Bauwelt

Neustädter Passage


Halle-Neustadt, Deutschlands größte Planstadt der Moderne, wird 50. Anstatt Feierstimmung ist Veränderung angesagt. Das Zentrum wirkt leer, die Einwohnerzahl sinkt weiter. Ideen gibt es, doch wer setzt sie um?


Text: Kil, Wolfgang, Berlin; Scheffler, Tanja, Dresden


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    Die bis 1970 erarbeitete Konzeption für das Zentrum von Halle-Neustadt

    Abb. aus: Karlheinz Schlesier, Halle-Neustadt. Plan und Bau der Chemiearbeiterstadt, Berlin 1972

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    Die bis 1970 erarbeitete Konzeption für das Zentrum von Halle-Neustadt

    Abb. aus: Karlheinz Schlesier, Halle-Neustadt. Plan und Bau der Chemiearbeiterstadt, Berlin 1972

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    Die Scheibe D ist heute das BüroHaus West. Im 18. Geschoss gibt es ein Café.
    Foto: Wolfgang Kil

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    Die Scheibe D ist heute das BüroHaus West. Im 18. Geschoss gibt es ein Café.

    Foto: Wolfgang Kil

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    Der Einzelhandel hat es schwer in der Neustädter Passage. Die Mall aus dem Jahr 2000 zieht die Passanten von der Straße weg.
    Foto: Wolfgang Kil

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    Der Einzelhandel hat es schwer in der Neustädter Passage. Die Mall aus dem Jahr 2000 zieht die Passanten von der Straße weg.

    Foto: Wolfgang Kil

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    Blick nach Osten in die Neustädter Passage, Planungsstand 1970

    Abb. aus: Karlheinz Schlesier, Halle-Neustadt, Plan und Bau der Chemiearbei-terstadt, Berlin 1972

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    Blick nach Osten in die Neustädter Passage, Planungsstand 1970

    Abb. aus: Karlheinz Schlesier, Halle-Neustadt, Plan und Bau der Chemiearbei-terstadt, Berlin 1972

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    Die Passage um 1988

    Foto: IRS Erkner/ADN Schulz

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    Die Passage um 1988

    Foto: IRS Erkner/ADN Schulz

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    Neue Nutzungen im Osten (Neustadt Centrum)
    Foto: Wolfgang Kil

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    Neue Nutzungen im Osten (Neustadt Centrum)

    Foto: Wolfgang Kil

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    Neue Nutzungen im Westen (Skaterbahn) vor Scheibe E, die zum Verkauf steht
    Foto: Wolfgang Kil

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    Neue Nutzungen im Westen (Skaterbahn) vor Scheibe E, die zum Verkauf steht

    Foto: Wolfgang Kil

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    Die frische weiße Moderne von Halle-Neustadt lässt die Altstadt 1975 als düstere Gegend erscheinen
    Foto: Gerald Große

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    Die frische weiße Moderne von Halle-Neustadt lässt die Altstadt 1975 als düstere Gegend erscheinen

    Foto: Gerald Große

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    Das Stadtteilzentrum Neustadt im Jahr 2007, noch ohne Skatepark
    Foto: Stadt Halle (Saale)

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    Das Stadtteilzentrum Neustadt im Jahr 2007, noch ohne Skatepark

    Foto: Stadt Halle (Saale)

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    Der Blick durch den Wohnkomplex III mit der Plastik „Die Liebenden“ zeigt die versetzte Anordnung der Scheiben sowie die fußläufige Verbindung zwischen Zentrum und den ersten Wohnkomplexen.
    Foto: Josef Münzberg/Stadtarchiv Halle

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    Der Blick durch den Wohnkomplex III mit der Plastik „Die Liebenden“ zeigt die versetzte Anordnung der Scheiben sowie die fußläufige Verbindung zwischen Zentrum und den ersten Wohnkomplexen.

