Bauwelt

Und sie basiert doch auf dem Fünfeck!

Zur Geometrie der Berliner Philharmonie von Hans Scharoun

Text: Reinhold, Hendrik, Aachen

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    Das Fünfeck-Logo in der Veröffentlichung „Die Berliner Philharmonie und ihr Kammermusiksaal“ von Edgar Wisniewski, Gebrüder Mann Verlag, Berlin 1993
    Foto: Liselotte und Armin Orgel-Köhne

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    Das Fünfeck-Logo in der Veröffentlichung „Die Berliner Philharmonie und ihr Kammermusiksaal“ von Edgar Wisniewski, Gebrüder Mann Verlag, Berlin 1993

    Foto: Liselotte und Armin Orgel-Köhne

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    Bereits in frühen Entwurfsskizzen ist das Fünfeck nachweisbar.
    Abb.: Akademie der Künste Berlin/Hendrik Reinhold

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    Bereits in frühen Entwurfsskizzen ist das Fünfeck nachweisbar.

    Abb.: Akademie der Künste Berlin/Hendrik Reinhold

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    Die drei gegeneinander verdrehten Fünfecke definieren etliche Raumkanten der Philharmonie.
    Abb.: Hendrik Reinhold

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    Die drei gegeneinander verdrehten Fünfecke definieren etliche Raumkanten der Philharmonie.

    Abb.: Hendrik Reinhold

Und sie basiert doch auf dem Fünfeck!

Zur Geometrie der Berliner Philharmonie von Hans Scharoun

Text: Reinhold, Hendrik, Aachen

Zum Grundriss des Konzertsaals der Berliner Philharmonie heißt es häufig, er basiere auf drei ineinander verdrehten Fünfecken. Ein Bild, das auf eine Skizze Hans Scharouns zurückgeht1 und das die Berliner Philharmoniker bis heute als ihr Logo nutzen. In der Fachwelt zu Scharoun ist dies überwiegend als urbane Legende bekannt, und es lässt sich einfach anhand des Grundrisses überprüfen, dass diese Figur dort so nicht wiederzufinden ist.
Im Jahr 2024 entstand am Lehr- und Forschungsgebiet Denkmalpflege und Historische Bauforschung der RWTH Aachen die Dissertation „Der Raum bei Hans Scharoun“. Ein Ziel der Arbeit war es, die Entwurfsprozesse des Architekten, die von ihm persönlich nur sehr fragmentarisch überliefert sind, mit den Methoden der Bauforschung, ausgehend vom gebauten Objekt, zu ergründen. Anhand von sieben Großbauten des Nachkriegs-œuvres wurden die raumkonstituierenden Elemente wie Materialien, Farbe, Konstruktion, Raumakustik, Licht, Proportionen oder Geometrie bauwerks-übergreifend untersucht.
Die Bochumer Johanneskirche (Bauwelt 25.2016) diente dabei zur Entwicklung und Systematisierung entsprechender Untersuchungs- und Darstellungsmethoden häufig als erstes Testobjekt. So konnten in diesem mit Abstand kleinsten der betrachteten Nachkriegsbauten erste Messungen und Dokumentationen erprobt und später auf die weitaus komplexeren Objekte, wie die Geschwister-Scholl-Schule in Lünen (Bauwelt 25.2013) oder die Berliner Staatsbibliothek am Kulturforum, übertragen werden.
In der Kirche ließen sich Wege- und Raumachsen eindeutig bestimmen. Dabei fiel auf, dass diese in einem Winkelverhältnis zueinander stehen, das sich aus dem regelmäßigen Fünfeck ableiten lässt. Es galt im Folgenden zu überprüfen, ob es sich hierbei um einen Zufallsfund handelte – der Anteil Scharouns am letztendlich ausgeführten Kirchbau galt lange als umstritten –, oder ob sich dort geometrische Zusammenhänge erschlossen, die grundsätzlich im Werk des Architekten wiederzufinden sind.

