Bauwelt

Aussichtsturm auf Fehmarn


Auf Fehmarn trotzt ein neuer Aussichtsturm Sonne, Wind und Salzwasser: Der „Utkieker“ von Sophie & Hans ergänzt die benachbarte Hotelanlage von Arne Jacobsen und Otto Weitling um eine neue Landmarke.


Text: Landes, Josepha, Berlin


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    Für den Namen „Utkieker“ votierten die Einheimischen, er steht unten im Turm angeschlagen. Die Form bezeichnen die Architekten als von der Dünenlandschaft inspiriert.
    Foto: Bryn Donkersloot

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    Für den Namen „Utkieker“ votierten die Einheimischen, er steht unten im Turm angeschlagen. Die Form bezeichnen die Architekten als von der Dünenlandschaft inspiriert.

    Foto: Bryn Donkersloot

Auf Fehmarn scheint die Sonne viel, und der Wind weht steif. Die Ostseeinsel, die ab 2029 durch einen Tunnel mit Dänemark verbunden sein soll, ist mit 2000 Sonnenstunden pro Jahr die sonnenreichste Region Deutschlands. Und windig ist es so gut wie immer. Deshalb ist sie beliebt zum Windsurfen. Als entspanntes Feriendomizil empfiehlt sich insbesondere ihr Südstrand: Fast karibisch schwingt er sich, breit und flach. Stege reichen ins Meer, und unter ihnen funkelt das Wasser türkisblau. An dieser Stelle beschloss die Stadtverwaltung in den sechziger Jahren, eine Tourismusanlage zu bauen: Im Wettbewerb für das „Resort“ Burgtiefe überzeugte der Entwurf von Arne Jacobson und Otto Weitling. Drei Hochhaustürme ragen weithin sichtbar über das platte Land. Sie heißen Stockholm, Berlin und Kopenhagen und beherbergten 1973 die ersten Gäste. Als Sockel verbindet sie eine wettergeschützte Gastronomie-Passage. Außerdem ergänzen den Komplex ein Schwimmbad und ein „Haus des Gastes“.
Unweit dieses leicht angestaubten Kleinods erhebt sich seit zwei Jahren ein vierter Turm – ganz anderer Art: der Utkieker, ein Aussichtspunkt am Yachthafen. Dorthin sind es zu Fuß zehn Minuten. Der Weg führt entlang einer künstlich angelegten, geschwungenen Bucht. Mit 18 Metern ist das Gebäude deutlich kleiner. Es trägt Schindel über seinem leicht gewölbten Rumpf und wirkt damit technoid und natürlich zugleich. Entworfen haben den neuen Tourismusmag­net – lokale Websites listen ihn als Must-See Num­­mer 2, gleich hinter der Fehmarnsundbrücke – Sophie& Hans aus Berlin. Sie wollten die Gelegenheit des 2018 ausgelobten Wettbewerbs eigentlich als Fingerübung nutzen, verrät Sophia Tang bei der Besichtigung Anfang Mai. Doch ihr Vorschlag überzeugte in einer Auswahl aus anfangs 26 Einreichungen. 2021 erfolgte die Erstbesteigung des Turms.
Wenn Tang spricht, verfängt sich der Wind in ihrer Stimme. Feiner Nieselregen perlt über die Holzblättchen der Fassade. Der Aussichtsturm zeigt bereits die Patina der ersten Jahreszeitenwechsel. Er besteht im Wesentlichen aus Lärchenholz. Als kurz die Sonne durch die Wolken bricht, schimmert das angegraute Holz silbern. Namen und Daten stehen in die Schindel auf der Plattform eingeritzt: „Love U“, Initialen, Daten, Ich-war-hiers.
Zu Füßen des Turms liegen Hausboote, Kleinsegler, Motorjachten. Hohe, schmale Öffnungen sind mit weichen Übergängen in die Haut der rund vierzehn Meter messenden Hochwarte eingelassen. Sie blicken auf Highlights der Umgebung: die Hafeneinfahrt, die Ferienriesen und ins Vogelschutzgebiet. Ein wenig „competition“ zwischen den Seebädern sei durchaus spürbar, lässt Architektin Tang wissen. Das vis-à-vis, auf der anderen Seite des schmalen Fehmarnsund, am Festland gelegene Heiligenhafen haben GMP 2005 mit einem Aussichtspunkt zur orni­tho­lo­gischen Beobachtung beglückt. Der hiesige Utkieker erweist sich als alltagstauglicher; er soll jährlich mehrere 10.000 Besucher anziehen. In seinem Kern befördert ein Aufzug auch bewegungseingeschränkte Menschen in die Höhe. Und selbst die sich wendelnde Treppe ist bar­rierearm, alle sieben bis zehn Stufen von Podesten unterbrochen, auf denen sich bei einer Verschnaufpause die erwähnten Blicke auf Land und See erhaschen lassen.
