Bauwelt

Lehren aus der Flut

Immer noch sitzt nach dem Hochwasser in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz der Schock tief. Wie kann der Wiederaufbau gelingen? Planerische und gestalterische Anpassungen sind gefordert, die das Katastrophenrisiko mindern – nachhaltig und resilient.

Text: Kammerbauer, Mark, München

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    Das gesamte Ahrtal in Rheinland-Pfalz wurde stark beschädigt.
    Foto: Frank Schultze/Alamy Stock Foto

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    Die Aufräumarbeiten und der Wiederaufbau in der Gemeinde Mayschoß werden noch über Monate
    und Jahre andauern.
    Foto: Frank Schultze/Alamy Stock Foto

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    Die Aufräumarbeiten und der Wiederaufbau in der Gemeinde Mayschoß werden noch über Monate
    und Jahre andauern.

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Lehren aus der Flut

Immer noch sitzt nach dem Hochwasser in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz der Schock tief. Wie kann der Wiederaufbau gelingen? Planerische und gestalterische Anpassungen sind gefordert, die das Katastrophenrisiko mindern – nachhaltig und resilient.

Text: Kammerbauer, Mark, München

Das Hochwasser im Juli dieses Jahres hat nicht nur im Ahrtal und in der Eifel zur Zerstörung von Gebäuden und Ortschaften in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen geführt. Auch die benachbarten Niederlande und Belgien waren betroffen. Noch schlimmer: Viele Tote sind zu beklagen. Während die Ehrenamtlichen unermüdlich im Einsatz sind, um bei den Aufräumarbeiten zu helfen und die betroffene Bevölkerung mit Lebensmitteln sowie ärztlicher und psychosozialer Hilfe zu versorgen, stellt sich – wieder einmal (Bauwelt 26.2014, Bauwelt 7.2018) – die Frage, wie der Wiederaufbau nach der Katastrophe gelingen kann. In der Fachwelt ist die Rede von Schwammstädten, die Oberflächenwasser absorbieren sollen. Reicht das aus, um auf die Herausforderung zukünftiger Umweltrisiken reagieren zu können? Vor allem, wenn durch den Klimawandel die Frequenz und Intensität von Hochwasserereignissen zunehmen wird? Was lernen wir in Stadtplanung, Städtebau und Architektur wirklich aus diesen Katastrophen?
Es gibt kein singuläres Wundermittel
Der aktuelle Wissenstand in der Vor- und Nachsorge deutet an, was bisher gelernt wurde und was nicht. Daraus lässt sich ableiten, ob ein Wiederaufbau in Gebieten, die großen Risiken ausgesetzt sind, überhaupt sinnvoll ist. Eine planerische Anpassung an diese Risiken umfasst verschiedene Maßnahmen, die im Bereich der resilienten und nachhaltigen Planung gleichermaßen eine Rolle spielen. Die Planung im Risikomanagement und die Stadtplanung stellen dabei zwei verschiedene Domänen dar. Ihre Synergie – und nicht ein singuläres Wunderheilmittel – ist der Schlüssel zu einer resilienten und nachhaltigen Bewältigung von Umweltrisiken.
Welche Lehren können wir also ziehen? Die Erste: Das Katastrophenmanagement kann versagen, vom Warnsystem zum baulichen Hochwasserschutz. Schäden nehmen zu, Hochwasserereignisse treten öfter auf und Erfahrungswerte gelten bei außerordentlichen Ereignissen nicht mehr. Die zweite Lehre: In Deutschland verlässt man sich auf freiwillige und ehrenamtliche Helferinnen und Helfer. Ohne sie ist ein wirksames Katastrophenmanagement nicht möglich. Und drittens: Ein milliardenschwerer Wiederaufbaufonds soll eingerichtet werden, von Bund und Ländern gemeinsam getragen, wie es auch der föderalen Struktur der Bundesrepublik entspricht. Die seit 2017 gültige Regel, unversicherten Geschädigten im Fall einer Havarie keine staatlichen Hilfen mehr zu gewähren, wurde schnell aufgehoben. Kein Akteur der Politik will sich vorwerfen lassen, Menschen in Not nicht zu helfen. Das Problem der niedrigen Versicherungsquote im Elementarschutz bleibt ungelöst.
Anpassung
