Am falschen Ort die richtige Diskussion
Die Neugestaltung des Berliner Gendarmenmarktes lässt die Wellen der Empörung hoch schlagen. Wurde hier wirklich die Chance verpasst, einen Meilenstein des klimaresilienten Stadtumbaus zu setzen?
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Am falschen Ort die richtige Diskussion
Die Neugestaltung des Berliner Gendarmenmarktes lässt die Wellen der Empörung hoch schlagen. Wurde hier wirklich die Chance verpasst, einen Meilenstein des klimaresilienten Stadtumbaus zu setzen?
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Oder lenkt die Diskussion nicht vielmehr ab von den tatsächlichen Handlungsfeldern der grün-blauen Veränderung?
Da steht sie, Gewehr bei Fuß, die Gendarmerie der grünen Transformation, zückt ihre Strafzettel und verteilt Bußgelder. Stadtentwicklung nach dem Kontrollzettel – wenn irgendwo ein Häkchen fehlt, wird zurechtgewiesen. Was ist das Problem? Auf dem erneuerten Gendarmenmarkt in der Berliner Friedrichstadt fehlen den Krämerseelen Bäume: „Eine Steinwüste, zu Hilfe, das Stadtklima, wir werden verglühen im Sommer!“ Sogar ein rheinländischer Hinterbänkler der CDU-Bundestagsfraktion stimmt ein in den Chor der Empörten, ein einsamer Aktivist pflanzt sich als Baum verkleidet auf dem Platz auf, um die Planung anzuklagen. Dass Stadt ein komplexes Geflecht aus Beziehungen, Nutzungen, Einzelinteressen und Gemeinwohl ist, sich nicht auf einen einzigen Aspekt reduzieren lässt, übersteigt das Erfassungsvermögen mancher Aktivist:innen. Daher ein paar Handreichungen zur Abkühlung der Gemüter. Begonnen sei, bevor auf die eigentliche Projektgeschichte eingegangen wird, tief in der Historie, mit der Entstehung des Platzes im ausgehenden 17. Jahrhundert.
Damals wurde der heutige Gendarmenmarkt als Marktplatz für die Erweiterung Berlins in Richtung Westen, die sogenannte Friedrichstadt, an-gelegt sowie als Bauplatz für zwei Kirchen: der französischen Hugenotten im Norden und der deutschen Lutheraner und Schweizer Calvinisten im Süden. Die beiden Kirchen, 1705 und 1708 fertiggestellt, nahmen mit den sie umgebenden Friedhöfen jeweils die Fläche eines Baublocks ein, die Fläche des Blocks dazwischen blieb frei für das Marktgeschehen. Diese sakrale und kommerzielle Widmung des Ortes wurde ergänzt von den Übungen des hugenottischen Regiments Gens d’Armes, dessen Stal-lungen auf der Ostseite des Platzes standen und nach 1733 vergrößert wurden und dann auch die beiden Friedhöfe umschlossen.
Die Umquartierung des Regiments 1773 erlaubte es, den mittlerweile als Gendarmenmarkt bezeichneten Platz umzugestalten zu einem Architek-turplatz. Die Auflassung der beiden Friedhöfe in den Jahren 1763 und 1780 kam diesen Plänen zugute. Zwischen den beiden Kirchen wurde 1774 ein kleines, von Georg Christian Unger entworfenes Theater für die Französische Komödiantentruppe errichtet, vor den beiden Kirchen veranlasste Friedrich II. 1785 den Bau zweier Türme, entworfen von Gontard. Diese hatten keine Funktion außer zu repräsentieren, sie waren räumlich auch nicht mit den angrenzenden Kirchen verbunden. Das zu klein gewordene Theater wurde 1801 durch einen größeren Neubau, geplant von Carl Gotthard Langhans, ersetzt. Der klassizistische Bau an der Westseite des Platzes griff das Portikusmotiv von Gontards Türmen auf und schloss den Raum zwischen den Kirchen – der Gendarmenmarkt als Architekturplatz war komplett. Daran änderte auch der Brand von Langhans’ Theater 1817 nichts – die Ruine wurde durch Schinkels Schauspielhaus ersetzt. Auch weiterhin diente der Platz für Marktzwecke sowie Kundgebungen.
1871 änderte sich dann sein Charakter hin zu jenem Zustand, der in der heutigen Diskussion als vorbildlich aufgerufen wird: Mit dem Bau des Schiller-Denkmals, entworfen von Reinhold Begas, wurde vor dem Schauspielhaus eine Grünanlage geschaffen. Markt fand aber weiterhin statt, und zwar in den seitlichen Bereichen um die Kirchen, bis 1886 nahe dem Alexanderplatz die Zentralmarkthalle eröffnet wurde – nun konnte der Gendarmenmarkt als gärtnerischer Schmuckplatz entwickelt werden. Der Entwurf von Stadtgartendirektor Hermann Mächtig war 1895 realisiert.
