Sankt Hedwigs-Kathedrale in Berlin
Die Bauwelt hat die Pläne zum Umbau des Innenraums der Berliner Sankt Hedwigs-Kathedrale, seit sie 2014 angekündigt wurden, kritisch begleitet. Unser Autor hat eine Umgestaltung ursprünglich begrüßt. Wie urteilt er nach der Fertigstellung?
Text: Hoffmann-Axthelm, Dieter, Berlin
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Am Christkönigssonntag, 24. November 2024 ist Sankt Hedwig nach sechs Jahren Schließzeit wegen Sanie- rung und Umbau im Innern ...
Foto: Roland Halbe
Am Christkönigssonntag, 24. November 2024 ist Sankt Hedwig nach sechs Jahren Schließzeit wegen Sanie- rung und Umbau im Innern ...
Foto: Roland Halbe
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... mit einem Pontifikalamt wiedereröffnet worden.
Foto: Roland Halbe
... mit einem Pontifikalamt wiedereröffnet worden.
Foto: Roland Halbe
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Die bei der Umgestaltung durch Hans Schwippert 1960–63 geschaffene Öffnung zwischen Ober- und Unterkirche ist wieder geschlossen – ...
Foto: Roland Halbe
Die bei der Umgestaltung durch Hans Schwippert 1960–63 geschaffene Öffnung zwischen Ober- und Unterkirche ist wieder geschlossen – ...
Foto: Roland Halbe
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... wie überhaupt alle historischen Spuren mit minimalistischen Details und leuchtendem Weiß überschrieben wurden.
Foto: Roland Halbe
... wie überhaupt alle historischen Spuren mit minimalistischen Details und leuchtendem Weiß überschrieben wurden.
Foto: Roland Halbe
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Der nach Plänen von Hans Schwippert geschaffene Kirchenraum, ...
Foto: Andreas Rost
Der nach Plänen von Hans Schwippert geschaffene Kirchenraum, ...
Foto: Andreas Rost
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... wie er sich vor dem aktuellen Umbau darstellte.
Foto: Kristian Barthen/KNA
... wie er sich vor dem aktuellen Umbau darstellte.
Foto: Kristian Barthen/KNA
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Das zeigt die bereits wieder geschlossene Krypta zur Zeit der Bauarbeiten im Frühjahr 2024 aus demselben Blickwinkel wie das Bild darüber. Bis Redaktionsschluss wurde in der Krypta gebaut.
Foto: Kristian Barthen/KNA
Das zeigt die bereits wieder geschlossene Krypta zur Zeit der Bauarbeiten im Frühjahr 2024 aus demselben Blickwinkel wie das Bild darüber. Bis Redaktionsschluss wurde in der Krypta gebaut.
Foto: Kristian Barthen/KNA
Die Neufassung ist so durchschlagend, dass sie offenbar auch Gegner oder Skeptiker überzeugt. Es kann einem aber auch umgekehrt gehen: dass man es gar nicht erwarten konnte, bis der durch mehrfachen Um- wie nach Kriegszerstörung durch einen dramatischen Wiederaufbau gegangene Kuppelraum dank Schließung des Bodens wieder zu sich kommt – um jetzt, beim ersten Wiederbetreten, von einer nicht für möglich gehaltenen Abwesenheit schockiert zu sein: Wo ist es geblieben, das Berliner Pantheon?
2018 hatte der Innenraum von Sankt Hedwig gerade noch mit der Installation Glowing Core von Rebecca Horn seinen schönsten Augenblick gehabt. Die Öffnung der Unterkirche war durch einen leichten Holzboden überdeckt, und Hans Schwipperts Fassung der Oberkirche kam zu einem Glanz, den sie vorher so nicht hatte zeigen können. Der in der Mitte schwebende Glutkern machte es nur umso klarer. So hätte es, die notwendigen Reparaturen und Reinigungen unter dem Gesichtspunkt Schonung vorgenommen statt Neubau, bleiben können.
Dafür gab es allerdings im Streit der Akteure keine Chance: Hier das Erzbistum Berlin, das sich, nachdem es sich zur Schließung des „Loches“ durchgerungen hatte, mangels eigener ästhetischer Kompetenz bedingungslos dem 1. Preis des Wettbewerbs unterwarf; dort das Berliner Denkmalamt, das weniger Schwippert als überhaupt Moderne retten wollte, sich in die Offenlassung der Unterkirche verbiss und damit jede Chance vergab, mäßigend auf den Siegerentwurf von Sichau & Walter einzuwirken.
