Bauwelt

Ein Kiez vom Reißbrett?

Noch vor ihrer endgültigen Fertigstellung scheint das öffentliche Urteil über die Berliner Europacity gefällt: Das Entwicklungsgebiet am Hauptbahnhof gilt als Abwurfstelle für Betongold, mit Stadt habe das wenig zu tun. Aber stimmt das wirklich? Ein genauerer Blick lohnt, vor allem auf das sogenannte Quartier Heidestraße.

Text: Friedrich, Jan, Berlin

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    Das Quartier Heidestraße in der Berliner Europacity im Dezember 2017 ...
    Foto: © Quartier Heidestraße/Contempo Zeitraffer

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    Das Quartier Heidestraße in der Berliner Europacity im Dezember 2017 ...

    Foto: © Quartier Heidestraße/Contempo Zeitraffer

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    ... und im Sommer 2021.
    Foto: © Quartier Heidestraße/Contempo Zeitraffer

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    Foto: © Quartier Heidestraße/Contempo Zeitraffer

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    Die Europacity auf ehemaligem Bahngelände zwischen den Berliner Stadtteilen Moabit im Westen und Mitte im Osten. Im Südosten des Areals (linke untere Bild­ecke) der Hauptbahnhof, im Nordwesten entlang der Bahntrasse das im Bau befindliche Quartier Heidestraße.
    Luftbild: © Quartier Heidestraße

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    Die Europacity auf ehemaligem Bahngelände zwischen den Berliner Stadtteilen Moabit im Westen und Mitte im Osten. Im Südosten des Areals (linke untere Bild­ecke) der Hauptbahnhof, im Nordwesten entlang der Bahntrasse das im Bau befindliche Quartier Heidestraße.

    Luftbild: © Quartier Heidestraße

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    Noch sind die differenzierten Bezüge ...
    Rendering: © Quartier Heidestraße

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    ... von Erdgeschossnutzung zu öffentlichen Räumen ...
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    ... vielversprechende Absichtserklärung.
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    Der dreieckige Quartiersplatz vor dem fast fertigen und inzwischen teilweise bezogenen Mixed-use-Block von Robertneun.
    Foto: © Quartier Heidestraße/Contempo Zeitraffer

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    Der dreieckige Quartiersplatz vor dem fast fertigen und inzwischen teilweise bezogenen Mixed-use-Block von Robertneun.

    Foto: © Quartier Heidestraße/Contempo Zeitraffer

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    September 2021: Blick über das Quartier Heidestraße in Richtung Nordwesten ...
    Foto: © Quartier Heidestraße/Contempo Zeitraffer

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    September 2021: Blick über das Quartier Heidestraße in Richtung Nordwesten ...

    Foto: © Quartier Heidestraße/Contempo Zeitraffer

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    ... und entlang der Heidestraße in Richtung Süden.
    Foto: © Quartier Heidestraße/Contempo Zeitraffer

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    ... und entlang der Heidestraße in Richtung Süden.

    Foto: © Quartier Heidestraße/Contempo Zeitraffer

Ein Kiez vom Reißbrett?

Noch vor ihrer endgültigen Fertigstellung scheint das öffentliche Urteil über die Berliner Europacity gefällt: Das Entwicklungsgebiet am Hauptbahnhof gilt als Abwurfstelle für Betongold, mit Stadt habe das wenig zu tun. Aber stimmt das wirklich? Ein genauerer Blick lohnt, vor allem auf das sogenannte Quartier Heidestraße.

