Bauwelt

Hans Otto Theater in Potsdam


Am 22. September wurde das Hans Otto Theater Potsdam mit der Uraufführung von Thorsten Beckers Schau-spiel „Katte“ eröffnet. Das neue Haus an der Schiffbauergasse ist ein Werk von Gottfried Böhm und seines Sohns Paul. Die aufdringlichen Dachhauben erklären sich weder räumlich noch konstruktiv. So sind sie als Produkt des Augenblicks zu verstehen und leben allein von der Idee eines Zeichens.


Text: Kasiske, Michael, Berlin


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    Das Theater kostete 26,5 Millionen Euro.
    Foto: Dieter Leistner

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    Das Theater kostete 26,5 Millionen Euro.

    Foto: Dieter Leistner

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    Vom Foyer aus ist der Theatersaal mit seinen maximal 469 Sitzplätzen einsehbar. Innen dienen die Dächer nur den Schein wer fern und als Beleuchterumgang.
    Foto: Dieter Leistner

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    Vom Foyer aus ist der Theatersaal mit seinen maximal 469 Sitzplätzen einsehbar. Innen dienen die Dächer nur den Schein wer fern und als Beleuchterumgang.

    Foto: Dieter Leistner

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    Die Umfassungswand des Gasometers blieb erhalten. Das Rund erhielt ein Tor und wird als Anlieferhof der Hinterbühne genutzt.
    Foto: Dieter Leistner

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    Die Umfassungswand des Gasometers blieb erhalten. Das Rund erhielt ein Tor und wird als Anlieferhof der Hinterbühne genutzt.

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    Die Kunst am Bau stammt von Sohn Markus.
    Foto: Dieter Leistner

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    Die Kunst am Bau stammt von Sohn Markus.

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    Blick von der Havel auf die drei aufgeklappten Schalen und den düsteren Bühnenturm.
    Foto: Dieter Leistner

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    Blick von der Havel auf die drei aufgeklappten Schalen und den düsteren Bühnenturm.

    Foto: Dieter Leistner

Wer weiß schon, dass der italienische Industrielle Gianni Agnelli fast zwanzig Jahre lang Juror des seit 1979 verliehenen Pritzker Architecture Prize gewesen ist. Trotz dieser Konstante wurde die als „Nobelpreis der Architektur“ apostrophierte Auszeichnung so unterschiedlichen Protagonisten wie Richard Meier, Christian de Portzamparc, Oscar Niemeyer und Gordon Bunshaft verliehen. Die zweite Entscheidung, an der Agnelli beteiligt war, fiel zugunsten eines deutschen Architekten. Das war 1986, und der Ausgezeichnete hieß Gottfried Böhm. Bis heute wurde kein anderer Vertreter unseres an Baukultur so reichen Landes wieder mit dem Preis geehrt. Eine Tatsache, die anlässlich der Eröffnung von Böhms jüngstem Projekt, dem Hans Otto Theater in Potsdam, stets erwähnt wird. Jung, so muss präzisiert werden, ist lediglich das fertiggestellte Bauwerk. Auf den Zeichentischen der Familie Böhm – neben seiner Frau sind die Söhne Stephan, Peter und Paul fakultativ Projektpartner des inzwischen 86-Jährigen – geisterte das Vorhaben seit über zehn Jahren herum. Das ist keinesfalls salopp gemeint, erst recht nicht für das Potsdamer Theatervolk, dem der Neubau jahrzehntelang wie eine Schimäre erschienen sein muss.

Ein Rückblick

Das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Schauspielhaus von 1795, laut Giebelinschrift „Dem Vergnügen der Einwohner“ gewidmet, wurde trotz Diskussion um den Wiederaufbau 1966 gesprengt. Somit musste sich das Landestheater, das nach dem von den Nationalsozialisten in den Selbstmord getriebenen Schauspieler Hans Otto benannt ist, weiterhin mit einem ehemaligen Tanzsaal begnügen. Erst in den achtziger Jahren wurde ein Neubau am Alten Markt beschlossen, der im Rohbau stand, als die Mauer fiel. Wegen der unglücklichen städtebaulichen Disposition verfügten Stadt und Land den Abriss, gegen den Widerstand des Theaters.

1995 kam Böhm ins Spiel

Beim Wettbewerb um einen Neubau an der Schiffbauergasse, unweit des heutigen Standorts, setzte sich Böhm gegen 13 Konkurrenten durch. Drei von hohen Pylonen abgehängte Fächer unterstreichen die Orientierung des Entwurfs zum Wasser. Das Preisgericht gab dem Architekten mit auf den Weg, „die gewählte, übertrieben expressive Gestaltung des Baukörpers im Hinblick auf seine Fernwirkung zu anderen stadtbildprägenden Gebäuden zu überprüfen“.Es folgten mehrere Einsparungsrunden, desgleichen ein Gut-achterverfahren für den Umbau und die Erweiterung des bis-her genutzten einstigen Tanzsaals in der Innenstadt, das Böhm erneut für sich entscheiden konnte. Freilich wurden immer wieder Stimmen laut (und eine war die von Böhm), zur Schiffbauergasse zurückzukehren, wo sich inzwischen die Sparten Kinder- und Jugendtheater, das Tanztheater, die Kulturinitiative und das Theater T-Werk angesiedelt hatten. Schließlich entschied man sich – allen voran der damalige Oberbürgermeister Matthias Platzeck – für ein Ufergrundstück, das eine Mühle und einen Gasometer als gebaute Hypotheken vorzuzeigen hatte.

