Bauwelt

Vergangenes vergegenwärtigen

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Vergangenes vergegenwärtigen

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Theaterneubauten werden hierzulande inzwischen eher selten eröffnet. München hat nun Gelegenheit dazu: Am 15. Oktober feiert das Volkstheater die Einweihung seiner neuen Spielstätte auf dem Areal des Viehhofs. Den Neubau hat das Stuttgarter Architekturbüro Lederer, Ragnarsdóttir, Oei geplant. Er erinnert vage an die Großstadtmoderne der Zwischenkriegszeit. Für München ist das Gebäude aber noch mehr als nur ein neues Theater – es ist auch der Auftakt für die Urbanisierung des Areals im Süden des Stadtzentrums. „Volkstheater“ auch dort? Erschwinglicher Wohnungsbau wäre dem Ort zweifellos angemessen. Dass dieser mit vergleichbarer architektonischer Ambition angegangen wird wie der Theaterneubau, ist dem Ort mit seiner besonderen Stimmung zu wünschen.

Michniów, Bygdøy, Köln

Im Theater weiß man, wie sich vermeintlich alter Stoff aktualisieren, aneignen, für die Gegenwart mit Erkenntnisgewinn be- und hinterfragen lässt. Jede Inszenierung gibt Zeugnis dieses Prozesses. Wie gut der Institution diese Vergegenwärtigung vielerorts gelingt, zeigt auch, dass kaum jemand ein Theater als museal sieht. Bei Gedächtnisorten ist das anders. Dort gilt es in erster Linie, historische Dokumente sicher aufzubewahren, für die Forschung zugänglich zu halten, Erkenntnisse der Öffentlichkeit zu vermitteln. Mitunter geht es auch um die Kehrtwende nach innen: um einen Ort, an dem gesellschaftlich organisiertes Gedenken ins Individuelle übersetzbar wird, um Verantwortungsgefühl für die Gegenwart zu stiften.
Drei Gebäude in diesem Heft zeigen eine Bandbreite, vor der Architektinnen und Planer bei der Bauaufgabe „Gedächtnisort“ stehen. Da ist die Gedenkstätte in Südpolen, die an Dörfer erinnert, die von Nazi-Deutschland ausgelöscht wurden: eine ins Sakrale reichende, bis ins Detail symbolisch-erzählerisch aufgeladene Architektur. Da ist das Zentrum zur Erforschung der Judenverfolgung im von Nazi-Deutsch­-land besetzten Norwegen, das seit den neunziger Jahren in der Villa von Hitlers norwegischem Handlanger untergebracht ist: Sein nun fertig gestellter Erweiterungsbau nimmt sich zurück, gibt sich aber nicht mit dem bloßen Kontrast zufrieden, sondern führt die Raum- und Wegebeziehungen im Altbau fort. Und da ist, last but not least, das Kölner Stadtarchiv: Zwölf Jahre hat es gedauert, bis der Neubau für die im Zuge des Stadtbahnbaus eingestürzte Schatzkammer Kölner und deutscher, ja europäischer Geschichte fer­-tig gestellt wurde und nun, so hoffen die Verantwort­lichen, von den Bürgern in Besitz genommen wird – zur Aneignung und Aktualisierung des Vergangenen.

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