Als sophie&hans ihre Pläne für den Turm einreichten, waren sie nie auf der Insel gewesen. Tangs Partner Hans-Christian Buhl erklärt, dass das Vorhaben eine von zahlreichen Wettbewerbsbeteiligungen war, der sie sich neben der Arbeit als Angestellte gewidmet haben. Letztlich wurde es ihr gebauter Erstling. Beim Bauwelt-Preis diskutierte die Jury das Projekt in der Engeren Wahl (Bauwelt 6.2025). „Wir haben den Turm von vornherein als einen Teil der Landschaft begriffen“, sagt Buhl. Ursprünglich hatten sie eine Ziegelkonstruktion geplant, für die jedoch die Gründung unverhältnismäßig teuer geworden wäre. Die organische Schichtung der Backsteine hätte das Gebilde wie aus Ton modelliert erscheinen lassen – der Ausgangsentwurf hatte auch entfernt Ähnlichkeit mit einer Sandburg. Dieser Plastizität nähert sich die hölzerne Ausweichoption auf eigene, dem Material entsprechende Art an.
Die kontextbezogene Formulierung des Baukörpers, das Einbeziehen der Umgebung, kam dem Team möglicherweise für den Zuschlag zugute. Enthielten die Wettbewerbspläne doch bereits Anklänge einer Vision auch für die Neugestaltung des Yachthafens. Der sich im Wind wiegende Seehafer zum Beispiel ist unterdessen gepflanzt. Außerdem konnte das Berliner Büro Wetterschutzhütten und einen Fahrradparkplatz im Duktus des Turms realisieren.
„Die Leute nennen diesen Ort ‚da draußen‘“, sagt Tang, „Wir sind hier sehr exponiert für Wind, Regen – das Wetter.“ Mit Maßnahmen zur Aufwertung der Lage, etwa gepflasterten Wegen, Bänken und zwei ringförmig in der runden Marina verlaufenden Landungsstegen, soll die vor fünfzig Jahren angestoßene Entwicklung des Ferientraumziels weitergeführt werden. Bislang ist die Umgebung eher karg, wirken die ebenfalls von Jacobsen und Weitling ersonnenen Sommerhäuser – Bungalows und fünfgeschossige Zeilen mit Ferienwohnungen – tendenziell banal. Die Freiflächen sind bestenfalls individuell der Langeweile entrissen, mit Tendenz zum parzellierten Kitsch.
Was die Draußen-Lage noch bedeutet, wurde bei den Bauarbeiten deutlich: Mit Böen musste stets gerechnet werden, und so war die Herstellung mitunter abenteuerlich, erinnert sich Buhl: Auf den 16 Meter tief in den sandigen Untergrund reichenden Betonpfählen liegt eine Bodenplatte aus Beton. Darauf erhebt sich der frei stehende Aufzugschacht, ummantelt von einer Holzröhre. Sie wurde von oben über den Lift gestülpt und dockt an eine für den Hochwasserschutz der Anlage benötigte Schürze an. Es folgte die Montage der zehn stählernen Treppensegmente. Der Aufbau – wie bereits zuvor die Fertigung der einzelnen Teile – war Präzisionsarbeit. Die leicht gekrümmten Schichtholzstützen der äußeren Tragstruktur wurden mittels einer CNC-Fräse bereits im Schwarzwald in Form gebracht. Auch die Anschlüsse sind digital optimiert. „Auf der Baustelle griff alles sehr gut ineinander“, berichtet Buhl. Die Windlasten werden über die aussteifenden gewölbten Schichtholzplatten, die unter den Schindeln liegen, in das tragende Holzskelett abgeleitet.
Mitsamt dieser ausgetüftelten Konstruktion fügt sich der Turm gelassen in die Küstenlandschaft, als wäre er schon immer Teil von ihr gewesen. Der Utkieker steht als verlässlicher Anker, während Wind und Wetter anhalten, über die Insel zu fegen.



Fakten
Architekten sophie & hans – Tang & Buhl Architekten, Berlin
Adresse Am Yachthafen, 23769 Fehmarn


aus Bauwelt 15.2025
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