Text: Friedrich, Jan, Berlin

Man kann sich das heute kaum mehr vorstellen: 40 Hektar mitten in Berlin, die sich im Eigentum der Bahn befinden, werden privatisiert und ein Masterplan für ein neues Stadtviertel wird aufgestellt, der ein Filetieren in investorengerechte Einzelteile regelrecht nahelegt. Wohnungsbau ist in dem Plan zwar reichlich vorgesehen, aber an Wohnungsbau in nennenswertem Umfang glaubt in Berlin damals niemand. Sozialer Wohnungsbau ist schon gar kein Thema in der Bundeshauptstadt, eine Wohnungsbauförderung existiert nicht mehr. Instrumente wie etwa ein Vorkaufsrecht auf das Gelände zu nutzen, um der öffentlichen Hand einen wirklichen Einfluss auf die künftige Stadtentwicklung zu gewährleisten? Fehlanzeige. Berlin ist fest im Würgegriff des Schuldenabbau-Paradigmas. Überhaupt Stadtentwicklung: Würde die Stadt in näherer Zukunft denn tatsächlich wachsen? Man meint, froh sein zu können, wenn ein Entwickler irgendein Interesse zeigt, Geld nach Berlin zu bringen. Entsprechend wenig traut man sich, potenziellen Investoren Auflagen zu machen.
Das Ganze ist gerade einmal zwölf Jahre her (2009 wurde der Masterplan für die Europacity nördlich vom Berliner Hauptbahnhof beschlossen), wirkt aber wie aus einer fernen Epoche. Weitsichtige haben schon damals gewarnt, dass das alles kurzsichtig sei. Aber der Zeitgeist war ein neoliberaler, die seinerzeit politisch Verantwortlichen meinten, keine Alternative zu haben. Als Berlin dann unerwartet doch zu wachsen beginnt, gleichzeitig Investoren auf der ganzen Welt angesichts niedrigster Zinsen ihr Geld in Betongold anlegen und die Projektentwickler in der Europacity tatsächlich zu bauen anfangen (Bauwelt 12.2016), da hat sich dieser Zeitgeist längst gedreht. Vor allem kostengünstige Wohnungen fehlen nun in der Stadt, nach vielen Jahren der reinen Verwaltung ihrer Bestände müssen die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften wieder das Bauen lernen. Genossenschaften treten auf den Plan. Und nördlich vom Berliner Hauptbahnhof? Da entsteht gleichzeitig neben neuen Bürogebäuden freifinanzierter gehobener Wohnungsbau, immerhin mit wenigen Ausnahmen kein Eigentum, sondern Mietwohnungen, die vermutlich aber viel zu teuer für den größten Teil der Wohnungssuchenden sein werden.
Ist damit der Stab über die Europacity zu brechen? Oder kann aus einer Entwicklung, deren Konzept von Anbeginn so auf die Bedürfnisse von Investoren und Projektentwicklern zugeschnitten war, nicht doch auch ein gutes Stück Stadt entstehen? Ein lebendiges Stadtviertel? Ein Kiez?
Tatsächlich lohnt es sich, jetzt, wo ein großer Teil der Berliner Europacity fertiggestellt und bezogen ist oder der baldigen Fertigstellung entgegensieht, genauer hinzuschauen. Man wird einige Erkenntnisse darüber erlangen, unter welchen Bedingungen in einer derart renditegetriebenen Stadtentwicklung vielleicht doch Qualität entstehen kann und unter welchen eher nicht. Im Grunde genommen muss man sich dazu für den Anfang nur auf den grünen Mittelstreifen der Heidestraße stellen, die den neuen Stadtteil in Nord-Süd-Richtung in zwei Teile teilt, und einen Blick nach links und nach rechts werfen. Östlich der Heidestraße, bis an die Uferpromenade am Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal heran, ist das Viertel zum größten Teil fertiggebaut. Nachdem man, vom Hauptbahnhof kommend, zunächst ein paar Bürogebäude unterschiedlicher architektonischer Qualität passiert hat, befindet man sich bald in jenem Abschnitt des Viertels, in dem der Wohnanteil dominiert.
Diese Wohnblöcke im östlichen Teil wurden zwar von namhaften Architekturbüros entworfen, von denen man Qualität erwarten könnte – Regula Lüscher, von 2007 bis Sommer 2021 Senatsbaudirektorin, war es in einer Qualitätsoffensive für die Europacity gelungen durchzusetzen, dass fast alle Bauherren Wettbewerbe durchführten –, aber leider sieht man vielen der Häuser deutlich an, dass auf dem Weg zwischen vielversprechendem Entwurf und Ausführung offensichtlich der Rotstift das wichtigste Werkzeug war. Es überrascht nicht, wenn man erfährt, dass die meisten Gebäude auf dieser Seite der Straße schon als Projekt mindestens einmal den Besitzer wechselten – ein nicht unüblicher Vorgang, der eigentlich immer zu Lasten der architektonischen Qualität in der Ausführung geht.