So führte der anfängliche Wunsch, den Boden wieder zu schließen, am Ende zu einem weit darüber hinaus gehenden Ergebnis: „Während die äußere Hülle nahezu unverändert blieb, wurde das Innere von Grund auf neu gestaltet.“ (Zitat aus dem Flyer des Erzbistums) In der Tat hat man jetzt eine so radikale Innenerneuerung, dass die Vorgeschichte, ob Knobelsdorff oder Schwippert, vollständig zum Schweigen gebracht ist. Und was hat man, „von Grund auf neu“, dafür eingetauscht? Es ist ein merkwürdig zeitloser Raum entstanden, weder historistisch noch modern, aber durchaus zeittypisch.
Erstens: Die Architekten haben aus dem reichen historischen Material allein die Kreisform herausgegriffen. Sie ist jetzt, die abstrakteste Form überhaupt, die alles beherrschende Figur. Daraus folgte als nächstes die bedingungslose Konzentration auf die Mittelachse von Kuppelauge und zentralem Altar. Der historische Innenraum dagegen war durchaus gerichtet, auf der einen Seite die Eingangsportale, auf der anderen die Altarseite, analog der Entsprechung von Portikus vorn und kleiner Rotunde hinten am Außenbau. Noch Hans Schwippert hatte aus liturgischen Gründen1 einen Kompromiss versucht, indem er den Altar leicht aus der Mittelachse herausrückte und mit einer erhöhten Altarinsel verband, deren anderen Pol, wandnah, die bischöfliche Kathedra bildete.
Die Neufassung hat sich dagegen so in die Zirkularität der Anlage verkrallt, dass ihr darüber die klassische Raumform überhaupt entgleitet. Jetzt reduziert sich alles auf eine Achse zwischen der Halbkugel des Altars unten und dem Okulus oben. Indem der Altar in den Mittelpunkt rückt, hört er auf, den Raum zu bewegen. Es herrscht eine topologische Fassungslosigkeit: Alles Übrige, Menschen wie Gegenstände, wird dadurch zur zufälligen Umgebung, in der alles sein oder auch nicht sein könnte, er selbst aber bezeichnet nichts weiter als eben Mitte, was sich sicher theologisch gut überhöhen lässt, räum-lich aber bedeutungslos bleibt, leere Identität.
Das zweite ist die Farbe Weiß, die, von leich-ter Abtönung oberhalb des Architravs abgesehen, den gesamten Raum überzieht. So bedeute Weiß auch nicht Farbe, sondern einen geradezu manichäischen Verzicht auf Farbe – man könnte glauben, nicht in eine katholische, sondern reformierte Kirche zu treten, wo Weiß und Bilderverbot bekenntnismäßig eins sind. Die zwei herübergeretteten Skulpturen, die zuvor in ihrer Farbenpracht ein Jenseits des Raums formulierten, wirken jetzt in ihren Fensternischen wie ein Stilbruch – der Raum hat sich an ihre Stelle gesetzt. Hatte Hans Schwipperts Innenraumgestaltung vom Kontrast zwischen weißen Säulen und dem abgedunkelten Pastellgrün der Wände gelebt, so verschwimmen nun, indem alles weiß ist, die Grenzen zwischen Mauerhülle und Gliederungen. Gleichzeitig schützt das opake Fensterglas wie eine Wolkenschicht vor der Außenwelt. Damit kommt der gesamte Raum, statt zu stehen, ins Schweben bezeihungsweise geht in eine Atmosphäre des Ungefähren über, die ihn von aller Geschichte erlöst, zugunsten jener zeitenthobenen sphärischen Entrückung, welche das Entzücken der Bewunderer bildet.
Das trifft vor allem auch die Kuppel. Die vor-herige, 1953 errichtet, war das Werk des Wiederaufbaus vor Schwippert. Das Rippenwerk der Stahlbetonsegmente hatte die Kuppel vielleicht sogar eindrucksvoller inszeniert als die drei vorangegangenen Fassungen. Die neue Kuppel wirkt, unabhängig vom leicht verminderten Umfang, viel flacher als sie ist, denn der kleinteiligen Musterung der neuen Innenschale fehlt jede interpretierende Macht. Die Kuppel hat ihr Pathos verloren, sie ist nunmehr kaum mehr als das Umfeld des Kuppelauges.
Das Dritte ist der Untergang des Details. Alles Aufgliedernde und statisch Sprechende ist bis zur Unscheinbarkeit zurückgenommen. Was aber ist ein Kuppelraum ohne vorgewiesenes Tragen und Lasten? Das betrifft in erster Linie, wie mit den zwölf den Architrav tragenden Säulenpaaren verfahren wurde. Schwippert hatte sie, da in ihrer Statik fraglich geworden, mit einer stützenden Hülle umgeben lassen, also auf die erhaltenen Kapitelle verzichtet,2 aber die Säulenform bewahrt: auf einer steinernen Basis stehendund von dieser durch einen feinen Rücksprung abgehoben, gleicher Rücksprung in der Höhe gegenüber dem Architrav, hier aber vergoldet. Jetzt stehen auf einem breiten Unterbau, der offenbar das Raumklima bedient, vierundzwanzig glatte weiße Rohre vor der Wand, das Röhrenformat einer Gas-Pipeline.
