Bauwelt

Avant-Garde as Method Vkhutemas and the Pedagogy of Space 1920–1930

Vkhutemas and the Pedagogy of Space 1920–1930

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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Avant-Garde as Method Vkhutemas and the Pedagogy of Space 1920–1930

Vkhutemas and the Pedagogy of Space 1920–1930

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Im Zuge von Glasnost und Perestroika Ende der 1980er Jahre verzeichnete der Westen einen kleinen Boom an Ausstellungen und Publikationen zu den sowjetischen BXYTEMAC (bundesdeutsche Transkription des Akronyms: WChuTEMAS, schweizerisch Wchutemas, englisch Vkhutemas), jener postrevolutionären und lange Jahre durch die sowjetische Staatsdoktrin verpön­-ten „Höheren Künstlerisch-Technischen Werkstätten“, die 1920 in Moskau gegründet und bereits 1930 auf Geheiß Stalins wieder aufgelöst wurden. „Kunst und Revolution“ 1987/88 in Budapest und Wien oder „Avantgarde I, russisch-sowjetische Architektur“ in Tübingen und Rostock 1991 sind vielleicht noch in Erinnerung.
Nun liegt mit dem 624 Seiten starken englischsprachigen Band von Anna Bokov ein neues Fundamentalwerk vor, anschließend an Selim Khan-Magomedovs Forschungsbände aus den 1980er Jahren und im Habitus vielleicht ähnlich der Exegese des Bauhauses von Margare­te Droste (Bauwelt 10.2019). Womit auch schon Parallelen und Gegensätze angesprochen wären, auf die Kenneth Frampton im ersten Vorwort hinweist: Obwohl es einen regen Austausch zwischen beiden Kunst- und Architekturschulen gab – Frampton spricht gar von direkten Adaptionen Moskauer Lehrmethoden in Weimar und Dessau – sind die Wchutemas das „bestgehütete Geheimnis der Moderne“ geblieben, sie stehen im Schatten der transatlantischen (Nachkriegs-)Seligsprechung des Bauhauses durch Gropius und andere Bauhaus-Migranten. Und in der Tat gab es 2020 ja kein internationales Jubeljahr zum 100sten Geburtstag der Wchutemas wie 2019 zum Bauhaus. Zudem fehlen die für eine breite, nicht nur mediale Wahrnehmung unumgänglichen Signature Buildings wie das Dessauer Bauhausgebäude, Designikonen wie die Wagenfeld-Leuchte (Bauwelt 18.2019) oder eine internationale Wirkungsgeschichte des Moskauer Impetus‘.
Anna Bokov geht es um die Pädagogik der Wchutemas, sie gliedert ihr Werk in vier Kapitel: Institutionalisierung der Avantgarde, Architektur als Wissenschaft, Lehre als Experiment sowie die Erfindung einer allumfassenden Zukunft. Als in Moskau und den USA ausgebildete Archi­tek­tin mit einem Doktorgrad der Architekturgeschichte fokussiert sie diese Disziplin, stärker noch: die Grundlehre „Raum und Volumen“, die, neben „Farbe und Grafik“, ab 1922 die Basis der mehrjährigen Propädeutik aller acht Fakultäten der Wchutemas wurde. Diese Schwerpunkt­setzung marginalisiert dann leider die gerade im Ausland breit rezipierte Szenografie oder Plakatkunst aus dem Umfeld der Schule, ganz zu schweigen von den freien Künsten, die, anders als am Bauhaus, von Anbeginn zum experimentell künstlerischen Selbstverständnis aller Studierenden zählten.
So liegt die Qualität des Bandes in der teils sehr detaillierten Darlegung einzelner Aspek­te der Lehre, respektive des Architekturcurriculums. Allein die schiere Anzahl von über 2000 jährlichen Immatrikulationen – am Bauhaus schrieben sich während seines gesamten, 14jährigen Bestehens nicht einmal 1300 Studenten ein – erzwang ein „industrialisiertes“ Ausbildungssystem, das den schnellen, elementaren Einstieg ins fachliche Wissen ermöglichte. Zudem waren Materialressourcen für handwerklich praktische Übungen in der Sowjetunion noch rarer als in der Weimarer Republik. Weiß man aus der Webklasse des Bauhauses, dass Bast, Zellophan und weitere Surrogate einzubeziehen waren, so wurde in Moskau der unendlich wiederverwendbare Ton das wichtigste Material für Form- und, paradoxerweise, auch Raumübungen. Studien aus Ton zu „Masse und Gewicht“, „Interaktiven Geometrien“ oder „Rotationsvolumen“ waren sowohl autonome künstlerische Objekte als auch „Proto-Architekturen“, die aufgemessen, abgezeichnet und durch einen Skizzensatz funktionsfähige Baulösungen nachzuweisen hatten. So erklären sich vielleicht die oft mit massiver Wuchtigkeit überwältigenden Architekturentwürfe folgender Vertiefungssemester der Wchutemas, diewenig gemein hatten mit einem strukturellen, stärker aus dem Innenraum empfundenen Bauhaus-Kanon zu Scheibe, Stütze und Deckenplatte, etwa der Ära Mies van der Rohe.
Mit dem Moskauer Formenvokabular ließen sich jedoch nicht nur Diplomarbeiten zu Kongress- und Industriepalästen oder Massenstadien konzipieren, sondern auch komplette fliegen­de Städte – Bauutopien sind also nicht zwangsläufig an eine vordergründig „utopische“ Form gebunden. Bliebe zum Schluss nur der Wunsch, die Verfasserin hätte aus ihren, auch an unbekanntem Bildmaterial so reichen Studien in einem essayistischen Exkurs einen Impuls für die Gegenwart in Hochschule und Baupraxis gewonnen. Er wäre heute nötiger denn je.
Fakten
Autor / Herausgeber Anna Bokov
Verlag Park Books, Zürich 2020
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aus Bauwelt 25.2021
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