Bauwelt

Haus Ungarn in Berlin


Im ex-McDonald’s in der Großwohnscheibe an der Berliner Karl-Liebknecht-Straße haben Hütten & Paläste den Sitz der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst eingerichtet: Kunst statt Junkfood!


Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin


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    Flexible Wandelemente erlauben ...
    Foto: Studio Bowie

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    ... unterschiedliche Raumkonfigurationen.
    Foto: Thomas Bruns

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    Für den Umbau kamen weitgehend ökologisch unbedenkliche Materialien zum Einsatz, ...
    Foto: Thomas Bruns

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    Für den Umbau kamen weitgehend ökologisch unbedenkliche Materialien zum Einsatz, ...

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    ... bis hin zur Fassa­den­installation von Folke Köbberling.
    Foto: Alexa Kreißl

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    ... bis hin zur Fassa­den­installation von Folke Köbberling.

    Foto: Alexa Kreißl

Man mag es kaum glauben – im Ost-Berliner Zentrum, dieser vom Humboldtforum bis zum Alexanderplatz reichenden Ramschwüstenei, hat die Filiale einer US-amerikanischen, hierzulande vornehmlich bei Touristen mit Kleinstadthintergrund, nihilistischen Jugendlichen und Angehö­rigen des Subproletariats beliebten Junk-Food-Kette die Türen geschlossen. Noch erstaunlicher aber ist, was an seiner Stelle, in der Karl-Liebknecht-Straße 13, seit Mitte September auf Besucher wartet: der neue Sitz der nGbK, der neuen Gesellschaft für bildende Kunst, eine Institution, die zuvor im kuscheligen Kreuzberg ihre antikapitalistische, antikolonialistische, antirassistische und antipatriarchale Kunst der antikapitalistischen, antikolonialistischen, antirassistischen und antipatriarchalen Nachbarschaft vermittelte, bis ihre Räumlichkeiten von einem Luxemburger Immobilienfonds geschluckt wurden, der erwartungsgemäß eine lukrativere Verwertung anstrebte. Ein Clash der Kulturen, ein Platzen von Blasen, ein Auflösen streng abgegrenzter Komfortzonen, der sich nur selten noch in Berlin beobachten lässt! Umso größer die Faszination, die von diesem Experiment ausstrahlt.
Stimmt alles gar nicht. Die Karl-Liebknecht-Straße bzw. die spätmodernen Großwohn- und Geschäftshausscheiben, die diese auf der Nordseite fassen, sind ein etablierter Ort der Hoch- wie Subkultur. Nur eben mit ein paar Jahren Unterbrechung. In Hausnummer 9 residierte von 1974 an das „Haus Ungarn“, ein zu DDR-Zeiten legendärer Ort mitsamt Kino und Café, der sich aber leider vor 15 Jahren aus dem großstädtischen Treiben vor der Tür in eine gemütliche Gartenlage zwischen Museumsinsel und Bahnhof Friedrichstraße verzogen hat, seitdem aber auch weitgehend vom Radar des kulturinteressierten Publikums verschwunden ist. Um die Ecke, in der Spandauer Straße, lockte damals auch die Architekturgalerie framework zu ihren Vernissagen, und seitdem ließen sich weitere Akteure aus dem Kulturbereich hier nieder, wenn auch meist nur temporär. Immerhin, neben all dem Ramsch und Trash, der heute vorherrscht, hält die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Stellung mit der „Stadtwerkstatt“, um ein möglichst großes Publikum für Fragen der Stadtentwicklung zu sensibilisieren, wofür es kaum einen geeigneteren Ort in Mitte geben dürfte.
Das Tolle an der Neueröffnung der nGbK für die an Architektur- und Stadtentwicklung interessierte Öffentlichkeit: Für die Umgestaltung der Räumlichkeiten wurde ein kleiner Wettbewerb ausgelobt, und den hat mit Hütten & Paläste ein Büro aus einer Berliner Planungsszene gewonnen, die mit den Großprojekten in der Nachbarschaft, mit Wolkenkratzern und Humboldtforen, mit Einkaufstempeln und Altstadtrekonstruktionen wenig zu tun hat, jedoch mit dem gewaltigen Zukunftsvorhaben im ehemaligen Haus der Statistik vor Ort wie weltweit präsent ist. Auf der großen Fläche der ehemaligen Markthalle im ersten Obergeschoss des Stahlbetonskelettbaus haben Hütten & Paläste drei Bereiche identifiziert: eine urbane Zone, gleich hinter der großen Glasfassade mit Blick auf den Fernsehturm, eine museale in der Mitte des Grundrisses und eine funktionale, zum Hof gerichtete. Diesen Bereichen ließen sich die wesentlichen Bestandteile der Arbeit der Institution zuweisen: Veranstaltungen im vorderen, Ausstellungen im mittleren und interne Abläufe im hinteren Teil. Der Clou ihres „Salon non fini“-genannten Entwurfs aber ist die diffuse Artikulation der Grenzen: Drei sogenannte Plus-Räume können variabel dem einen oder anderen Bereich zugeschlagen werden, und mittels Faltwänden lassen sich unterschiedliche Konfigurationen erstellen, so dass das kuratorische Arbeiten auf keine Hindernisse stößt.
Worauf es aber stößt, und das ist der zweite, gewitzte Teil des Projekts: auf die Vergangenheit des Raums als McDonald’s-Filiale. Der weitgehende Erhalt des Vorgefundenen war gewiss auch dem knappen Budget von netto gerade mal 322.400 Euro (KG 300–400) geschuldet sowie der Tradition des Rohen, Unfertigen in Räumen der Berliner Subkultur. Doch der Ansatz, die Historie nicht zu verwischen, indem etwa die Fliesen des ehemaligen „Küchenraums“, ein Graffitto des Burger-Clowns, ja sogar die Klebespuren des großen „M“ auf einem Fensterglas erhalten und aufgearbeitet wurden, ist natürlich mehr als nur Pragmatismus: Es ist ein Statement zum Umgang mit der Stadt, die an dieser Stelle von so vielen Ausradierungen betroffen war. Die nGbK
ist zwar Bauherrin der Umbaumaßnahmen, jedoch nur Untermieterin mit einem Vertrag über zehn Jahre Laufzeit bei der Kulturraum gGmbH als eigentliche Mieterin bei der für die Verwaltungdes landeseigenen Großbaus verantwortlichen Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte. Also wieder nur „Kultur als Zwischennutzung“? Das ließe sich beklagen. Doch wenn der Zwischenstopp der nGbK hier das Bewusstsein dafür schärft, das Städtebau Weiterbau bedeu-tet, statt immer wieder auf Null zurückzukehren, wird dereinst ein Abschied ohne allzu viel Tränen gefeiert werden können.



Fakten
Architekten Hütten & Paläste, Berlin
Adresse Karl-Liebknecht-Str. 9, 10178 Berlin


aus Bauwelt 22.2023
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