„Partizipation ist in Ägypten weit verbreitet, weil sie ohne Alternative ist“
Interview mit May Al-Ibrashy und Ahmed Zaazaa
Text: Redeker, Cornelia, Kairo; Seidel, Florian, Kairo
„Partizipation ist in Ägypten weit verbreitet, weil sie ohne Alternative ist“
Interview mit May Al-Ibrashy und Ahmed Zaazaa
Text: Redeker, Cornelia, Kairo; Seidel, Florian, Kairo
Wir treffen May Al-Ibrashy und Ahmed Zaazaa auf der Terrasse des Architekturzentrums MEGAWRA in Heliopolis, einer Nachbarschaft mit monolithisch anmutenden Wohnbauten aus den sechziger und siebziger Jahren, die zu den seltenen Beispielen klimagerechter Architektur in Kairo zählen.
Megawra bedeutet Nachbar- und Mentorenschaft und ist vor allem für jüngere Architekten ein wichtiger Ort des Austauschs und der Arbeit. Die Gründerin und Architekturhistorikerin May Al-Ibrashy setzt sich in partizipatorischen Projekten für einen neuen Umgang mit dem architektonischen Erbe der Kairoer Altstadt ein. Auch der Architekt Ahmed Zaazaa hat nach der Revolution 2011 eine Plattform mitbegründet: MADD bringt lokale Initiativen, Experten und Förderer für städtebauliche Projekte zusammen. Derzeit arbeitet er unter anderem im Maspero-Dreieck, einem Viertel in prominenter Lage am Nil, das Investorenprojekten weichen soll.
Was ist das Besondere an Kairo – bezogen auf die Frage der Partizipation?
May Al Ibrashy | Partizipation ist allein schon deshalb in Ägypten weit verbreitet, weil sie ohne Alternative ist. Wir haben unmissverständlich erfahren müssen, dass der traditionelle Weg nicht länger funktioniert. Ich selbst arbeite seit vielen Jahren im Bereich Denkmalschutz, und viele Objekte, an denen ich zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn gearbeitet habe, sind heute in einem schlechteren Zustand als damals. Deshalb versuchen wir, durch die Einbeziehung der Anwohner bei Revitalisierungsprojekten neue Wege zur Erhaltung der Gebäude zu finden, neue Wege durch eine Beteiligung aller Akteure.
Ahmed Zaazaa | Partizipation wird oft etwas vorschnell kritisiert, wir müssen einfach noch mehr an partizipativen Prozessen arbeiten. Immer wenn Systeme versagen, entwickeln sich alternative Strukturen. Genau das spielt sich hier im öffentlichen Raum ab und ebenso beim Wohnen. Die Revolution diente als Katalysator. Die Leute sind sich ihrer neuen Handlungsmöglichkeiten bewusst. Die informelle Praxis vor und nach der Revolution unterscheidet sich deutlich. Heute muss man Anwohnern erst mal beweisen, dass man in ihrem Interesse handelt und nicht im Auftrag Dritter operiert.
Mit welchen Strukturen habt ihr es in den informellen Quartieren und in der islamischen Altstadt Kairos zu tun?
AZ | Das ist ganz unterschiedlich. In manchen informellen Vierteln wie in Mit Oqba sind die Leute gut organisiert. Sie sind auf uns zugekommen, und wir hatten ein erstes Treffen. Schon einen Tag danach begannen sie damit, die diskutierten Maßnahmen umzusetzen. Alle Baumaßnahmen wurden von den Anwohnern selbst getragen. Auf der Straße wurden Kästen aufgestellt, und die Leute zahlten jeweils 10 Pfund (etwas mehr als einen Euro, Anm.d.Red.) im Monat und finanzieren so bis heute den Aufwertungsprozess ihres Viertels selbst.
In Maspero dagegen läuft es vollkommen anders: Die Leute warten ab. Sie verstehen unsere Arbeit als Versprechen. Die Missstände in diesem Quartier haben die Menschen über die Jahrzehnte gebrochen. Ausländische Investoren kaufen dort aufgrund der attraktiven Lage in der Innenstadt seit den 1970ern Grundstücke, bestehende Gebäude verfallen. Ein Teil davon stürzte bereits während des Erdbebens 1992 ein, die fehlende Instandsetzung tut das Ihrige. Teilweise wohnen ganze Familien auf 13 Quadratmetern. Mit solchen Zustän-den lässt sich natürlich auch eine staatliche Zwangsumsiedlung rechtfertigen. Aber die Leute wollen größtenteils bleiben. Es ist eine über Generationen gewachsene, mit dem Ort verbundene Gemeinschaft.
Wie kann man sich vor diesem Hintergrund die Revitalisierung von Baudenkmälern vorstellen?