Zum Entwurfsprozess

Das eingangs genannte Logo diente im Folgenden als wichtiger Hinweis, nicht die Figur selbst, aber geometrische Wechselbeziehungen zur Kon-struktion des Fünfecks ebenso gezielt in der Berliner Philharmonie zu suchen. Scharoun beschrieb in Bezug auf seinen Entwurfsprozess die „Intui-tion als bewegende Kraft“2. Eine eigene, umfangreiche Raumtheorie hat er nicht verschriftlicht. Er sah jedoch die übergeordnete Konzeption im Organhaften und Funktionalen, und bezog sich mehrfach, wenn auch nicht in Gänze, auf die Theorien seines Freundes Hugo Häring. Bauten, die nach geometrischen Prinzipien errichtet werden, entstammen laut diesem keinem Gestaltfindungs-, sondern einem Gestaltgebungsprinzip.3 Ein aufgezwungenes formales Vokabular sei ihm nach einer Bauaufgabe wesensfremd, da es nicht in Zusammenhang mit dem steht, was der Bau zu leisten habe.4 Geometrische Figuren üben demnach einen Zwang auf einen Gestaltwillen aus, der zu keiner wesenhaften Gestalt führe.5
Der Begriff der Geometrie ist bei Häring somit negativ konnotiert, wenn es um deren obsessive Anwendung im Entwurf geht. Auch von Scharoun ist überliefert, dass er sich über unnötige Bindungen hinwegsetzte, um die Urgestalt des Entwurfs und damit die Raumvision nicht einzuengen.6
Dabei schließt der organhafte und funktionale Gestaltfindungsprozess das Anwenden ordnender geometrischer Strukturen in einem Bauwerk nicht grundsätzlich aus. Im Gegenteil können diese durchaus Teil dessen sein, wie es Häring 1925 selbst formulierte: „Die Gestalt der Dinge kann identisch sein mit geometrischen Figuren – wie beim Kristall – doch ist, in der Natur, die geometrische Figur niemals Inhalt und Ursprung der Gestalt.“7 Diese Erläuterung war ein wichtiger Hinweis darauf, die Existenz geometrischer Grundformen als immanentem Teil des Entwurfs durchaus auch in Scharouns Werk suchen zu können.

Schriftliche Hinweise auf das Fünfeck

Scharouns langjähriger Mitarbeiter Edgar Wisniewski äußerte sich in seiner Publikation zur Berliner Philharmonie über die Thematik des Fünfecks. Nachdem dieser zunächst einen pentagonalen Grundriss für den Kammermusiksaal vorschlug, soll Scharoun diese Idee abgelehnt haben. Er wollte nicht, dass seine Grundrissformen alle auf diese geometrische Figur zurückgeführt werden könnten.8 Das Pentagon sei schließlich nur „als Symbol, als Analogon zum Zeichen der Dombauhütten für den Raum der Philharmonie gewählt worden.“9
Hans Heinz Stuckenschmidt, Musikwissenschaftler und Jurymitglied des damaligen Architekturwettbewerbs zum Neubau der Philharmonie, sprach in Bezug auf das Logo scherzhaft von einer „Scharoune“10, deren Ursprung auch er in den Bauhütten des Mittelalters sah. Ebenfalls wies
er ihm eine symbolische Bedeutung zu: „Die Fünfeckform als Symbol des Lebendigen, das aus der mathematischen Starre des Quadrats ausbricht; die Dreiheit als Verbindung von Mensch, Raum und Musik – das ist die Bau-Idee, aus der das Haus gestaltet wurde.“11 Laut Wisniewski war
für Scharoun das Pentagon eine „liebe Form“, da „das Mathema-
tische, der ‚Gestaltzwang‘ des Quadrats, durch eine einzige Komponente in eine schwingende, aber doch gesetzhafte Gestalt transponiert wird. Diese Form ist weiträumiger, ‚lyrischer‘ und freier.“12

