Bauwelt

Grüße aus Braunschweig

Wie hältst du’s mit der Moderne? Vielleicht ist das die Kernfrage, die eine Architektin und Autorin an die Stadt zu stellen hat, in der sie wohnt.

Text: Brosowsky, Bettina Maria

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    • Social Media Items Social Media Items

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    • Social Media Items Social Media Items

Grüße aus Braunschweig

Wie hältst du’s mit der Moderne? Vielleicht ist das die Kernfrage, die eine Architektin und Autorin an die Stadt zu stellen hat, in der sie wohnt.

Text: Brosowsky, Bettina Maria

Wenn diese Stadt dann das traditionsverliebte Brauschweig ist, fällt die Antwort, höflich ausgedrückt, bescheiden aus. Und die Empfehlung für ein Besichtigungsprogramm ebenso.
Der logische Ausgangspunkt eines Streifzugs wäre der Bahnhof. Wahlweise als Oscar-Niemeyer-Hauptstadtpathos, runtergebrochen auf Provinzniveau, verspottet oder 2015 als abrisswürdige Architektursünde auf Spiegel-Online gekürt, ist er ein Beispiel für die gern verdrängte Kontinuität zwischen NS-Planung und Nachkriegsmoderne. Seine Positionierung an der südlichen Peripherie der Stadt datiert von 1939, seine 1960 fertiggestellte, 1993 unter Denkmalschutz gestellte Architektur von Bundesbahnoberrat Erwin Dürkop, der im Wettbewerb 1955 einen von zwei ersten Preisen errungen hatte, orientierte sich an einer verhalten monumentalen Nachkriegsmoderne italienischer Referenzbauten. Die verglaste Eingangshalle, das ausladende Vordach und die dreißig Meter hohe Scheibe des Verwaltungsbaus: Der neue Bahnhof sollte Aufbruchsstimmung signalisieren.
Ein kleines Stück neuer Welt aus Hotel, drei Wohnhochhäusern und einem „Bummel Center“, geplant vom Büro Kraemer, Pfenning, Sieverts, antwortete, ihm gegenüberliegend, mit durchaus urbanen Baugestalten, verband sich per Fußgängerbrücke mit seinem Vorplatz, Rolltreppe inklusive, und überdimensionierten Autostraßen zu den Füßen. So viel Fortschrittsglauben vertrug sich nicht mit der Zonenrandlage, zu der die Stadt 1961 verdammt wurde. Vernachlässigung war die Folge, der Bahnhof wie auch besagtes Stück neuer Welt fielen in Misskredit. Die Brücke: demontiert. Das Hotel und die drei Hochhäuser: dem letzten Rest ihres kantigen Anstands per Wärmedämmung beraubt. Dabei aber blieb es nicht. Die Stadthalle in fußläufiger Nä-he, das kühne technische Rathaus – nun wäre man schon in der Innenstadt –, besonders aber Institutsgebäude und der zentrale Campus der TU, einst als Aushängeschilder einer „Braunschweiger Schule“ der Architekturausbildung international publiziert: Sie alle dämmerten (und dämmern teils noch) vor sich hin. Ihr utopischer Überschuss welkt, ihr Beitrag zu einer modernen Stadt blieb unerkannt, nicht gewürdigt, aktiv ausgeschlagen.
Wenig Neues kam in den letzten Jahren hinzu. Im zentralen Bereich der TU wäre da das strahlend weiße Studierendenhaus von Gustav Düsing und Max Hacke, gerade mit dem Deutschen Architekturpreis 2023 ausgezeichnet (Bauwelt 16.2023). Aber hat es die Kraft, langfristig zu strahlen? Zur Supervision, dem Mentalitätsverständnis der Stadt, empfiehlt es sich, mit dem Fahrstuhl hinauf in die oberen Geschosse des Okerhochhauses der TU zu fahren – und ein Stadtgefüge zu erkennen, fast verharrt in seiner mittelalterlichen Struktur.
Das Kulturleben Braunschweigs sei noch erwähnt. Das Staatstheater mit seinem erstklassigen Orchester, das Herzog Anton Ulrich Museum, als „Louvre des Nordens“ gepriesen, mehrere Kunstvereine oder das Museum für Photographie, das immer wieder überrascht: Sie residieren, wie zu erwarten, im Wesentlichen in Altbauten. Mitten zwischen diesen Institutionen lässt sich ein Happen im Lokal „Reyna“ genießen, das den kulinarischen Auftrag eines ehemaligen kurdischen Restaurants fortführt. Und zur Lektüre sei ein, klar: historischer! Braunschweiger auf den Heimweg mitgegeben, August Klingemann. Er professionalisierte in 19. Jahrhundert das Braunschweiger Theater, brachte „Faust I“ als fünf-stündige Uraufführung auf die Bühne und schlüpfte für seine 16 Nachtwachen des Bonaventura in die Rolle des hellsichtigen Beobachters seiner Zeit. „Ich saß in meinem Dunkel, und die wunderbare große Welt ging in meinem Geiste auf …“
Kulinarisches
„Reyna“, Am Schlossgarten 7, 38100 Braunschweig
Literaturempfehlung
August Klingemann: Die Nachtwachen des Bonaventura, Zürich 2001

0 Kommentare


loading
x
loading

10.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.