Bauwelt

Kiezkollegen

24. Berliner Gespräch des BDA

Text: Bartels, Olaf, Hamburg

Kiezkollegen

24. Berliner Gespräch des BDA

Text: Bartels, Olaf, Hamburg

Einmal im Jahr lädt der Bund Deutscher Architekten seine Mitglieder und Gäste zum Berliner Gespräch ein. Das ist dann ein kleines Weihnachtsgeschenk - eine Auszeit vom Kleinklein der Baupraxis – und wenig Besinnung ist es auch. Denn es geht in diesen Gesprächen um grundsätzliche Fragen des Lebens und des Bauens, der Stadt und ihrer Gesellschaft. Die Chance der kleinen Flucht aus den Niederungen des Alltags auf die intellektuelle Metaebene der Stadtdiskussion haben in diesem Jahr viele Architektinnen und Architekten genutzt. Das DAZ platzte förmlich aus allen Nähten. Es wurde Öffentlichkeit gesucht. Genau darum sollte es an diesem Tag gehen: Um das Quartier um das Viertel, die Nachbarschaft, den Kiez, das Mahale könnte man auf türkisch ergänzen. Aber was genau ist das Quartier? Ein Geflecht sozialer Netze oder ein physisch eingegrenzter und dadurch definierter Raum? Andreas Denk und Ricarda Pätzold moderierten die Veranstaltung. Olaf Schnur, Geograf und Senior Researcher beim vhw Bundesverband für Wohnen und Stadtenwicklung, hatte die ersten Antworten und leitete die Tagung mit dem Versuch einer Begriffsbestimmung ein. Denn dass eine Nachbarschaft an der nächsten Wohnungs- oder Haustür beginnt, dürfte allgemein bekannt sein, aber wo hört sie auf? An der nächsten Straßenecke, zwei Straßen weiter? Was oder wer gehört dazu? Schnur warf damit nicht weniger als eine Grundsatzfrage auf. Sind es Häuser oder Menschen, die eine Stadt ausmachen? Der in der Soziologie definierte „soziale Raum“ bezeichnet gewiss etwas anderes als der „architektonische Raum“, aber schließlich können nur beide Begriffe gemeinsam das Phänomen Stadt erklären. Ein „entweder oder“ ist hier sicher nicht hilfreich, ein „sowohl als auch“ dagegen schon, stellte Olaf Schnur fest. Der Soziologe Jens Dangschat untermauerte diese Aussage, in dem er von notwendigen Mauern und Zäunen sprach, die mit Fenstern und Türen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit vermitteln – über physische Grenzen also und deren Durchlässigkeit. Schließlich bräuchten die Menschen in der Stadt nicht nur Orte für die Gemeinschaft, sondern auch Möglichkeiten des Rückzugs. Auch im öffentlichen Raum müsse es Nischen, Tribünen und Arenen geben, also bauliche differenzierte und differenzierende Raumelemente, die sich die Menschen aneignen können, um sich so ihr Leben im Quartier einzurichten. Hier überschneiden sich die Ideen des sozialen und des architektonischen Raums und hier wird es für Architekten und Städtebauer interessant. Was können physische Räume ermöglichen, was verhindern sie? Plastisch schilderte Jens Dankschat seinen eigenen Alltag als Ausländer in Wien. Er wäre auch nicht immer gerne im Dauerkontakt mit allen seinen Nachbarn, sondern würde gerne selbst bestimmen, welchen Kontakt er vertieft und welchen Einblick er in sein Leben gewährt – nicht nur elektronisch, sondern auch rein physisch. Die bauliche Realität der Stadt spielt dabei eine wesentliche Rolle.
Dass diese Rolle auch eine durchaus unterschiedliche sein kann, machten die weiteren Referate des Tages deutlich. In dem weitläufig, hoch und trotz des Planungsideals „Urbanität durch Dichte“ mit viel Freiraum erbauten Bremer Stadtteil Tenever aus den 1970er Jahren stellt sich die Aneignung durch ihre Bewohner*innen anders da als zum Beispiel im Hamburger Gängeviertel. In beiden Fällen aber trifft das Engagement der Bürger (bottom up) auf Strategien von oben (top down) und in beiden Fällen verlief diese Begegnung konstruktiv. Joachim Barloschky berichtete aus Tenever über den sukzessiven Auf- und Ausbau der Selbstbestimmung durch die Bewohnerinnen und Bewohner in ihrem Quartier sowie ihren Einfluss auf dessen Eigentumsstruktur und dessen bauliche Realität. Schließlich erreichten sie eine Rekommunalisierung der Siedlung, die Mitwirkung an der ihrer baulichen Nachverdichtung und schließlich die Verfügungsmacht über 300.000 Euro im Jahr für besondere Belange des Quartiers. Im Hamburger Gängeviertel kam es zu einer ähnlichen Korrelation