Bauwelt

Zwischen Unesco-Welt­erbe und Guinness-Buch der Rekorde: Baukultur in Zentralasien

Für die von China forcierte Neue Seidenstraße wird Zentralasien strategisch immer wichtiger. Dort erleben Städte wie Taschkent oder Aschgabat einen Bauboom, der von staatlicher Verschwendungssucht und Turbokapitalismus geprägt ist. Zwischen Wüste und Steppe präsentiert sich eine Architektur, die in ihrer Form charakteristisch für die Region ist. Das baukulturelle Erbe aus sowjetischer und islamischer Zeit ist dagegen gefährdet.

Text: Meuser, Philipp, Berlin

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    Das erste und wohl schönste U-Bahn-Netz in Zentralasien: Die Metro wurde 1977 eröffnet. Die Pakhtakor Station ist mit Mosaiken dekoriert, die blühende Baumwollzweige darstellen sollen – einer der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes.
    Foto: Philipp Meuser

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    Das erste und wohl schönste U-Bahn-Netz in Zentralasien: Die Metro wurde 1977 eröffnet. Die Pakhtakor Station ist mit Mosaiken dekoriert, die blühende Baumwollzweige darstellen sollen – einer der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes.

    Foto: Philipp Meuser

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    Mahalla vor Wohnungsneubau in Aschgabat, 2019. Bald werden auch die traditionellen Bauten weichen müssen.
    Foto: Philipp Meuser

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    Mahalla vor Wohnungsneubau in Aschgabat, 2019. Bald werden auch die traditionellen Bauten weichen müssen.

    Foto: Philipp Meuser

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    Im Taschkent-Park in Aschgabat.
    Foto: Philipp Meuser

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    Im Taschkent-Park in Aschgabat.

    Foto: Philipp Meuser

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    Im Aschgabat-Park in Taschkent.
    Foto: Onart Structures

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    Im Aschgabat-Park in Taschkent.

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    Die Ästhetik des Sozialen Realismus scheint noch heute an den Kunstakademien gelehrt zu werden: Malereien der turkmensichen Künstlerin Kyzygul Hudayberdieva ...
    Foto: © Künstlerinnen

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    Die Ästhetik des Sozialen Realismus scheint noch heute an den Kunstakademien gelehrt zu werden: Malereien der turkmensichen Künstlerin Kyzygul Hudayberdieva ...

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    ... und der usbekischen Künsterlin Lola Khakimova.
    Foto: © Künstlerinnen

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    ... und der usbekischen Künsterlin Lola Khakimova.

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    Nach den Erdbeben in beiden Hauptstädten halfen sich die Nachbarstaaten gegenseitig beim Wiederaufbau: In Aschgabat entstanden Wohnungen der Serie UZ-500, ...
    Foto: Philipp Meuser

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    Nach den Erdbeben in beiden Hauptstädten halfen sich die Nachbarstaaten gegenseitig beim Wiederaufbau: In Aschgabat entstanden Wohnungen der Serie UZ-500, ...

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    ... in Taschkent Plattenbau des Serientyps T-DSK.
    Foto: Philipp Meuser

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    ... in Taschkent Plattenbau des Serientyps T-DSK.

    Foto: Philipp Meuser

Zwischen Unesco-Welt­erbe und Guinness-Buch der Rekorde: Baukultur in Zentralasien

Für die von China forcierte Neue Seidenstraße wird Zentralasien strategisch immer wichtiger. Dort erleben Städte wie Taschkent oder Aschgabat einen Bauboom, der von staatlicher Verschwendungssucht und Turbokapitalismus geprägt ist. Zwischen Wüste und Steppe präsentiert sich eine Architektur, die in ihrer Form charakteristisch für die Region ist. Das baukulturelle Erbe aus sowjetischer und islamischer Zeit ist dagegen gefährdet.

