Bauwelt

„Überraschende Momente entstehen nur, wenn man auf Repetition verzichtet.“

Interview mit Christoph Gantenbein und Emanuel Christ

Text: Adam, Hubertus, Zürich; Gantenbein, Christoph, Basel; Christ, Emanuel, Basel

„Überraschende Momente entstehen nur, wenn man auf Repetition verzichtet.“

Interview mit Christoph Gantenbein und Emanuel Christ

Text: Adam, Hubertus, Zürich; Gantenbein, Christoph, Basel; Christ, Emanuel, Basel

Worin bestanden die Herausforderungen bei dem Projekt VoltaMitte?

Christoph Gantenbein |  Wir waren mit einem Bebauungsplan konfrontiert, der eine Blockrandbebauung vorschrieb. Die Voraussetzungen waren interessant: in einem Blockrandquartier, dem Äusseren St. Johann, die ganze Seite eines Blocks neu zu entwerfen. Die Herausforderung für uns bestand darin, zeitgenössisches Wohnenin einem traditionellen städtebaulichen System zu entwickeln. Auf dieser Spannung basiert das Projekt. Es interessierte uns, den Blockrand nicht als Bebauungsform des 19. Jahrhunderts zu verstehen, sondern in ihm die Architektur des urbanen Wohnens zu realisieren.
 
Blockrandbebauungen in großem Maßstab sind im zeitgenössischen Wohnungsbau der Schweiz nicht unüblich. Wie sehen Sie diese Typologie? Und worin bestehen Ihre Referenzen?

CG | Referenzen sind für uns vor allem die Bauten von Mario Asnago oder Luigi Caccia Dominioni in Mailand, deren Prinzipien wir in einer zeitgenössischen Anwendung weiterdenken. Auch das „Parkhaus Zossen“ (1935–38) von Otto Senn in Basel fasziniert uns, weil es unter an-deren Parametern bürgerliches Wohnen im Zuge der Moderne neu definierte. Zum Beispiel mit Bandfenstern. Kann ich ein Haus entwerfen, das überall Brüstungen hat, überall Fenster? Und trotzdem an die Disposition eines in Kammern gegliederten Grundrisses glauben? Auch in der Weißenhofsiedlung in Stuttgart gab es den Versuch, die Vorstellung vom Haus mit Zimmern in Raumfolgen möglich werden lassen. Es handelte sich durchaus um ein traditionelles Grundrissverständnis, das bis an die Grenze getrieben wurde. Bürgerliche Wohnkultur in neuem Spirit, so verstehen wir unser Projekt.
 
Wie manifestiert sich das in den Grundrissen?

Emanuel Christ | Die Grundrisse folgen einem einfachen System. Zentrum jeder Wohnung ist ein durchgehender Wohnraum, der sich zur Hof- und zur Straßenfassade hin öffnet. Es gibt kei­nen Eingangsraum, keinen Korridor und keine separate Küche; all diese Funktionen sind in dengroßen Wohnraum integriert, der dadurch ei­nen hallenartigen Charakter erhält. Die Schlafzimmer sind mit kleinen Korridoren von diesem Zentralraum separiert. Diese Grundanlage lässt einen großzügigen Raum entstehen. Durch die Kräfte, die auf das Primärvolumen wirken, er-halten die Wohnungen jeweils einen eigenen Zuschnitt, eine expressive Qualität. Der Wohnraum ist maximal 17 Meter tief, aber sein Verhältnis zur Fassade, zum Straßenraum, ändert sich unter den räumlichen Bedingungen.
 
Die Konsequenz ist, dass es Ihnen nicht darum geht, eine ideale Wohnung zu entwerfen und diese dann zu wiederholen?

EC | Es handelt sich um einen Typus, der experimentell an verschiedene Situationen angepasst wird. Wir haben uns auf eine Versuchsanordnung eingelassen, die unterschiedliche Wohnun­gen generiert. Es war eine strategische Absicht, dass das, was entsteht, nicht Durchschnitt ist. Es ging darum, etwas anzubieten, was sich in Basel nicht finden lässt. Der Preis, den man dafür zahlt: Es gibt keine Repetition, aber es gibt auch nicht die beste Wohnung schlechthin. Der Witz dieser Strategie ist, dass man Varianz aufbaut. Und nur diese Varianz, die maßgeblich von der Tiefe der Wohnungen bestimmt wird, bringt es mit sich, dass überraschende Momente entstehen. Das gelingt aber nur, wenn man auf die Repetition verzichtet.
CG | Ich behaupte nicht, dass jede der Wohnun­gen perfekt wäre und ich sie hundertmal bauen möchte. Aber wenn sie ein paar Mal vorkommt, ist das doch schön. Die Wohnungstiefe hat et­was mit der Außenorientierung zu tun. Wo die
Wohnung außen enger ist, ist sie großzügiger ge­schnit­ten und heller. Und wo die Hofseite groß-zügiger ist, kann die Wohnung etwas enger sein. Es gibt also eine Möglichkeit, die Wohnungsty­pen an die konkreten Bedingungen anzupassen.
 
Welche Mieter sollen sich angesprochen fühlen?

EC | Wir können uns einen Mieter vorstellen, der am Wochenende in London wohnt. Oder ein Paar, dessen Kinder aus dem Haus sind. Auch Familien mit kleinen Kindern sind denkbar. Das Mietniveau spricht den besser situierten Mittelstand an. Es geht nicht ums Luxussegment  da-­für wäre der Ort auch falsch. An einem Standort, der vor fünf Jahren noch keine Adresse war, muss ich etwas Besonderes anbieten. Das legitimiert die radikale Zuspitzung, die wir versucht haben.
Fakten
Architekten Christ & Gantenbein, Basel
aus Bauwelt 34.2010
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