    Foto: Josef Münzberg/Stadtarchiv Halle

An der Balustrade ein älteres Ehepaar. Er fotografiert das weite Panorama hinüber zu Altstadt, sie zetert: „So ein wunderbarer Ausblick! Nur die Hochhäuser sind Mist.“ Auf meine Stichelei, wir stünden doch selber auf einem, wird sie konkreter: „Ich hab nichts gegen Hochhäuser. Nur so, als verkommene Ruinen, versauen sie alles drumherum.“ Die Szene spielt in Halle-Neustadt, auf der Dachterrasse von Scheibe D. Die heißt jetzt „BüroHaus West“, ist als einziges der fünf Hochhäuser saniert und immer noch in Nutzung. Ganz oben, im 18. Geschoss, gibt es ein Café. Solch phänomenale Aussicht! Bis ins Mansfelder Land! Doch nach 18 Jahren ist es mit dem Insidertip nun auch vorbei. Den Betreibern wurde gekündigt, im November werden sie schließen. Was dann kommen soll, danach haben sie den Eigentümer nicht gefragt.
Soll denn niemals Schluss sein mit den Hiobsbotschaften? Als ob die Leute hier nicht schon genug mitgemacht haben: Zuerst 1990 die „Ursünde“, der freiwillige Verzicht auf das Stadtrecht, wodurch die einst zukunftsstolze Arbeiterwohnstadt zum wenig geliebten Anhängsel einer altehrwürdigen Universitätsstadt wurde. Dann der Einwohnerschwund! Für eine faktische Halbierung der Bevölkerung in solchem Tempo gab es nirgends Erfahrungen, gar Rezepte. Anfangs floss Geld – ein Hotel wurde gebaut, als gigantische Arche Noah strandete mitten im Zentrum eine Einkaufsmall. Sogar neue Wohnhäuser traute man dem Aufschwung Ost zu. Bis die Abrissbagger kamen. Gegen deren unheimliches Wirken sorgten Künstler für ein Wechselbad der Gefühle: In der kurzfristig wiederbelebten Scheibe A, beim Spektakel „Hotel Neustadt“, ließen sich ungeahnte Träume wilder Urbanität austoben. Das verzweifelte Ringen, aus dem toten Bahnhof eine avantgardistische Kunsthalle zu machen, endete als Niederlage. Im Rahmen der IBA Stadtumbau 2010 spendierte die Stadtverwaltung den dahindümpelnden Passagen etwas Stadtgrün und einen Skatepark. Darüber spannt sich Europas größtes „Zu verkaufen!“-Banner, wettergebleicht.
Aber dem neugierigen Besucher begegnet Halle-Neustadt auch überraschend – bunt und polyglott. Die Jugendszene hier ist schrill, offensiver als anderswo mischt sie mit ihren Outfits das Straßenbild auf. Die Marktbuden am Hotel werden von Indern, Vietnamesen, Afrikanern betrieben. Überhaupt scheinen Migranten überdurchschnittlich vertreten, Russisch ist viel zu hören. Sollte eine derartige Ballung „exotischer“ Milieus wirklich nur Ausdruck prekärer Soziallagen sein? Ließe sich der bunte Bewohnermix nicht auch als Potenzial betrachten? Alt-Halle bietet sicher Behaglichkeit, aber das krassere, von Globalisierung und deren Konflikten gezeichnete Leben findet sich zweifellos in der Neustadt. Eine Herausforderung, die Stadtentwickler nicht verschrecken sollte. Vielleicht eher zu Experimenten anstacheln?
Das Schicksal des Zentrums von Neustadt ist ungewiss, doch der Zahn der Zeit wird irgendwann Entscheidungen erzwingen: Viel Geld hat die Stadt schon in die Sicherung der verwahrlosten Hochhäuser stecken müssen, deren Besitzer jede Kooperation verweigern. Doch sobald jemand von Abriss redet, kommen vom Neustadt-Volk Proteste. Eine reichlich verfahrene Kiste, weshalb wir eine kleine Umfrage unter Kollegen gestartet haben.

Drei Dinge wollten wir wissen: 1. Würden Sie der Neustäd-ter Passage Denkmalschutz gönnen? 2. Warum hat das aufwändige Zentrumskonzept den Systemwandel so schlecht überstanden? 3. Was spricht gegen einen radikalen Neustart, eine Freigabe der Passage für völlig neue urbane Nutzungsideen?