Aus vergangenen Hochwasserkatastrophen hat man jedoch nicht alles gelernt. Die Zeit vor der jüngsten Katastrophe wurde nicht oder nicht wirksam zur Anpassung an das Hochwasserrisiko genutzt. Anpassung beschreibt keine eigene Planungsdomäne, sondern Maßnahmen, die verschiedenen Leitbildern dienen können. Eines ist die resiliente Stadt, ein anderes die nachhaltige Entwicklung. Das erste dient dazu, auf katastrophale Ereignisse reagieren zu können, das andere will die Umwelt für die kommenden Generationen erhalten. Beides unterscheidet sich, hat aber das Potenzial zur Synergie. Daher gilt, entsprechend Anpassungsmaßnahmen über das sogenannte Mainstreaming in den Planungsall­-tag zu integrieren. Auch wurde das Sendai-Rahmenwerk, das die UN-Mitgliedsstaaten und damit auch Deutschland unterschrieben haben, offenbar ausgeblendet. Nach diesem wird verlangt, dass Städte und Siedlungsräume resili­-ent gegen Umweltgefahren gewappnet sein sollen. Das ist kein Selbstzweck, dadurch soll ausdrücklich die Verwundbarkeit der Betroffenen gemindert werden. Eine hohe Verwundbarkeit begrenzt nämlich die in­dividuelle Kapazität zur Bewältigung einer Hochwasserkatastrophe. Wiederaufzubauen, ohne Verwundbarkeit zu mindern, ist weder resilient noch nachhaltig. Nicht zuletzt sind wir angesichts des Klimawandels und damit verbundener Kassandrarufe in einem „schlechten“ Anthropozän gefangen und es fällt uns schwer, „gute“ Zukunftsmodelle zu imaginieren.
Dennoch ist es möglich, konkrete städtebauliche und architektonische Mittel zur Anpassung an Hochwasserrisiken zu benennen. Wie sieht es im Erftkreis, im Ahrtal und in der Eiffel aus? Als Erstes müssen die baulichen Schäden erfasst werden. Ein „Weiter-so-wie-bisher“ ist nicht sinnvoll und es gilt, „Build Back Better“-Optionen zur Anpassung des Bestands mit Betroffenen zu klären. Dazu braucht es Zeit. Außerdem muss festgestellt werden, ob Betroffene temporäre Unterkunft vor Ort erhalten können – nicht nur, um ihre beschädigten Häuser instandzusetzen, sondern auch, um an Planungsveranstaltungen teilnehmen zu können. Hier sind die Behörden gefragt. Schließlich sollten angemessene bauliche Mittel gewählt werden: Infrage kommen die Optionen „Dry Proofing“ und „Wet Proofing“. Während die erste Variante die Umwelt „aussperren“ will, soll die zweite ein „Leben mit der Umwelt“ ermöglichen, etwa durch eine risikoarme Erdgeschossnutzung, die Verwendung widerstandsfähiger Materialien und die angemessene Oberflächengestaltung des Freiraums, um den Aufwand im Wiederaufbau so gering wie möglich zu halten.
Rückzug
Steht angesichts zunehmender Hochwassergefahren, die zu immer größeren Schäden führen, ein Wiederaufbau vor Ort in Frage, dann ist Absiedlung oder kontrollierter Rückzug eine existenzielle Option. Die Entscheidung dazu muss jedoch partizipativ getroffen werden. Als planerische Strategie kann eine Absiedlung bauliche und gesetzliche Maßnahmen umfassen: Rückkaufoptionen anbieten, Deiche versetzen, Retentionsflächen festlegen und den Bewohnern und Bewohnerinnen risikoarme Grundstücke zuweisen. Also eine Kombination aus sogenannten grauen, grünen und blauen Maßnahmen im Rahmen einer integrierten Entwicklungsstrategie, gegebenenfalls unter Beteiligung mehrerer Kommunen, die sich gegenseitig helfen.
Ein besonderes Problem stellen dabei kulturell wertvolle Baudenkmäler dar. Von den aktuellen Hochwasserfolgen sind Fachwerkhäuser betroffen, die sich teils seit Generationen im Familienbesitz befinden und schwere Schäden davongetragen haben. Hier sind denkmalgerechte Lösungen zur Instandsetzung gefragt. In den betroffenen Orten kann man sehen, wie bei solchen Bauten das hölzerne Fachwerk freigelegt und das schadhafte Gefache entfernt wurde, um es später zu ersetzen. Dies bietet auch die Chance, die Bausünden der jüngsten Vergangenheit und den Einsatz nicht nachhaltiger Materialien rückgängig zu machen. Ob man solche Denkmäler auf einen neuen, erhöhten Sockel oberhalb der erwarteten Fluthöhe stellt, ist nicht nur eine denkmalpflegerische Frage. Wenn Absiedlung die einzige Option ist, dann müssen diese Bauten an einen sinnvollen Ort versetzt werden.
Ausblick
Aus Katastrophen wird durchaus gelernt, aber die Lerneffekte sind begrenzt. Verwundbare Betroffene und Kommunen mit begrenzten Ressourcen können mit eigenen Mitteln nur schwer zu großmaßstäblichen Ingenieurleistungen greifen. Daher ist die opportune Fixierung auf ein entsprechendes Wunderheilmittel begrenzt hilfreich, um wirksam in Planung und Bau zur Anpassung an Hochwassergefahren beitragen zu können. Es sei denn, Verwundbarkeit wird re­duziert im Rahmen einer risikoorientierten Entwicklung von Siedlungsräumen, mit integrierten baulichen und nicht baulichen, grauen, grünen und blauen Anpassungen. Wenn nicht, ist ein Flickenteppich die Folge, der offenlegt, wer wiederaufbauen konnte – und wer nicht. Kurz gesagt: Resilienz ist nachhaltig, wenn nicht nur das Risiko, sondern auch die Verwundbarkeit reduziert wird. Es gilt jedoch auch, entsprechende positive Zukunftsbilder zu entwerfen, die an den baulichen Kontext und die soziale Umwelt angepasst sind.

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