiteres umstrittenes Einkaufszentrum des Projektentwicklers ECE. Dafür wurde eines der wichtigsten Baudenkmale des Saarlandes, die ehemalige Bergwerksdirektion, rücksichtslos ausgeweidet und überformt. Ein Kommentar des ehemaligen Landeskonservators, der seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt sieht.
Hinter den Fassaden der ehemaligen Bergwerksdirektion und der vormaligen „Saar-Galerie“ unweit des Saarbrücker Hauptbahnhofs wurden für 170 Millionen Euro 110 Geschäfte mit 25.000 Quadratmetern Verkaufsfläche eingerichtet. Anlass für die Zusammenfügung dieser beiden so unterschiedlichen Großbauten bot die in den späten 1980er Jahren von gmp geplante Saar-Galerie. Funktionale und städtebauliche Mängel hatten den dauerhaft wirtschaftlichen Gebrauch des Einkaufszentrums verhindert. Die Immobilie wechselte häufig Eigentümer, Management und Mieter. Es musste – darin waren sich Stadtrat, Stadtplanungsamt‚ Städtebaubeirat und Wirtschaft einig – etwas passieren.
Dass deswegen die benachbarte, gerade erst von der RAG-Saarberg AG vorbildlich instand gesetzte und als Verwaltungssitz genutzte Bergwerksdirektion ruiniert werden musste, war weder städtebaulich zu begründen noch funktional erforderlich. Zwischen der Reichs- und der benachbarten Viktoria­straße hätten sich ausreichend ungenutzte und hinfällige Gebäude zu alternativem Gebrauch gefunden. Zur Not hätten auch 17.000 Quadratmeter einer leicht erweiterten Saar-Galerie auf eigenen Grundstücken genügt. Auf Wettbewerbe zur Erkundung dieser und anderer Möglichkeiten eines denkmalverträglichen Gebrauchs der Bergwerksdirektion, des „Stadtschlosses“ des königlich-preußischen Bergfiskus, verzichteten Stadt und Bauherrschaft. Schnell hätte sich erwiesen, dass sich Substanz und Grundriss des Denkmals mit einem „Einkaufscenter“ nicht vertragen.
Aber Schlösser haben Konjunktur, das zeigen nicht nur die Schlossprojekte für Berlin, Potsdam und Hannover. Auch das ECE-Management liebt Schlösser und „rekonstruiert“ sie sich und seinem Publikum – wie in Braunschweig – oder ruiniert sie durch Auskernung‚ solange noch ein ansehnliches Architekturbild übrig bleibt – wie in Saarbrücken. Weder die Proteste der Bürger noch die Aufklärungsaktionen des Deutschen Werkbundes Saar zur Rettung des Denkmals vor falschem Gebrauch, noch 7000 Unterschriften beeindruckten die Regierung des Saarlandes, geschweige denn die Stadt Saarbrücken.
Im Jahr 2006 stellte Ministerpräsident Peter Müller dem ECE-Geschäftsführer Alexander Otto bei einem kleinen Mittagsgespräch in der Staatskanzlei die denkmalrechtliche Erlaubnis zur Entkernung des Gebäudes in Aussicht. Auch eine Mahnwache der Bergleute konnte die Bauherren nicht umstimmen. Durch die Totalentkernung wurde die wertvolle Innenausstattung des Baus vernichtet: die technisch bemerkenswerte Lüftungs- und Heizungsanlage, das rhythmische Stakkato der Rundbogen-Flurfluchten, die Raumerschließung sowie alle Treppen – abgesehen von der gusseisernen Haupttreppe des Eckeingangs. Abgebrochen wurden die Dachkonstruktionen und alle Geschossdecken. An ihre Stelle traten weitgespannte und in der Höhenlage mit den Fassaden nicht mehr korrespondierende, über Rampen und Rolltreppen erschlossene neue Decken. Damit hatte man nicht nur die substanzielle Übereinstimmung von innerer und äußerer Architektur des Gropius-Schmieden’schen Meisterwerks zerstört, mit der Entkernung verloren sich zugleich alle Sinnzusammenhänge des Gestalt- und Kompositionskanons des für die 80er Jahre des 19. Jahrhunderts modernsten, nahezu alle Historismen überwinden­den Rundbogenstils.
Doch damit nicht genug: Die geretteten, jetzt „potemkinschen“ Fassaden wurden durch Regenwasser, das über offene Mauerkronen einsickerte, schwer beschädigt; einschwingende Rampen, vorgeklebte Erschließungsgalerien und disproportionierte Durchgänge stören die vormals essentiell schlichten Fassaden des Innenhofs. Stadträumlich bedeutsamer wirken die Beschädigungen der durch Pavillons rhythmisierten, ungleich langen Flügelbauten an Trierer und Reichstraße. Durch den Abbruch der Hauptzugangstreppe des Eckpavillons und ihren Ersatz durch eine behindertengerechte Platzrampe unter auskragendem Glasdach ist die Eckarchitektur als point de vue der Straßengabel von Viktoria- und Bahnhofstraße kaum noch auszumachen. Dass auch das große Oval des modernen Spiegelbrunnens davor abgebrochen wurde, wird vor allem dem Sicherheitsdienst des Einkaufstempels gefallen, ist damit doch ein Lieblingsplatz der Obdachlosen weggefallen. Zum Unglück der architektonisch und stadträumlich mehr als fahrlässigen Übergänge und Anschlüsse der Bergwerksdirektion an die zeitgenössische Architektur der Erweiterungen schweigt des Sängers Höflichkeit.
Eine wenig rühmliche Rolle in dieser Tragödie spielt die saarländische Denkmalpflege. Als Untere Denkmalschutzbehörde folgte sie allen Wünschen des Bauherrn, als eigentlich zuständige Landesdenkmalpflege schwieg sie – man sprach von ei­nem Maulkorb – so lange, bis im 2004 novellierten Denkmalgesetz Fach- und Vollzugsbehörde zusammenfielen und Josef Baulig, vormals städtischer Denkmalpfleger, zum Leiter des neuen Landesdenkmalamts bestellt wurde. Baulig verantwortet die Zerstörung der Bergwerksdirektion mit nicht näher definierten gesamtgesellschaftlichen „Argumenten“ und lobt sie als gelungen. Das dürfte zumindest die ECE-Stiftung „Lebendige Stadt“ ähnlich sehen.



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