Die Stadt sucht derzeit mit dem Landesamt für Denkmalpflege nach Möglichkeiten, ein Gutachten für die gesamte Neustadt zu erstellen, das die Schutzwürdigkeit einzelner Elemente oder Ensembles fachlich herausarbeitet. Damit bekäme die Stadtplanung ein Instrument, um konkrete Maßnahmen zu diskutieren.
Die Neustädter Passage gehörte mit ihren beiden S-Bahn-Zugängen zum täglichen Fußweg der Arbeiter aus den Werken Leuna und Buna. Diese Pendlerströme gibt es heute nicht mehr. Das im Jahr 2000 direkt nebenan gebaute Einkaufszentrum ist zudem eine Konkurrenz. Eine Revitalisierung der Hochhausscheiben würde die Neustäd-ter Passage schnell wieder beleben. Preisgekrönte Umbauprojekte zeigen, wie man auch in „Moderne-Strukturen“ variabel und kreativ wohnen kann. Die Hochhausscheiben haben, wegen ihrer Ausblicke, hierfür besonderes Potenzial. Diskutiert werden deswegen auch Varianten, die unsanierten Scheiben, eventuell im Rahmen von Kunstaktionen, zu verhüllen, damit man sie später nach Bedarf und Marktlage wieder „auspacken“ kann.
Ein kompletter Neustart ist ein charmanter, auch befreiender Gedanke. Dagegen würde allerdings eine mögliche Schutzwürdigkeit der fünf Hochhausscheiben sprechen, wie auch deren absehbare Abrisskosten von ca. 3,5 Mio. Euro pro Scheibe (Monolithbauweise!) und bereits investierte Fördermittel zur Aufwertung der Freiflächen (Fördermittelbindefristen). Auch gehören nahezu alle Gebäude in der Neustädter Passage jeweils anderen Eigentümern; nach dem Modell „Eigentümermoderation“ sollen im nächsten Jahr noch einmal alle an einen Tisch geholt werden.
Uwe Stäglin ist Beigeordneter für Stadtentwicklung und Umwelt der Stadt Halle (Saale)
Denkmalschutz würde dringend nötige bauliche Innovationen verhindern. Für die Neustädter Passage sehe ich nur eine Chance: den Einzelhandel aufwerten. Dieser kommt gegen das übermächtige „Neustadt Centrum“ kaum an. Die Funktion als „Stadt der Chemiearbeiter“ ist verloren gegangen. Für neue Funktionen müssten Planer nun Mut und Phantasie aufbringen. Ich könnte mir Halle-Neustadt als betont multikulturellen Stadtteil vorstellen, auch als Studentenviertel. Dafür wären aber verschiedene Interessen unter einen Hut zu bringen. Allein die der vielen Wohnungsunternehmen – manche investieren, andere betrachten ihre Bestände als reine Spekulationsobjekte. Entscheidend ist, ob sie bereit sind, soziale Verantwortung für den Stadtteil zu übernehmen oder nicht.
Jana Kirsch leitet seit 2006 das Quartiersmanagement in Halle-Neustadt
Die städtebauliche Geste der Hochhausscheiben bleibt bedeutsam, sie ist als historisches „Gegenüber“ zur Hallenser Altstadt zu lesen und zu bewerten. Ensembleschutz bedeutet natürlich Living Heritage, also Veränderungen nicht ausgeschlossen! Wichtig wäre, dass funktionale Qualitäten dieser „Musterstadt“, wie etwa kurze Wege, gute Infrastruktur, flächendeckendes Fernwärmenetz, erhalten und weiterentwickelt werden. Es wäre doch spannend zu sehen, ob und wie die Neustadt zu einer normalen Stadt werden kann. Unter großzügiger Anwendung des § 34 ließe sich ein Experimentierfeld für neue urbane und architektonische Konzepte schaffen, eine Art „Freihandelszone des Städtebaus“. Mit den Studenten der Martin-Luther-Universität und der Kunsthochschule Burg Giebichenstein müsste doch Leben dorthin zu bringen sein. Im Übrigen würde ich die riesigen „Benzolringe“ wieder am Hallenser Hauptbahnhof aufstellen – als „Tor zur Neustadt“, um diese bereits in der Altstadt zu markieren, als Beginn einer Art Museumspfad, der die Geschichte von Halle thematisiert, zu der eben auch die Ostmoderne gehört.
Elisabeth Merk, Stadtbaurätin von München, leitete von 2000 bis 2005 das Stadtplanungsamt von Halle (Saale)
Bei aller Ähnlichkeit mit westlichen Siedlungen – in Halle-Neustadt stimmen die Proportionen nicht mehr. Die Neustädter Passage wurde für deutlich mehr Bewohner ausgelegt, als heute noch in der Neustadt leben. Der einstige Vorteil ist zum Nachteil geworden: die gute Ausstattung mit Unterzentren in den Wohngebieten. Diese Unterzentren binden Passantenströme, die dem Zentrum nun fehlen. Wären Nachfrage und Kaufkraft ausreichend vorhanden, müsste man sich um die Neustädter Passage weniger Gedanken machen.