Text: Meuser, Philipp, Berlin

Wer heute zwischen den Hauptstädten Usbekistans und Turkmenistans entlang der Seidenstraße fährt, durchquert Wüsten, die Flusslandschaft des Amudarja und zahlreiche Stätten des Unesco-Weltkulturerbes: Merv und Buchara auf der südlichen Route, Köne Ürgench und Chiwa auf der nördlichen Route. In Europa würden Reisende diese Strecke, die etwa der Entfernung zwischen Rom und Berlin entspricht, in anderthalb Flugstunden zurücklegen. In Zentralasien sind für die 1200 Kilometer Luftlinie anderthalb Tage einzuplanen. Nach der Pandemie haben sich die beiden autoritär regierten Staaten noch nicht wieder auf eine direkte Flugverbindung verständigen können. Es gibt weder Züge noch direkte Busverbindungen. Die Grenze wird zu Fuß überquert. Auch wenn sich die Länder eine 1600 Kilometer lange gemeinsame Grenze teilen, die Trennung zwischen ihnen scheint gewollt. Für den Grenzübertritt müssen Bürger und Bürgerinnen beider Staaten ein gültiges Visum vorweisen. Dafür sind Besuche bei den Botschaften in Aschgabat und Taschkent obligatorisch.
Der Amudarja definiert über zwei Drittel dieser politischen Demarkationslinie und ermöglicht den Menschen seit Jahrtausenden das Überleben in der Wüstenregion. Die beiderseitige Übernutzung des Wassers aus dem Fluss hat zu einer der schlimmsten Umweltkatastrophen des 20. Jahrhunderts geführt: die Austrocknung des Aralsees im Grenzgebiet zwischen Usbekistan und Kasachstan. Turkmenistan zweigt im Karakum-Kanal einen Teil des Wassers ab und führt es bis nach Aschgabat. Usbekistan verwendet den Rest zu Bewirtschaftung seiner Baumwollfelder. Der Unterlauf versiegt noch vor der ursprünglichen Mündung in den Aralsee, einst Sinnbild der sowjetischen Binnenfischerei.
In der jüngeren Geschichte teilen Usbekistan und Turkmenistan das gemeinsame Erbe, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vom Russischen Reich einverleibt worden zu sein. Entlang des Amudarja existierten das Khanat Chiwa und das Emirat von Buchara unter Duldung der neuen Machthaber weiter. Aschgabat (Oblast Transkaspien) und Taschkent (Oblast Syrdarija) gehörten seinerzeit zu anderen Gebietskörperschaften und hatten keinen Einfluss auf die heutige Grenzregion.
Architekturdiplomatie
Nach der Oktoberrevolution, der anschließenden Ausrufung der beiden Volksrepubliken Choresmien und Buchara formten sich Anfang 1925 die Sowjetrepubliken Usbekistan und Turkmenistan. Deren Völkerfreundschaft wurde gleich zwei Mal auf die Probe gestellt, als 1948 in Aschgabat und 1966 in Taschkent Erdbeben die Hauptstädte heimsuchten. Turkmenistan zählte über 150.000 Tote, Usbekistan doppelt so viele Obdachlose. Bis heute spielen diese Naturkatastrophen eine wichtige Rolle in der nationalen Identität. Ein turkmenischer Wiederaufbautrupp errichtete im Taschkenter Stadtteil Chilonzor 1967 einen viergeschossigen Plattenbau des Serientyps T-DSK und schmückte ihn zur Erinnerung mit einem bunten Fassadenmosaik. Die Usbkeben revangierten sich weniger Jahre später mit dem Bau von Wohnungen der Serie UZ-500 in Aschgabat.
Diese Architekturdiplomatie setzt sich bis heute fort: 2018 eröffnete in der usbekischen Hauptstadt der Aschgabat-Park, 2022 in der turkmenischen Hauptstadt der Taschkent-Park. An beiden Orten präsentieren sich die Partnerstädte mit einem Potpourri der baukünstlerischen Errungenschaften. Die Architektur und Ausstattung des Aschgabat-Parks sind von turkmenischer Symbolik dominiert, wie dem achteckigen Stern und dem Pferd. Zwei Brunnen mit Hengst­herden sind ebenso aufwändig gestaltet wie das Amphitheater, dem architektonisch auffälligsten Gebäude im Park. Die Tribünenüberdachung ist dem Flughafen in Aschgabat nachgeformt, einem abstrahierten Falken mit ausgebreiteten Flügeln. Der Taschkent-Park präsentiert sich als Collage ikonischer Bauten der jüngeren, aber auch der sowjetischen Vergangenheit, darunter der Fernsehturm und das Blaue-Kuppel-Café. Als Außenraumbeleuchtung dienen pilzartige Lichtwerfer, ähnlich zu denen in der Metrostation Bodomzor. Bunte Keramikflächen, Aiwane und Pavillons repräsentieren neo-usbekische Sujets.
Die beiden Turkstaaten teilen sich ein weiteres Erbe: die traditionellen Wohnbauten aus Lehmziegeln, von denen sich bis heute große Teile in den Hauptstädten erhalten haben. Doch diese Inseln des sozialen Zusammenhalts sind bedroht. Seit der Sowjetzeit müssen sie Neubauten weichen, zunächst den seriellen Plattenbauten, heute den rasant wachsenden Wohnkomplexen mit bis zu sechszehn und mehr Geschossen. Möglich macht das eine Mischung aus Neoliberalismus und Neosozialismus.
