Gegensätze verbinden: die Härte des sowjetischen Erbes mit der Offenheit und Stärke der lokalen Kultur
Architekt Asif Khan spricht über das Tselinny Center in Almaty, ein Projekt zwischen Identität und lokaler Erneuerung, nomadische Tradition und die lokale Architekturszene
Text: Rost, Sandra, Nürnberg
Gegensätze verbinden: die Härte des sowjetischen Erbes mit der Offenheit und Stärke der lokalen Kultur
Architekt Asif Khan spricht über das Tselinny Center in Almaty, ein Projekt zwischen Identität und lokaler Erneuerung, nomadische Tradition und die lokale Architekturszene
Text: Rost, Sandra, Nürnberg
Wie haben Sie sich darauf vorbereitet, in Almaty zu bauen und die lokalen Standards, Erwartungen und kulturellen Werte zu erfüllen? Sie haben durch Ihre Ehefrau eine persönliche Verbindung zu Kasachstan.
Mein Vater stammt aus Pakistan, meine Mutter wurde in Tansania geboren, ihr Vater stammte jedoch aus Indien, meine Kinder aus erster Ehe haben japanische Wurzeln, meine Ehefrau ist Kasachin. Ich habe ein besonderes Interesse daran entwickelt, unterschiedliche kulturelle Identitäten zu vereinen, was einen zentralen Teil meines Selbstverständnisses ausmacht. In meinem Architekturbüro und in jedem Projekt versuche ich, diese Vielfalt in konkrete Ergebnisse zu übertragen. In einem anderen Land zu arbeiten, ist für mich nicht nur beruflich, sondern auch persönlich bedeutsam. Bis vor etwa fünf Jahren war mir das nicht einmal bewusst. Inzwischen haben wir Projekte in China, Südkorea und Malawi realisiert, und arbeiten derzeit in Südafrika, Europa, Russland, Kasachstan und Australien.
Sie haben also bereits in sehr unterschiedlichen kulturellen Kontexten gearbeitet. Wie hat diese Erfahrung Ihr Verständnis von Identität und Zugehörigkeit verändert?
Was ich tue, ist Ausdruck meiner Identität. Jeder neue Entwurf, jedes Projekt ist ein weiterer Schritt, um dieser näherzukommen. Jedes Mal entstehen dabei neue Wurzeln, oft auf unerwartete Weise.
Zentralasien spielt in diesem Prozess eine entscheidende Rolle. Vor acht Jahren war mir diese Region noch völlig fremd, bis ich 2017 erstmals nach Kasachstan kam, um den britischen Pavillon auf der Expo in Astana zu entwerfen. Durch die Erklärungen meiner Ehefrau habe ich damals verstanden, dass Zentralasien seit Jahrtausenden ein Kreuzungspunkt globaler Zivilisationen ist – gelegen an der Seidenstraße, eingebettet in die eurasische Steppe.
Die nomadische Kultur dieser Region hat Ideen, Waren und Menschen zusammengebracht und so eine wesentliche Rolle für die Entwicklung der Welt gespielt. Gleichzeitig hat sie, weil Nomaden kaum Spuren hinterlassen haben, wenig sichtbare Zeugnisse hinterlassen. Abgesehen von großen Städten wie Samarkand, ist vieles verschwunden. Doch gerade dieser Lebensstil war über Jahrhunderte hinweg äußerst nachhaltig – bis die modernen Städte entstanden.
Das Tselinny Center ist eng mit der Geschichte Kasachstans verbunden. Sie haben bei einer Podiumsdiskussion am Eröffnungswochenende emotional von einem prägenden Moment während eines Aufenthalts in Kasachstan berichtet.
Meine Frau Zaure, damals leitende Architektin der Expo in Astana, und ich, Architekt des britischen Pavillons, lernten uns 2017 kennen. Wenige Monate später zeigte sie mir die kasachische Steppe. Bei Sonnenuntergang sah ich, wie am Horizont der Regen den Himmel und die Erde miteinander verbanden. Zaure erklärte mir, dass sich in der nomadischen Kosmologie Tengri, der Himmelsgott, und Umai, die Göttin der Erde, treffen. In diesem Moment begriff ich die Spiritualität und die jahrtausendealte Geschichte der Steppe – ein Erlebnis, das mich tief berührte.
Für das Tselinny Center hatte diese Erfahrung eine klare Bedeutung. Das Gebäude, ursprünglich ein sowjetisches Kino, war in seiner strengen, kantigen Architektur Ausdruck zentralistischer Macht. Demgegenüber steht die kasachische Tradition der Jurten mit runden, flexiblen Behausungen, die das Leben in Einklang mit der Natur symbolisieren. In den vergangenen acht Jahren war unser Prozess daher geprägt von dem Versuch, diese Gegensätze zu verbinden: die Härte des sowjetischen Erbes mit der Offenheit und Stärke der lokalen Kultur.
Diese Erkenntnis gab uns die Überzeugung, dass das Tselinny Center ein Ort werden kann, an dem unterschiedliche Traditionen und Glaubenssysteme nicht nur nebeneinander existieren, sondern eine gemeinsame Basis finden. Genau darin liegt für mich die Seele dieses Projekts.
Was wünschen Sie sich vom Tselinny Center und seinem Programm für die Gesellschaft und die gebaute Umgebung in Almaty?