Ein Pritzker?

Da steht man vor dem Bau von Gottfried Böhm – und reibt sich die Augen. Doch das aufdringliche Rot will nicht verschwinden, und auch nicht die ungekonnten Anschlüsse von Glasfassade oder Wand an die weit auskragenden Dachschalen. Das Unverständliche drängt danach, die Nobilität Böhms zu hinterfragen. Baut so ein Pritzker? In den achtziger Jahren nahm Böhm zweifelsfrei eine außergewöhnliche Stellung ein. Während viele Kollegen seiner Generation, nachdem sie in neopositivistischer Gesinnung alles Alte abgerissen hatten, selbstvergessen das Lied der „Pi-Pa-Postmoderne“ sangen, hatte Böhm längst die Baugeschichte durch die herausragende Interpretation alter Substanz in zahlreichen Werken gewürdigt. In Potsdam ist von einer solchen Architekturauffassung leider kaum etwas zu spüren. Der Eingang des Theaterneubaus drängelt sich mit einem flapsig wirkenden Schalendach an die unter Denkmalschutz stehende Zichorienmühle heran und zeigt allzu deutlich das dem Vernehmen nach misslungene Bestreben Böhms, nur den Turm als eigenständigen Solitär – ohne den verbindenden Zubau – neben dem Theater dulden zu wollen. Gerade er, den der Bestand stets zu einer eigentümlichen Formensprache reizte, konnte offensichtlich dem historistisch verbrämten Bau, der typisch für das romantisch gestimmte Potsdam des 19. Jahrhunderts ist, keinen Wert abgewinnen.

Frucht und Kronblätter

Auch das Innere verschließt sich dem lieblichen Reiz des Ortes, denn die Aussicht vom Foyer auf die Havel und auf Schloss Babelsberg wird durch die wie nasse Pappe nach unten sich wölbende Dachschale bedrängt. Ohnehin wird der Blick abgelenkt durch den im Foyer präsenten Theatersaal, der hinter einer aufgedoppelten Glaswand voll einsichtig ist. In deren Zwischenraum müssen sich viele kleine Vorhänge zum Abschirmen des Tageslichts senken, bevor sich der Vorhang hebt, für den das Publikum gekommen ist. Der Zuschauerraum selbst befremdet durch die merkwürdige Proportion von Höhe zu Tiefe und erweckt den Eindruck, als würde man in ein Loch fallen. Die roten Schalen, die außen so dominant wirken, dienen im Inneren nicht – wie man meinen könnte – als Balkone, sondern lediglich der Beleuchtung. Sogar über der Bühne wurde die untere Schale als solche ausgebildet, um dennoch eine Traverse angehängt zu bekommen, die den Schwung der Decke durch stumpfe Geradlinigkeit ausbremst. Der von Böhm hier angewandten Formensprache versuchen manche mit organischen Metaphern beizukommen. Von Blüten etwa ist die Rede. Dabei mögen die einseitig zum Wasser hinaus strebenden Stahlbetonschalen die Kronblätter sein, die die Frucht, den Theatersaal, bergen. Offenbar führt die Farbigkeit in die Irre, und so mag das alternative Bild schützen der Schirme zu erklären sein, das jedoch ebenso wenig überzeugt. Man wünschte sich, Böhm hätte die Bitte des Preisgerichts von 1996 beherzigt. Die Plastizität, mit der er den grauen Beton meisterhaft beherrschte und die auch bei späteren Werken wie dem Stuttgarter Züblin-Haus in kraftvoller Reduktion beeindruckt, erscheint in Potsdam beziehungslos und ohne Verve – als habe der Architekt selbst nicht mehr seinen Formen vertraut, sind die Schalen, die an Kurmuscheln früherer Zeiten erinnern, rot lackiert worden. Nein, das ist nicht der Gottfried Böhm, der eine eigene expressive Architektursprache kultiviert hat. Der in seinen Kirchen-räumen Spiritualität fühlbar werden ließ. Der die traditionell geprägte Moderne der beiden Kirchenbaumeister Dominikus Böhm, sein Vater, und Rudolf Schwarz in die Gegenwart führte. Und wenn die Pritzker-Prize-Jury von ehedem nun auf dieses Bauwerk schauen würde? Agnelli hätte dem ein Jahr älteren Böhm vielleicht den Wahlspruch des „Leoparden“ aus der Feder von Tomasi di Lampedusa zugestanden: „Die Dinge müssen sich ändern, um die Gleichen zu bleiben.“ Und feinsinnig hinzugefügt: „Ma non troppo.“



Fakten
Architekten Böhm, Gottfried, Köln
Adresse Schiffbauergasse, 14467 Potsdam


aus Bauwelt 38.2006
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