Neue Wohnkomplexe und Smart Citys
Seit Shavkat Mirziyoyev 2016 in Usbekistan die Präsidentschaft seines Langzeit-Vorgängers Islam Karimow übernommen hat, boomen die Immobilienprojekte in Taschkent. Überall in der orientalischen Altstadt nagen die Baustellen der neuen Wohnkomplexe an den über Jahrhunderte gewachsenen Nachbarschaften und zerstören nicht nur vernakuläre Bausubstanz, sondern vor allem auch Sozialstrukturen. Unter dem Deckmantel des privatisierten Wohnungsmarkts bedienen die Projektentwicklerinnen eine zunehmende Nachfrage in der Drei-Millionen-Metropole, die nach Ideen des Präsidenten binnen einer Generation um weitere zwei Millionen Einwohnern wachsen soll. Ambitionierte Pläne für Neu-Taschkent sind derzeit in Arbeit. Seit dem Sommer 2023 arbeiten die Teams von Foster and Partners, OMA und Meinhardt an Plänen für die Stadterweiterung. Im Südosten der Stadt sollen rund um einen zweiten Flughafen 20.000 Hektar klimaneutral und als Smart City bebaut werden.
Wie eine Smart City nach zentralasiatischer Vorstellung aussehen kann – darauf gibt Turkmenistan seit dem vergangenen Herbst bereits einen Vorgeschmack. Binnen vier Jahren ist unter der Regentschaft von Gurbanguly Berdimuhamedow und seit 2022 von seinem Sohn Serdar Berdimuhamedow dreißig Kilometer westlich von Aschgabat das Großprojekt Arkadag City entstanden. Um die weiß strahlenden Neubauten mit Leben zu füllen, enteignet der Staat Bewohnerinnen umliegender Dörfer und siedelt sie in Neubauquartiere um. Die meisten Wohnhäuser liegen jedoch am Stadtrand und gleichen einander noch mehr als sowjetische Plattenbauten.
Das trifft auch auf Aschgabat zu, wo die Mahallas in der Innenstadt fast ganz verschwunden sind. Die Stadtfläche hat sich in den vergangenen dreißig Jahren Richtung Süden verdoppelt. Um einen großstädtischen Charakter vorzutäuschen, haben Planer entlang breiter Magistralen mit einem Straßenquerschnitt von 200 Metern zwölfgeschossige Marmorpaläste errichtet. In ihrer Homogenität wirken die Bauten beängstigend. Auf den Dächern dienen Schriftzüge für eine Unterscheidbarkeit. Die Häuser sind nach Werten benannt wie Liebe, Tugend, Schönheit, tragen ganz einfach die Namen ihrer Erbauer­innen (meist staatliche Firmen und Ministerien) oder lobpreisen den Staat als alleinige Macht.
Der Bauboom ist ungebrochen, wenngleich die industriell vorgefertigten Serienbauten wie etwa im Stadtteil Parakhat-7 trostlos wirken. Entlang der Magistralen verfügen die Hochhäuser über eine Marmorfassade. Innerhalb der Wohngebiete wechselt die Konstruktionsart dann zum Plattenbau, der aufgrund seines weißen Farbanstrichs aus der Ferne kaum als solcher zu erkennen ist. Immerhin hat es Aschgabat ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft, als Stadt mit der weltweit höchsten Konzentration von weißen Marmorgebäuden.
Wer die Geisteshaltung verstehen möchte, warum solche Superlative für die nationale Identität wichtig sind, findet im Kunstmuseum Antworten. Dort stellen junge Absolventen der turkmenischen Akademie der Schönen Künste ihre Arbeiten aus. Die Malereien bedienen sich derselben Symbolik wie die Architekten. In romantischen Bildern wird die Neutralität des Staates beschworen in Form von weißen Friedenstauben. Die Künstlerin Kyzygul Hudayberdieva etwa stellt eine junge Geigerin vor die blühende Landschaft, die Aschgabat vor dem Bergpanorama umgibt. In der Ferne erscheinen die weißen Neubauten wie Perlen auf einem grünen Samtkissen.
Im Gegensatz zu ihrer turkmenischen Kollegin wirkt die Arbeit von Lola Khakimova von der usbekischen Kunstakademie regelrecht progressiv. Ihr Werk mit dem Titel „Ausfahrt“ zeigt ein Paar auf dem Rücksitz eines Cabrios, das einen feiertäglichen Ausflug durch die neuen Hochhausschluchten Taschkents unternimmt. Die optischen Irritationen durch verschiedene Perspektiven können fast wie eine Forderung nach konträren Sichtweisen auf die städtebauliche Entwicklung gelesen werden.
Nach Superlativen streben in Usbekistan vor allem die privaten Projektentwicklerinnen, die Immobilien auf dem Markt platzieren müssen. Von staatlicher Seite liegt das baukulturelle Interesse derzeit darin, weitere Objekte auf die Unesco-Welterbeliste setzen zu lassen. Unterstützung kommt von ganz oben. Präsidententochter Saida Mirziyoyeva, die ihrem Vater als Beraterin assistiert, verkündete auf einer internationalen Konferenz im vergangenen Oktober: „Wir möchten die moderne Architektur von Taschkent zu einem Teil des touristischen Konzepts in Usbekistan entwickeln.“

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