als der Hamburgische Senat das besetzte Quartier von einem erfolglosen Investor zurückkaufte. Hier ging es den Aktivisten aber direkt um die Bausubstanz. Deren Lage in der Stadt und deren Baustruktur, die in Teilen noch aus dem 18., vor allem aber aus dem späten 19. Jahrhundert erhalten ist. Deren räumliche Vielfalt und Kleinteiligkeit erschien den früheren Besetzter*innen und heutigen Bewohner*innen bzw. Nutzer*innen besonders dazu geeignet, ihre Lebensvorstellungen umzusetzen und damit gleichzeitig einen konstruktiven Beitrag für die generelle soziale und funktionale Durchmischung der Stadt zu leisten. Hierin folgte ihnen der damalige Hamburgische Senat, kaufte das Areal dem erfolglosen Investor wieder ab und eröffnete der Initiative die Möglichkeit, ihre Vorstellungen zu verwirklichen.
Neben der sozialen Integration ist das klimagerechte Bauen von Häusern und Städten die wohl größte Herausforderung unserer Zeit. Hier geht es um bautechnisch wie um architektonische Fragen. Davon wusste die Architektin Anke Schmidt aus Bergisch Gladbach en Detail beim Berliner Gespräch zu berichten. Es geht aber auch und vielleicht besonders darum, den Herausforderungen des Klimawandels nicht allein baulich oder technisch zu begegnen, sondern darin ein gemeinschaftliches Projekt zu sehen. Der Bürgermeister der Gemeinde Ostbevern im Münsterland Wolfgang Annen versteht den damit notwendigerweise verbundenen Lebenswechsel als einen Aufbruch, zu dem er seine Gemeindemitglieder gerne mitnimmt, nicht als einen Verzicht. Seinen Energieberater Reiner Tippkötter hatte er gleich mitgebracht und beide konnten von vielen bau- und verkehrstechnischen Neuerungen berichten, von energiesparsamen Bauwerken, einer dezentralen, von der Gemeinde betriebenen Versorgung durch erneuerbare Energien, von einem Carsharing-System im ländlichen Raum. Annen war mit einem wasserstoffbetriebenen SUV in Berlin vorgefahren. Viel entscheidender für diesen Wandel war wohl die Überzeugungsarbeit in der Gemeinde. Man wolle Vorreiter einer neuen Entwicklung sein, sagte Bürgermeister Annen. Wichtig sei dafür aber auch eine Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger an diesem Wandel. Erfahrungen in Überzeugungsarbeit hat Wolfgang Annen international im Rahmen humanitärer Arbeit beim THW sammeln können.
Zum krönenden Abschluss brachte Ernst-Ulrich von Weizäcker noch einmal den globalen Zusammenhang von Klimawandel, Verkehrspolitik, CO2- und Energiebepreisung, der Zukunft CO2freier Verbrennungsmotoren (deren Potenzial er noch nicht ausgeschöpft sieht) in Erinnerung und machte drastisch, mahnend, fast beschwörend deutlich, dass es höchst Zeit zum Handeln ist.
Aber was genau ist zu tun? Was können Architekten und Städtebauer zu einem guten Quartier beitragen, das sozial integrativ ist, den Klimawandel vermindert oder gar verhindert und dessen Folgen in heißen Sommern, bei Sturmfluten und Überschwemmungen entgegenwirkt? Am Ende war die Zeit für diese Diskussion dann leider doch zu knapp geworden. Grundsätzlich hat sich der BDA zu solchen Fragen schon mehrfach positioniert, im Detail blieben sie nach dem Berliner Gespräch dann aber doch offen. Moderatorin Ricarda Petzold schnürte daraus ein kleines Hausaufgabenpaket für die Teilnehmer*innen.
Auch die Frage der gesellschaftlichen Position der Architekten musste offen bleiben. Aber ob sie nun ökonomischen oder politischen Mächten dienen oder auf der Seite der Machtlosen stehen, ob sie bottom up oder top down arbeiten, es bleibt die Frage, wie sie ihre Kernkompetenz einbringen. Denn es ist nicht unerheblich, ob sie architektonische Räume und Stadträume bauen, die den sozialen Raumstrukturen dienlich oder hinderlich sind oder welche sozialen Räume sich darin entfalten können. Außerdem: Worin liegt die Kompetenz des Architekten wenn es darum geht, dem Klima und den Klimafolgen gerecht zu bauen und mit den neuen Haus- und Energietechniken neue architektonische und städtebauliche Ideen für die Quartiere in unseren Städten und für die Orte im ländlichen Raum zu schaffen. Das ist ein weites Feld, aber es wird in naher Zukunft zu beackern sein.

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