Überhaupt scheint eine tiefe Ornamentangst die Architekten beseelt zu haben. Jede Spur klassischen Dekors ist verschwunden. Damit ist die modernisierende Abmagerung des barocken Modells an ein nicht mehr zu überbietendes Ende gelangt. Schon Clemens Holzmeister hatte eine ornamentale Ausnüchterung vorgenommen, Schwippert war, von der Ruine ausgehend, einen Schritt weiter gegangen. Jetzt gibt es nur noch Linien und Flächen. Kein Detail mehr, nirgends, auch kein modernes, das eine eigene neue Vokabel einbrächte und einem etwas sagen würde. Die neuen massiv ausgeführten Emporen der Eingangsseite greifen vielmehr stilistisch auf das Vokabular von Holzmeister zurück. Überhaupt besteht das spezifisch Heutige dieses Innenraums im Vermeiden jeden Abstoßes, jeden Hinweises auf Geschichte oder auf Jetztzeit, zugunsten einer abstrakt meditativen Feierlich-keit. Modern im Sinne von Zeitgemäßheit ist da-ran nur die Radikalität der Entsorgung der his-torischen Spuren: Man soll fühlen, aber nichts begreifen.
Soweit das Architektonische. Der zentrale Unfall in dieser Geschichte einer zeitgeistigen Erneuerung ist aber nicht die Architektur, sondern es ist die Denkmalpflege. Sie hat, mit einem Wort, vor ihrem Schutzbefohlenen versagt. Welchem Architekturbüro die Erneuerung anvertraut würde, konnte das Amt nicht bestimmen. Es wäre aber seine Aufgabe gewesen, statt zu untersagen, im Dialog mit Erzbistum und Architekten eine Vermittlung der historischen Schichten zu versuchen. Was ist denkmaltheoretisch naheliegender, was angesichts der historischen Spannungen zwingender? Stattdessen hat man die Schicht Hans Schwipperts isoliert und nicht einmal deren Doppelgesichtigkeit begriffen, mit dem Erfolg, dass es nur noch um die Alternative Offenlassen oder Siegerentwurf ging, so dass dem Erzbistum nichts anderes übrig blieb, als sich bedingungslos an den Architektenentwurf zu klammern. Jetzt ist auch das an Schwippert weg, was das Amt unbedingt hätte retten müssen (zum Beispiel auch der wunderbare Schachbrettputz hinter den Säulen).
Ich hatte, zu spät und unbeauftragt, darauf aufmerksam gemacht, dass man beides haben könne, Schließung des Bodens und die Schwip- pert’sche Oberkirche:3 Die Axiomatik der Denkmalpflege ist ja erheblich weiter als der ideologisch verengte Moderneeifer des Berliner Denkmalamtes: Innerhalb ihrer war die Wiederherstellung des Bodens, und damit zugleich der histo-rischen Krypta, ohne weiteres zu begründen. Zumindest hätte man die perfekte Trennung von Außenbau und Innerem vermeiden müssen – im engsten Umkreis des Bebelplatzes schon die dritte Variante einer solchen Lobotomie, nach den Wiederaufbauten der DDR (Zeughaus, Universität, Kronprinzenpalais, Bibliothek) und dem Kommandantenhaus von Bertelsmann (außen Preußen, innen Gütersloh). Im Ergebnis dieses Versagens hat man einen so spektakulären wie bleichen Andachtsraum, bei Entsorgung all dessen, was war.
1 Heinz Endres, Die St.-Hedwig-Kathedrale in Berlin, Leipzig 1963, S. 22–23
2 Ebenso auf die Wandpilaster dahinter, die Kämpfer der Fensternischen, die Profile des Architravs
3 Hoffmann-Axthelm, Vor der Heilung. Zum Umbau der St.-Hedwigs-Kathedrale, in: Zwischen Schloß und Tempelhofer Feld. Beiträge zur Berliner Baupolitik, Berlin 2019. – Allerdings war ich so glücklich über die Schließung des Bodens, dass ich, bei aller Skepsis gegenüber dem Zentralismus des Siegerentwurfs von Sichau & Walter, vollkommen dessen Radikalität im Abschaffen unterschätzte.
Fakten
Architekten
Sichau & Walter, Fulda; Knobelsdorff, Georg Wenzeslaus von (1699–1753); Hasak, Max (1856–1934); Holzmeister, Clemens (1886–1983); Schwippert, Hans (1899–1973)
Adresse
Bebelpl., 10117 Berlin
aus
Bauwelt 11.2025
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