Schon in den zwanziger Jahren aber setzte wieder eine Gegenentwicklung ein: Man vereinfachte den überbordenden Pflanzenschmuck, von Erich Mendelsohn soll sogar ein Entwurf für die Rückverwandlung in einen Architekturplatz existieren. Doch erst in der Zeit des Nationalsozialismus wurden die Reste von Mächtigs Gartenanlage im Mittelbereich des Platzes, vor dem Schauspielhaus, durch die bis heute prägende Pflasterung ersetzt. Die Rasterstruktur ähnelte jener, die damals auch im Lustgarten rea-lisiert wurde. Der Platz diente nun einerseits als Abstellfläche für die zahl-reicher gewordenen Automobile, andererseits für Kundgebungen und Aufmärsche. Daran änderte auch die Neugestaltung zu DDR-Zeiten nichts: Die Neupflasterung anlässlich der der Wiedereröffnung des Schauspielhauses 1984 behielt das auf die Architektur bezogene Raster bei und führte dieses sogar bis an die Kirchen heran. Denn im Zuge der damaligen Neugestaltung wurden die über den Platz führenden Straßen Jäger- und Taubenstraße aufgehoben und damit erstmals eine durchgängige, zudem gegenüber dem Straßenniveau erhöhte Platzfläche geschaffen. In den Randbereichen hinter bzw. vor den Kirchen wurden kleinkronige Kugel-Ahorn-Bäume statt der zunächst vorgesehenen Linden gepflanzt. Südwestlich des Deutschen Doms kamen die Fundamente der Mächtig’schen Gestaltung zum Vorschein, weshalb hier Anfang der neunziger Jahre der Zustand des ausgehenden 19. Jahrhunderts rekonstruiert wurde.
Steht man nun, nach der abgeschlossenen Erneuerung nach Plänen eines Teams um das Dresdener Landschaftsarchitekturbüro Rehwaldt, auf dem Platz, hat sich auf den ersten Blick gar nicht viel verändert: Weder wurden wieder die Straßen zwischen Schauspielhaus und Kirchen über den Platz geführt, noch sind die Kugel-Ahorne aus DDR-Zeiten verschwunden; das Schillerdenkmal steht nach wie vor in der Mittelachse vor dem Portikus des Schinkel-Baus, und auch die Platzoberfläche wirkt vertraut mit ihrem Raster-Pflaster. Tatsächlich aber hat sich manches verändert – und damit kurz zu den Bedingungen und Einflüssen, die auf das 2008 mit einem Wettbewerb von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung unter der damaligen Senatsbaudirektorin Lüscher in Angriff genommene, dann vom Bezirk weitergeführte und schließlich vom landeseigenen Unternehmen Grün Berlin realisierte Erneuerungsprojekt gewirkt haben.
Die Teilnehmenden – Teams aus Landschaftsarchitekten, Gartendenkmalpflegern und Verkehrsplanern – hatten bei ihren Entwürfen eine ganze Reihe von Anforderungen zu berücksichtigen: Funktional sollte vor allem weiterhin Platz sein für den alljährlichen Weihnachtsmarkt sowie für die Freiluftkonzerte im Sommer, auch die Gastronomie am Platz verlangte freie Flächen für Außenbestuhlung. Die Anhebung des Platzniveaus sollte zumindest teilweise zugunsten einer barrierefreien Erreichbarkeit revidiert werden. Gestalterisch sollten die verschiedenen Zeitschichten respektiert, nicht eine bestimmte Epoche hervorgehoben werden. Das Vorhaben, die niedrigen, kleinkronigen Kugel-Ahorne aus DDR-Zeiten durch größere, für Klima und Vögel nützlichere Solitärbäume zu ersetzen, wurde nach einer Bürgerbeteiligung allerdings aufgegeben, die auf Erhalt des DDR-Baumbestands gepocht hatte. Der größte Eingriff aber ist nicht mit dem Auge erkennbar: Unter dem neuen Pflaster, das sich an die gegebene Rasterstruktur anlehnt, entstand eine gewaltige Infrastruktur, die selbst bei Starkregen die Versickerung des Regenwassers an Ort und Stelle möglich macht.
Die Planung hat all diese Forderungen berücksichtigt und immerhin an der Südostecke neue Solitärbäume auf den Platz gebracht. Der Gendarmenmarkt ist damit ein großzügiger Architekturplatz geblieben, dominiert von den drei historischen Solitärbauten und mit viel Freiraum für Veranstaltungen. Ausgerechnet auf diesem Platz Bäume pflanzen zu wollen, erscheint absurd – der Umbau der Stadt unter dem Stichwort Klimawandel entscheidet sich nicht auf dem Gendarmenmarkt. Eine „Bewaldung“ dieses Platzes wäre bloße Symbolpolitik, ähnlich dem Streitfall Fußgängerzone Friedrichstraße, die Anfang 2023 der Rot-Rot-Grünen Regierung das Aus beschert hat. Um die Transformation zu bewältigen, Berlin grüner, blauer, kühler zu machen und dabei auch mehr Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum zu schaffen, gilt es, endlich die Räume der autogerechten Stadt anzufassen, all die überdimensionierten Asphaltflächen zu entsiegeln, die für den Fahrverkehr wie für das Parken seit den fünfziger Jahren ausgegossen wurden. Welche Potenziale diese Räume bieten, wurde in der Hauptstadt erst letztes Jahr in der Freiluftausstellung „immer modern! Berlin und seine Straßen“ deutlich, die der AIV im Herbst auf dem Mittelstreifen Unter den Linden gezeigt hat (Bauwelt 23.2024). Apropos Unter den Linden: Wie man hört, sollen dort wohl tatsächlich in absehbarer Zeit die mit dem U-Bahn-Bau 2012 gefällten Bäume nachgepflanzt werden. Endlich.
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