Bauwelt

Eine feuchtfröhliche Herrenrunde mit Marlenes Arm

Seit der Schau „Frau Architekt“ kursiert das Gerücht, die Bauwelt-Redaktion hätte in den Achtzigern Marlene Poelzig aus einem Foto des Richtfests der von ihr entworfenen Poelzig-Villa herausgeschnitten.

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

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Ein Scan des Leserbriefs von Cornelius Hertling, der in der Ausgabe 11.1984 abgedruckt wurde und dem das besagte Bild beilag.

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Ein Scan des Leserbriefs von Cornelius Hertling, der in der Ausgabe 11.1984 abgedruckt wurde und dem das besagte Bild beilag.


Eine feuchtfröhliche Herrenrunde mit Marlenes Arm

Seit der Schau „Frau Architekt“ kursiert das Gerücht, die Bauwelt-Redaktion hätte in den Achtzigern Marlene Poelzig aus einem Foto des Richtfests der von ihr entworfenen Poelzig-Villa herausgeschnitten.

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

Ein Blick in die Ausgabe zeigt, über Marlenes Arm wurde sich schon damals gewundert.
In den aktuellen Zeitgeist passende Narrative verbreiten sich – auch wenn sie falsch sind – erheblich besser als die komplexere, vielschichtige Wahrheit. Sie können die öffentliche Wahrnehmung beeinflussen und verfälschen so langfristig gegebenenfalls auch die Geschichtsschreibung. Eine dieser Erzählungen ist die von Marlene Poelzigs abgeschnittenen Arm auf einem Foto. Bei dieser wird fälschlicherweise kolportiert, dass die Architektin beim Abdruck des Richtfest-Fotos der von ihr 1929 entworfenen Familien-Villa in Berlin-Westend 1984 in der Bauwelt im Layout weggeschnitten worden wäre, um sie so aus der Architekturgeschichtsschreibung zu drängen. Eine Geschichte, die seit der „Frau Architekt“-Ausstellung des DAM (2017) immer wieder erzählt und gepostet wird und mittlerweile in Fachbüchern und Artikeln zu finden ist. Häufig mit dem Unterton, dass dabei ein vermeintlich chauvinistischer Bauwelt-Redakteur am Werk gewesen sei.
Die Versionen
Vom Richtfest-Foto der Poelzig-Villa gibt es mehrere Versionen. Eine im Familienbesitz befindliche Aufnahme zeigt eine größere, um einen Tisch sitzende Gruppe rund um Marlene und Hans Poelzig, zusammen mit dem damaligen Berliner Stadtbaurat Martin Wagner. Marlene im hellen Kleid mit Hut, Hans mit Zigarre. Die Bäume im Hintergrund nehmen nahezu die halbe Fläche des Bildes ein. Das Grundstück in der Tannenbergallee grenzt unmittelbar an den Grunewald.
In der Bauwelt 11.1984 wurde zusammen mit einem Leserbrief des Architekten Cornelius Hertling jedoch eine andere Version mit abgedruckt: Das Bild einer feuchtfröhlichen Herrenrunde mit Hauptfokus auf Martin Wagner und Hans Poelzig – ein Ausschnitt des deutlich größeren Richtfest-Fotos. Von Marlene ist hier nur noch ihr auf dem Tisch liegender Arm zu sehen. Hertling war lange Zeit Chefarchitekt im Büro von Peter Poelzig (Hans Poelzigs Sohn aus erster Ehe). Das beschnittene Foto hatte er – laut seinen eigenen Angaben – von Fritz Jaenecke, der ebenfalls auf dem Foto abgebildet ist, bekommen und es damals der Bauwelt geschickt, um sich, zusammen mit dem Hinweis „Hans Poelzigs Frau Marlene war Architektin und hat das eigene Poelzigsche Wohnhaus in der Tannenbergallee in Berlin-Westend alleine entworfen“, über dieses merkwürdig „abgeschnittene“ Foto zu wundern. Mehrere Abzüge kursierten davon – ohne Marlene, jedoch mit weißem Bildrand (und daher nicht selbst beschnitten). Man findet es auch so im Nachlass von Martin Wagner in der Akademie der Künste.