Zu Sowjetzeiten war das Gebäude eine Art Black Box, in der Filme als Propagandainstrument
gezeigt wurden. Gleichzeitig war es ein beliebter Ort für Familien und viele Menschen verbinden bis heute Erinnerungen damit. Wir haben diese lineare Nutzung in eine offene, organische Struktur übersetzt: Das Gebäude kann nun von allen Seiten betreten werden und bildet so das Herz des Viertels.
gezeigt wurden. Gleichzeitig war es ein beliebter Ort für Familien und viele Menschen verbinden bis heute Erinnerungen damit. Wir haben diese lineare Nutzung in eine offene, organische Struktur übersetzt: Das Gebäude kann nun von allen Seiten betreten werden und bildet so das Herz des Viertels.
Programmatisch ist es vielfältig nutzbar – von Festivals, Hochzeiten und Abendessen über Filmvorführungen und Diskussionen bis hin zu Räumen für etablierte, vergessene und neue Künstlerinnen und Künstler. Entscheidend ist der Dialog innerhalb der kreativen Gemeinschaft.
Für mich ist das Tselinny Center ein Neuanfang: ein Ort, den die Menschen frei von historischer Last betreten können. Es gehört ihnen. Es spricht aus der kasachischen Kultur selbst heraus und schafft eine eigene Sprache – unabhängig vom westlichen Kanon der Architektur, Kunst und Kultur.
Was kann man baukulturell von Kasachstan und der Region lernen?
Die zeitgenössische Architektur in Kasachstan steckt noch in den Anfängen – doch genau darin liegt eine Chance. Mit dem Tselinny Center möchten wir einen Katalysator schaffen. Denn hier gelten andere Rahmenbedingungen und Werte als in den etablierten Architekturzentren, wo sich die großen architektonischen Debatten häufig in einem engen Referenzrahmen bewegen. Alles, was außerhalb liegt, wird kaum verstanden oder mitunter abgewertet. Oft wird angenommen, dieser begrenzte Diskurs bilde eine universelle Wahrheit – und so wird er global reproduziert, als wäre er der einzig gültige Weg.
Die aktuellen weltweiten Entwicklungen zeigen jedoch, dass wir unsere Perspektiven erweitern und grundlegende Fragen neu stellen müssen: über Wahrheit, Ästhetik und kulturelle Identität. Die Stimmen und Sichtweisen aus Almaty und Kasachstan sollten dabei sichtbarer werden. Dieses Projekt ist ein erster Schritt, ihnen Raum zu geben. Ich hoffe, dass es nicht der letzte bleibt, sondern weitere Ansätze inspiriert, Architektur und Kultur neu zu denken.
Wenn ein Projekt als Blaupause für ein ganzes Land dienen könnte, wachsen Verantwortung und Druck. Wie gehen Sie damit um, auf einer bestehenden Struktur aus kollektivem Gedächtnis, zeitgenössischer Kultur und Zukunftsperspektive aufzubauen?
Wir haben uns darauf verlassen, unseren Gefühlen und Instinkten zu vertrauen – so arbeite ich stets. Den Druck empfinde ich nicht als Last, sondern als notwendiges Signal: Er macht deutlich, wie wichtig die Aufgabe ist. Gleichzeitig ist Druck eine Warnung. Man kann ein Projekt so fehlleiten, dass am Ende die Menschen entrechtet werden, denen man eigentlich eine Stimme geben wollte. Deshalb ist das Bewusstsein für diese Gefahr zentral: Verantwortung bedeutet auch, sensibel zu bleiben für die Folgen des eigenen Handelns und sorgfältig abzuwägen, statt einfache Lösungen überzustülpen.
Architektur bedeutet auch Verantwortung für die Gesellschaft, nicht nur für das Gebäude selbst. Wie sind Sie dieser Verantwortung beim Tselinny Center begegnet?
Das Projekt ist von großer Bedeutung für Almaty – und es ist selten, an etwas zu arbeiten, das eine Stadt oder sogar ein ganzes Land prägen kann. Ich war mir dieser Verantwortung bewusst. Deshalb steckt selbst in kleinsten Details, von Wegweisern über Pfeile bis zur Typografie, eine eigene Geschichte.
Wesentlich war zudem die Zusammenarbeit mit einem außergewöhnlichen Auftraggeber: dem Gründer Kairat Boranbayev, der Direktorin Jamilya Nurkaliyeva, der künstlerischen Leiterin Alima Kairat und ihrem Team. Anfangs trafen dabei verschiedene Überzeugungen aufeinander. Gemeinsam mit Öffentlichkeit und Stadtverwaltung entstand Schritt für Schritt ein Konsens.
Dabei ging es nicht darum, den Entwurf zu verwässern oder so zu tun, als seien alle gleichermaßen Entwerfende. Im Gegenteil: Wir hatten eine sehr klare Vision, haben diese transparent erklärt und viele Menschen haben sich dieser Richtung angeschlossen. Manchmal sogar mit noch größerem Enthusiasmus als wir selbst.
Asif Khan gründete 2007 Asif Khan Studio in London. Zu seinen aktuellen Projekten gehören u.a. die Erneuerung des Barbican Art Centre und das New London Museum. Er lehrte bereits am Royal College of Art in London, der Musashino Art University in Tokio, in Harvard und an der Zayed University. Derzeit ist er stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Design Museums in London.







0 Kommentare