Die Erdgeschosse entlang der Heidestraße und auf beiden Seiten des neuen zentralen Platzes der Europacity, des Otto-Weidt-Platzes, sind konsequent für eine gewerbliche Nutzung ausgebildet, das war im städtebaulichen Vertrag so vereinbart worden. In den Seitenstraßen allerdings wird auch in den Erdgeschossen gewohnt, was bei einigen der Häuser zu eklatanten Problemen bei der Abgrenzung von Privatheit und Öffentlichkeit geführt hat. So weit der Blick nach rechts.
Linkerhand, westlich der Heidestraße, entsteht ein Quartier aus fünf gemischten Blöcken mit Wohnungen, Büros und Gewerbe, einer Blockrand­arrondierung mit teilweise geförderten Wohnungen, einer Kita und einem Hotel sowie entlang der Bahntrasse ein Büroriegel als Rückgrat des Viertels. Das sogenannte Quartier Heidestraße ist noch im Bau. Doch schon anhand des Wenigen, das bereits fertig oder weitgehend fertig ist, lässt sich feststellen, dass hier die Qualitätslatte um vieles höher liegt.
Das beginnt bei den Fassadenmaterialien, etwa dem Ziegel des Blocks von Robertneun Architekten oder der Betonfassade des Gebäudeensem­bles von CKRS Architekten, das den Anschluss an die Altbauten im Süden des Areals herstellt. Konsequent sind in allen Blöcken zur stark befahrenen Heidestraße hin ausschließlich Gewerbe- und Büroflächen angeordnet. Gewohnt wird zu den Seitenstraßen und dort auch nur in den Obergeschossen. Der Auftritt der Bauten, von denen keiner versucht, irgendeine Art von gründerzeitlicher Parzellierung vorzutäuschen, ist um Längen selbstbewusster und großstädtischer als auf der anderen Straßenseite. Das ist sogar bei den Blocks, die erst im Rohbau fertig sind – von Collignon, von gmp und ein weiterer von Robertneun –, schon zu spüren. Und erst recht bei dem 500 Meter langen Büroriegel mit einer Reihe von Turmaufbauten von EM2N, von dem einige Teile fast fertiggestellt sind.
Wie sehr die Verantwortlichen tatsächlich darum bemüht sind, dass hier langfristig ein funktionierendes Stadtquartier entstehen kann, zeigt aber erst der Blick auf einen Erdgeschossgrundriss des Quartiers, in dem die unterschiedlichen Nutzungen markiert sind. Ein differenziertes Angebot aus unterschiedlich großen und kleinen Gewerbe- und Gastronomieflächen ist hier vorgesehen, das fein auf die verschiedenen öffentlichen Räume des Viertels abgestimmt zu sein scheint.
Was, fragt man sich, ist westlich der Heidestraße so anders gelaufen als auf der Ostseite? Wenn man sich mit Beteiligten unterhält, kommt man zu dem Schluss: Es ist schlicht der Projektentwickler und Bauherr, der den Unterschied macht. Thomas Bergander, Geschäftsführer des Immobilienberatungsunternehmens Taurecon Real Estate Consulting GmbH und Geschäftsführer der Quartier Heidestraße GmbH, die Eigentümer und Bauherr des Quartiers ist, hat das Areal seinerzeit im Auftrag von Investoren von der Bahn erworben, um das Quartier zu entwickeln, es tatsächlich zu bauen und im Bestand der Gesellschaft zu halten. Als Bestandshalter geht man unweigerlich mit einem anderen Qualitätsanspruch an die Sache ran, dem Geschäftsmodell liegt eben nicht die schnelle Rendite zugrunde, sondern eine mittel- bis langfristige.
Im Gespräch mit Bergander vermittelt sich der Eindruck, dass es das allein aber nicht ist, sondern dass der gelernte Betriebswirt und Finanzökonom darüber hinaus von der Vorstellung geleitet wird, als Ergebnis dieses Rieseninvestments ein tatsächlich funktionierendes Stück Stadt abliefern zu wollen. Vielleicht hat er dieses Bewusstsein von Anfang an mitgebracht, vielleicht hat er sich auch von der Qualitätsoffensive der ehemaligen Senatsbaudirektorin anstecken lassen – ein riskantes Spiel bleibt es allemal, wenn sich die Öffentlichkeit für das Gelingen eines neuen Stadtteils vom Geschäftsmodell und der Neigung des Bauherrn abhängig machen muss.

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