MI | Unser Ziel ist es, die Baudenkmäler zu Ressourcen für die Gemeinschaft werden zu lassen, und nicht zu einer weiteren Belastung. Also ist unsere erste Frage bei den Beteiligungs-Workshops die nach der Beziehung zwischen Denkmal und Umgebung. Wir haben uns für die Al-Khalifa-Straße in der islamischen Altstadt entschieden, weil die Denkmäler in dieser Straße an viele ungenutzte Freiflächen und interessante Nachbargebäude grenzen. Eine dieser städtebaulichen Situationen besteht aus einem Kuppelbau aus dem 13. Jahrhundert, Shajar al-Durr, und, unmittelbar daneben, einem unvollendeten Gebäude aus den 1920er Jahren. Es diente als Klinik, bis der dort praktizierende Arzt verstarb. Wir brauchten mehr als ein Jahr, um Zugang zu dem Gebäude zu erhalten. Es war eine Frage des Vertrauens. Zu der Zeit hatten wir schon Mittel beim „American Research Centre“ in Ägypten und dem „Barakat Trust“ zum Erhalt der denkmalgeschützten Kuppel eingeworben. Und nach einigen Monaten wurde uns auch von offizieller Seite die Erlaubnis erteilt, am Kuppelbau zu arbeiten. In der Zwischenzeit haben wir das Gebäude der Arztpraxis fertiggestellt und agieren dort mit dem Einverständnis der Anwohner. Mit ihnen zusammen entwickeln wir gerade ein Betreibermodell. Alles was wir unternehmen, tragen wir mit großem Aufwand in die Öffentlichkeit, um nicht nur das Interesse an den Denkmälern zu wecken, sondern die Leute an Workshops und anderen Initiativen zu beteiligen. Wir haben auch einen großen Plan des Quartiers angebracht, um die Gegend für Besucher zu erschließen.
Wie werden diese Projekte finanziert?
MI | Die Erneuerung des Gemeindezentrums in der Al-Khalifa-Straße wird durch private Spenden und ehrenamtliche Tätigkeit finanziert. Die Bevölkerung beteiligt sich, sobald sie einen Bezug dazu sieht. Als wir mit der Renovierung und dem Umbau der Klinik begannen, kamen die Nachbarn ungefragt und halfen uns bei den Zimmermanns- und Elektroarbeiten, beim Fliesenlegen. Die Fliesen hat die örtliche Eisfabrik gespendet und der Abtransport des Schutts wurde von einem Unternehmen in der Nachbarschaft übernommen. Uns liegt viel daran, auch die Jugendlichen mit einzubeziehen. Wir stellen uns vor, dass sie in zehn Jahren unsere Partner im Quartier sein werden.
AZ | Viele Projekte machen wir ehrenamtlich, wie in El Kom El Ahmar, einer informellen Siedlung, die sich, ebenso wie Mit Oqba, aus dörflichen Strukturen auf ehemals landwirtschaftlichen Flächen entwickelt hat. Das Projekt wurde zwar von Coca-Cola und der Food Bank gesponsert, aber was unsere Arbeit betrifft, war das ein Freiwilligenprojekt. Die Leute wollten mehr als nur eine kurzfristige Aufräumaktion, sie wollten an einem dauerhaften Projekt arbeiten. Das haben sie dann mit uns zusammen entwickelt und dem Coca-Cola-Konzern vorgestellt. Die Idee ist, die Hauptachse des ehemaligen Dorfes mit Kleingewerbe und Dienstleistungen und vor allem mit einem Theater aufzuwerten. Zurzeit werden die Straßen gepflastert.
Die Situation in Maspero ist schwieriger. Wir haben uns um eine Finanzierung durch das „International Institute of Education“ beworben. Die gemeinnützige „Arab Digital Expression Foundation“ hat die Entwurfsphase finanziert. Das Mindeste, was unsere Arbeit an diesem Ort hervorbringt, ist die Dokumentation des historisch gewachsenen Gebiets, einer Nachbarschaft mit 5000 Familien, die es so nicht mehr lange geben wird. Natürlich bleibt noch die Hoffnung, dass wir das Parlament ansprechen, die Medien interessieren und daraus eine große öffentliche Angelegenheit machen können. Wir kämpfen um das Recht auf Stadt. Die Leute leben hier seit vier Generationen, aber die Verwaltung plant die Zwangsräumung. Wir fechten die Umsiedlungsstrategien des öffentlichen Wohnungsbauprogramms in Kairo an.
Ein weiteres großes Problem in Kairo ist die Müllentsorgung. Zum einen gibt es eine beeindruckende informelle Recyclingökonomie: Die Lebensgrundlage eines ganzen Stadtteils, Manshyyet Nasser, basiert auf der Arbeit der Zaballin, der Müllsammler, vornehmlich koptische Christen. Die städtische Müllabfuhr dagegen wird von ausländischen Firmen betrieben. Beide Systeme kompromittieren einander und sind zudem korrupt. Welche Erfahrungen habt ihr im Rahmen eurer Projekte mit der Müllentsorgung gemacht?
AZ | Das Problem in ganz Kairo sind die Müllfahrzeuge. In Mit Oqba versprach die Verwaltung, dass der Wagen jeden Tag kommen würde. Wir brauchen ihn aber alle vier Stunden! Die Müllsammler haben aber mit den Fahrern der Müllwagen vereinbart, fernzubleiben. Wir versuchen, die Leute davon zu überzeugen, ein Recyclingsystem im Viertel aufzubauen und haben eine Stadtökonomin zur Beratung eingeladen. Aber die Leute scheuen davor zurück, sich selbst in diese Verantwortung zu begeben. Sie können die wirtschaftlichen Möglichkeiten, die darin liegen, nicht sehen.
MI | Die Frage der Müllentsorgung ist ein komplexes Thema und verlangt nach komplexen Lösungen. In den Quartieren, in denen wir arbeiten, funktioniert tatsächlich vor allem das Spendenwesen. Die Leute zahlen keine Steuern, aber Teil unserer Religion ist ihr dauerhaftes und nachhaltiges Wohltätigkeitssystem. Von daher werden fremdfinanzierte und gewinnorientierte Gemeinschaftsprojekte oftmals als verdächtig angesehen, aber es sind doch notwendige Ressourcen. Wichtig ist es, für die Zukunft hybride Lösungsmodelle zu entwickeln.
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