Wichtig erscheint mir, ein künftiges Erscheinungsbild zu diskutieren: Auf wie viele Hochhäuser könnte man im schlimmsten Falle verzichten? Erkennt man die Mitte von Halle-Neustadt noch mit vier Scheiben oder gar mit nur drei? Ließe sich mit „Teilrückbau“ leben, also mit Scheiben geringerer Höhe? Was für einen „Neustart“ am meisten fehlt, ist die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Womöglich wären die derzeitigen Eigentümer der Scheiben sogar bereit, sich mit einer Anschubfinanzierung in Höhe der Abrisskosten zu beteiligen. Damit blieben aber die Risiken einer Dauernutzung an den Initiatoren solcher Projekte hängen. Wie viele Interessenten es hierfür gibt, vermag ich nicht abzuschätzen. Trotzdem sehe ich die Stadtverwaltung in der Pflicht, solche Projekte in der Neustadt anzusteuern und geeignete Rahmenbedingungen dafür zu schaffen.
Guido Schwarzendahl ist Vorstand der Wohngenossenschaft Bauverein Halle & Leuna eG
„Ostmoderne“ war nach der Wende (und ist großteils bis heute) tabu. Probleme wie Einwohnerschwund, zunehmende soziale Entmischung usw. trugen nicht unbedingt zur positiven Bewertung bei. Trotzdem wäre es wichtig, das Zentrum dieser Planstadt komplett zu erhalten! Dahinter steht mehr als eine Reißbrettidee, das ist ein realisiertes Beispiel rigoroser Nachkriegsmoderne. Hier kann man sich an realen Objekten mit damaligem Fortschrittsdenken und technologischem Anspruch auseinandersetzen. Vielleicht auch die Unterschiede zu zeitgleichen Versorgungszentren im Westen analysieren: Dort die starke Ausrichtung auf Kommerz, hier betonte Egalität – das gleichförmige Lebensmodell der „Arbeiterfamilie“. Aber geht es nicht auch um den „Heimat- faktor“ für die Generation, die einst überglücklich ihre Wohnungen in Neustadt bezogen hat, und deren Kinder, die dort aufgewachsen sind?
Antje Osterwold, Architektin, Osterwold°Schmidt Architekten Weimar, war bis September dieses Jahres Vorsitzende des Planungs- und Gestaltungsbeirats der Stadt Halle
Halle-Neustadt darf kein Museum werden. Chemiekombinate tragen diese Stadt nicht mehr, deshalb müssen jetzt neue Ideen und Konzepte her. Die Hochhausscheiben mit der Einkaufspassage sollten aber erhalten bleiben. Vielleicht lassen sich ja zeitgemäße Überformungen finden, in denen die Ursprungsidee sichtbar bleibt. Wohnen wie Gewerbe sehen heute anders aus. Aber umbauen kann man ja alles. Stadtplanung braucht keine Idealbilder, sondern sinnvoll gestaltete Prozesse und gute, intelligente, freundliche Menschen – in der Stadtverwaltung, unter den Eigentümern wie unter den Nutzern. Ich fürchte allerdings, rentabel werden sich die Scheiben kaum renovieren lassen – zumindest solange nicht, wie in der Saale kein Gold gefunden wird!
Benjamin Förster-Baldenius hat mit Raumlabor Berlin 2002 einen Schrumpfungsplan für Halle-Neustadt erstellt und 2003 das Theater-Kunstprojekt „Hotel Neustadt“ organisiert
1958 Das Zentralkomitee der SED beschließt im Rahmen des staatlichen Chemieprogramms („Chemie gibt Brot, Wohlstand und Schönheit“) den Ausbau der Buna- und Leuna-Werke. Standortsuche für die Arbeitersiedlungen.
1961 Bei der Tausendjahrfeier der Stadt Halle (Saale) werden erste Pläne für eine Stadterweiterung „Halle-West“ vorgestellt. Walter Ulbricht gibt grünes Licht.
1963 Das Politbüro beschließt den Aufbau einer „Chemiearbeiterstadt westlich von Halle“. In ihrem Zentrum soll ein „Hochhaus der Chemie“ stehen. Ulbricht nimmt am Modell persönlich Korrekturen zur Sichtbeziehung zwischen der Chemiearbeiterstadt und dem Altstadtkern der „Fünf-Türme-Stadt“ Halle vor. Nach einer Studienreise in die Sowjetunion entscheiden die Planer, dass die Anbindung an die Altstadt über Hochstraßen erfolgen soll und dass anstelle von Straßenbahnen moderne Gelenkbusse eingesetzt werden. Richard Paulick wird Chefarchitekt.
1964 Die Konzeption für rund 70.000 Einwohner wird vom Ministerrat der DDR bestätigt. Vier Wohnkomplexe sind vorgesehen und werden gebaut: WK I (1964–68) im Südwesten, WK II (1966–70) im Südosten, WK III (1969–72) im Nordosten und WK IV (1971–74) im Norden. Alle sind fußläufig mit dem Stadtzentrum verbunden. Dies soll aus drei Teilen bestehen: einem Bildungs- und Sportzentrum im Westen (1966–71), Kultur- und Gesellschaftsbauten am „Zentralen Platz“ und, östlich davon, einem Versorgungs- und Einkaufszentrum. In Halle-Neustadt entsteht ein Plattenwerk. Am 15. Juli wird der Grundstein gelegt für „eine Stadt, in der zu leben für jeden Glücklichsein heißt“.