Zur Geometrie

Das genannte Logo der Berliner Philharmoniker bilden drei unterschiedlich große und gegeneinander verdrehte regelmäßige Fünfecke. Sie rotieren jeweils um 18° zueinander, was der Hälfte des Winkels von 36° zweier nicht benachbarter Seiten der geometrischen Figur entspricht. Die beiden inneren Fünfecke weisen die gleichen Ausrichtungen ihrer Kanten auf, denn sie sind, abgesehen vom Größenunterschied, spiegelbildlich zueinander orientiert. Bei der Verdrehung eines regelmäßigen Pentagons um seine Winkelhalbierende bestehen so-mit zwei mögliche Ausrichtungen. Jede weitere Drehung um 18° würde wieder zu einer spiegelbildlichen oder gleichen Positionierung führen. Bei fünf Seiten pro Pentagon bedeutet dies, dass maximal zehn unterschied-liche Ausrichtungen von diesen existieren, denn es gilt: 10 * 18° = 180°.
In den abgebildeten Zeichnungen entspricht der blaue Farbton den Seitenausrichtungen des ersten Pentagons und der rote Farbton denen des zweiten. Im Zuge der grafischen Analyse der Konzertsaalpläne weisen diese eine beachtliche Korrelation mit den zehn Seiten der beiden Fünfecke auf, und so decken diese sich mit den Hauptachsen des Raums, dem Verlauf der Sitzränge oder den Erschließungswegen. Deren Verlängerung bestimmt zudem zahlreiche Ecken und Kanten von kleineren Einbauten und bezieht sich sogar in Teilen auf Gebäudebereiche außerhalb des Konzertsaals.
Die Untersuchungen potentieller geometrischer Zusammenhänge an der Berliner Philharmonie zeigen – wie bereits bei der Bochumer Kirche beobachtet –, dass sich die zehn möglichen Ausrichtungen der Pentagonseiten alle im Grundriss nachweisen lassen. Darüber hinaus bilden sie sogar im Schnitt eine signifikante Menge von gebäudeprägenden Winkelausrichtungen im Raum.
Einen weiteren wichtigen Hinweis darauf, dass es sich hierbei um keinenZufallsfund handelt, gibt die sogenannte Urskizze aus der frühen Entwurfsphase der Philharmonie. Denn trotz ihrer Unschärfe können hier bereits dieselben geometrischen Beobachtungen abgeleitet werden. Sie ist ein deut-liches Indiz dafür, dass geometrische Überlegungen im Anfangsstadium von Scharouns Entwurfsprozessen durchaus eine wichtige, wenn auch vermutlich der organhaften und funktionalen Gestalt untergeordnete Rolle gespielt haben.

Schlussfolgerung

Auch in weiteren Teilen der Philharmonie, insbesondere im Foyer, konnten die oben beschriebenen geometrischen Wechselbeziehungen basierend auf den zehn Seiten der beiden Pentagone nachgewiesen werden. Neben Stützen, die sich entlang entsprechender Achsen befinden, korreliert auch die Erschließungsrichtung durch den Haupteingang mit diesen. Darüber hinaus sind die meisten der zahlreichen Treppen des Foyers nach den Pentagonseiten ausgerichtet.
Auch in anderen Objekten des Nachkriegsœuvres lassen sich geometrische Zusammenhänge zu den bezeichneten Seitenausrichtungen entlang entwurfsbestimmender Raumachsen feststellen. Sie scheinen jedoch nicht in dogmatischer Weise angewandt worden zu sein. Denn viele Aspekte des Entwurfs lassen sich nicht auf solch ein klares geometrisches Grundgerüst zurückführen. Es ist somit nicht davon auszugehen, dass für jeden Bereich des Gebäudes auch ein übergeordneter geometrischer Zusammenhang gefunden werden kann. Es handelt sich bei den beschriebenen Beobachtungen vielmehr um ordnende Grundstrukturen, die – sollte es der spätere Entwurfsprozess verlangen – auch wieder verworfen werden konnten.
Dennoch ist die wiederholte Beobachtung der Pentagonseiten in den Plänen verschiedener Objekte ein Nachweis dafür, dass diese eine raumkonstituierende Funktion hatten. Direkt gestaltgebend war das regelmäßige Fünfeck in Hans Scharouns Werk selten. Eine entwurfsprägende Verwandtschaft zu der geometrischen Figur besteht in seinen Bauten des Nachkriegsœuvres jedoch allemal.

1 Vgl. Wisniewski, Edgar: Die Berliner Philharmonie und ihr Kammermusiksaal, S. 239
2 Scharoun, Hans in: Pfankuch, Peter: Bauten, Entwürfe, Texte, S. 82
3 Vgl. Janofske, Eckehard: Die Architekturauffassung Hans Scharouns, S. 37 ff.
4 Vgl. ebd., S. 43–44
5 Vgl. Häring, Hugo in: Joedicke, Jürgen; Lauterbach, Heinrich: Hugo Häring. Schriften
Entwürfe Bauten, S. 79
6 Wisniewski, Edgar: Die Berliner Philharmonie und ihr Kammermusiksaal, S. 201
7 Häring, Hugo: Wege zur Form, S. 5
8 Vgl. Wisniewski, Edgar: Die Berliner Philharmonie und ihr Kammermusiksaal, S. 201
9 ebd., S. 201
10 ebd., S. 239
11 ebd., S. 239
12 ebd., S. 197

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