Die Bauwelt-Redaktion nutzte Hertlings Leserbrief damals dafür, zusammen mit dem Richtfest-Foto auch zwei Vorher-Nachher-Bildpaare der mittlerweile grundlegend umgestalteten Villa mit abzudrucken. Das Haus hat nur wenige Jahre im bauzeitlichen Zustand gestanden, wurde während des Zweiten Weltkriegs teilweise zerstört und beim Wiederaufbau stark verändert. Die zuständigen Denkmalpfleger und Denkmalpflegerinnen schauten sich 1987 den Garten und 1990 die Villa genauer an, beide wurden aufgrund der zu starken Überformungen nicht gelistet.
Die berufliche Partnerschaft
Hans Poelzig lernte die Bildhauerin Martha Helene („Marlene“) Moeschke im Frühjahr 1918 kennen und ging mit ihr eine private und berufliche Partnerschaft ein, in der viele seiner bekanntesten Projekte entstanden. Die beiden heirateten 1924, nach der Scheidung seiner ersten Frau. Marlene setzte aber bereits ab dem Umbau des Großen Schauspielhauses in Berlin zeichnerische Entwürfe in Modelle um, überwachte während seiner Abwesenheit die Ausführung und beteiligte sich bei vielen Projekten mit eigenen Entwürfen und Detaillösungen. Dabei herrschte im Büro eine partnerschaftliche Atmosphäre, oder aber wie es ein Kollege später formulierte: „Und vergessen darf nicht werden, dass auch seine Frau ihr Urteil abgab, daß er manchmal sehr dickköpfig war und nicht immer leicht zu überzeugen war, … ein langer Weg bis zur Ausreifung.“
Ein Werkverzeichnis aus dem Jahr 1931 führt sie – neben der von ihr allein entworfenen Villa – bei vierzehn weiteren Projekten als Mitarbeiterin auf, bei der Hälfte davon sogar als wichtigste, maßgeblich beteiligte Mitarbeiterin. Hans Poelzig gehörte zu den wenigen Architekten der damaligen Generation, die das Wirken ihrer Schüler und Büromitarbeiterinnen sichtbar gemacht haben. Nach dem Tod ihres Mannes 1936 konnte sie das bereits seit der Weltwirtschaftskrise und dem Beginn der NS-Zeit nahezu nur noch Wettbewerbe und kaum noch größere Projekte realisierende Architekturbüro jedoch nicht halten.
Nebenschauplätze
Das in der Bauwelt abgedruckte Foto der „Herrenrunde“ wurde im Zuge der aktuellen Debatten um die mittlerweile abgerissene Villa immer wieder als vermeintliche Bestätigung dafür angeführt, dass das berufliche Wirken von Frauen angeblich lange Zeit gezielt aus der Architekturgeschichtsschreibung herausgedrängt worden sei. Es wurde aus seinem ursprünglichen Kontext gerissen und ein falscher Vorwurf formuliert. Dieser tritt häufig zusammen mit einer ursprünglich in der Zeitschrift „Die Ingenieurin“ (2018) veröffentlichten
Darstellung auf, bei der der fragwürdige Teilausschnitt im deutlich größeren Richtfest-Foto klar markiert wurde: Ein Bild, wenig Text, hohe Aufmerksamkeit. Bis heute ist unklar, wer das Bild vom Richtfest beschnitten hat.
Die Poelzig-Villa gehörte nach ihrer Errichtung zu den am häufigsten publiziertesten Einfamilienhäusern der damaligen Zeit. Auch die Bauwelt hat 1930 einen langen Bericht über die Villa gebracht („Erbaut von Marlene Poelzig“). Erst später ebbte die Berichterstattung aufgrund der starken Überformung des Gebäudes ab. Aufgrund der Scheingefechte auf Nebenschauplätzen werden die wahren Ursachen des Abrisses dieser Villa (Bauwelt 10.2020 und 2.2021) jedoch kaum noch wahrgenommen.

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