1967 Städtebaulicher Wettbewerb zum zentralen Platz. Hier sollen neben dem Hochhaus u.a. auch ein Warenhaus und ein Kulturzentrum entstehen. Die S-Bahn zu den Chemiekombinaten geht in Betrieb. Am 12.Mai wird Halle-West durch den Staatsrat der DDR zur selbstständigen Stadt, Halle-Neustadt, erklärt.
1968 Die von der Altstadt über die Hochstraße in die Neustadt führende Magistrale wird ein-geweiht. Halle-Neustadt soll – parallel zur Magistrale - ein markantes, in der Höhe gestaffeltes Stadtzentrum bekommen. Vorbild ist die Stockholmer „Hötorget City“ (1952-66) mit City-Autobahn und fünf, in Reihe stehenden Wolkenkratzern. In Schweden werden Lizenzen für die von der Firma Skånska Cementgjuteriet entwickelte Allbeton-Bauweise erworben. Das Betonkombinat Halle entwickelt diese Schotten-Mischbauweise, bei der die tragenden Wände und Decken vor Ort gegossen und die Fassadenelemente lediglich vorgehängt werden, zur Halleschen Monolithbauweise weiter.
1969 Karlheinz Schlesier wird Chefarchitekt.
1970 Die Hauptpost wird bereits als monolithischer Skelettbau errichtet. Das städtebauliche Rückgrat des Stadtzentrums entwerfen die Architekten Peter Morgner, Ingrid Schneider und Edith Scholz – ein Ensemble aus fünf 18-geschossigen Hochhausscheiben. Eine Scheibe ist als Verwaltungsgebäude konzipiert, die anderen sind Wohnheime für Studenten und Beschäftigte der Chemiekombinate. Die Scheiben A–D sind über eine zweigeschossige Fußgängerzone miteinander verbunden. Sie flankieren diese „Neustädter Passage“. Die eingerückte Scheibe E markiert ihren östlichen Abschluss, fasst den Freiraum des angrenzenden Wohnkomplexes ein und lenkt den Blick ins Zentrum. Bei den Scheiben variieren die Architekten bauliche Details wie die (verspringende) Loggienanordnung und die Splittfarbe der Fassadentafeln.
1971 Die erste Hochhausscheibe (E) wird fertiggestellt. Anschließend wird die angrenzende Kaufhalle für den Wohnkomplex IV errichtet. Die Scheiben A bis D folgen schrittweise bis 1975.
1973 Mit dem Wohnungsbauprogramm der DDR ändern sich die politischen Rahmenbedingun-geneg. Anstatt auf architektonischen Signalbauten liegt der Fokus nun auf ökonomischem Massenwohnungsbau. In Halle-Neustadt entstehen das Wohngebiet „Gimritzer Damm“ (1973–77) und der WK V (1974–77). Chemie-Hochhaus und Kulturzentrum am zentralen Platz verschwinden aus den Plänen.
1975 Zwischen den Scheiben A und B wird ein Warenhaus errichtet.
1976 Ein weiteres Warenhaus entsteht zwischen den Scheiben B und C. Die Magistrale wird
nach Westen verlängert und dort der WK VI (1976–78) gebaut.
1979 Anstelle des Chemie-Hochhauses werden zwei Wohnhochhäuser errichtet.
1980 Zwischen den Scheiben C und D wird ein Verbindungsbau mit Café, Volksbuchhandlung und Geschäften fertiggestellt.
1981 Das „Haus der Dienste“ wird eröffnet.
1982 Östlich des Zollrains entsteht das Wohngebiet „Südpark“ (1982–86). Am zentralen Platz wird das auch für Veranstaltungen nutzbare Kino „Prisma“ eröffnet, der letzte Kino-Bau der DDR.
1987 Halle-Neustadt erreicht mit 93.931 Einwohnern seinen höchsten Einwohnerstand.
1990 Durch die Wiedervereinigung verändern sich Image, Bewohnerstruktur und Zukunftsperspektive der Stadt. Nach einem Bürgerentscheid erlischt das Stadtrecht von Halle-Neustadt. Das Rathaus wird fertiggestellt, aufgrund der Eingemeindung zu Halle (Saale) jedoch nie als solches genutzt. Das Plattenwerk wird stillgelegt. Am östlichen Rand der Passage entsteht ein kleines Einkaufszentrum mit integriertem Hotel („Magistralen-Carré“). Schrittweiser Verkauf der Hochhausscheiben an unterschiedliche Eigentümer.
1994 Die Halle-Neustädter feiern ohne Beteiligung der Hallenser Stadtverwaltung den 30. Jahrestag der Grundsteinlegung und gründen den Halle-Neustadt e.V., eine Interessenvertretung gegen die massiv einsetzende Abwertung des Stadtteils.
1999 Abriss des Kinos „Prisma“, um Platz für eine Shoppingmall mit integriertem Multiplexkino zu schaffen. Einweihung der auf der Magistrale verlaufenden Straßenbahnlinie zur Altstadt.

2000 Eröffnung des „Neustadt Centrum“. Die großmaßstäbliche Shoppingmall besetzt den zentralen Platz. Sie ist aufgrund der kurzen Wege zwischen Einkauf, Gastronomie, Ärzten und Dienstleistungen sowie inzwischen auch zahlreichen Veranstaltungen zu einem neuen Stadtteilzentrum von Halle-Neustadt geworden.
2001 Der Stadtrat beschließt ein „Neuordnungskonzept“. Wegen des hohen Leerstandes sind 12,5 Prozent der Wohnungen zum Abriss vorgesehen.
2002 Halle-Neustadt wird in die Landesinitiative URBAN 21 aufgenommen, dadurch kann die Neugestaltung der Einkaufspassage realisiert werden.
2003 Mithilfe der Fördergelder des Programms „Stadtumbau Ost“ beginnt der Abriss erster Wohngebäude. Das Theaterfestival „Hotel Neustadt“ bringt durch die temporäre Nutzung der Scheibe A das Stadtzentrum wieder ins Gespräch. Im Bahnhof wird ein „Zentrum für zeitgenössische Kunst“ (ZfzK) etabliert. Halle wird Teil der IBA Stadtumbau 2010, verschiedene Projekte thematisieren den „Balanceakt Doppelstadt“.
2005 Die Wanderausstellung „Shrinking Cities“ macht Station im ZfzK. Sie vergleicht die Region Halle/Leipzig mit Detroit, Manchester/Liverpool und Ivanovo.
2006 Das ZfzK wird nach gescheiterten Verhandlungen über eine dauerhafte Umnutzung geschlossen. Die oberirdischen Bahnhofsbauten werden abgerissen.
2007 Der S-Bahnverkehr in die Altstadt wird ausgedünnt.
2009 Im Zuge der IBA 2010 wird ein Skatepark gebaut. Das Kabinett des Landes Sachsen-Anhalt entscheidet sich gegen die Sanierung der landeseigenen Scheibe C für die Finanzämter.
2014 In Halle-Neustadt leben nur noch rund 44.000 Menschen. Vier der fünf Hochhausscheiben stehen leer und verwahrlosen. Lediglich die Scheibe D wurde saniert. Hier residiert unter anderem – geradezu als Sinnbild für den massiven Strukturwandel der Stadt – die örtliche Arbeitsagentur.



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