Bauwelt

„Mein Vorbild war das Farnsworth Housevon Mies van der Rohe.“

Jürg Steiner im Interview mit Nils Ballhausen

Text: Ballhausen, Nils, Berlin; Steiner, Jürg, Berlin

„Mein Vorbild war das Farnsworth Housevon Mies van der Rohe.“

Jürg Steiner im Interview mit Nils Ballhausen

Text: Ballhausen, Nils, Berlin; Steiner, Jürg, Berlin

Jürg Steiner war 1987 der Erste, der ein Gebäude an dem damals „Prinz-Albrecht-Gelände“ genannten Ort errichtete. Sein temporärer Pavil­lon, konzipiert für eine Standzeit von drei Monaten, blieb wegen des großen Erfolgs der Ausstellung bis 1997 stehen und prägte das Bild von der Topographie des Terrors. Bis heute  ist er ein Vorbild. Im Gespräch mit Jürg Steinerwerden die Zufälle, aber auch manche Missverständnisse bei der Entwicklung eines angemessenen Gebäudes für diesen Ort deutlich.
 
Herr Steiner, wie kamen Sie zur Topographie des Terrors?
Es gab Ende 1986 bereits einen Entwurf für ein temporäres Ausstellungsgebäude. Der Architekt Klaus Grünewald hatte im Auftrag des Senats einen Holzbau mit Pultdach konzipiert, ungefähr an der Stelle, wo unser Pavillon später ent­stand. Es gab dann Probleme wegen des engen Zeitplans, und nachdem Grünewald von seinem Auftrag entbunden worden war, fragte man mich: Schaffst du es, in drei Monaten dort ein Gebäude zu errichten? Der Termin für die Eröffnung der „Topographie“ stand ja wegen der 750-Jahr-Feier fest. Die meisten Bau­leistungen waren schon beauftragt, aber noch nicht abgerufen. Ich sagte zu, machte aber deutlich, dass ich mit diesem Entwurf nicht leben könnte, weil ich der Meinung war, dassman für eine Ausstellung überall vernünftige Raumhöhen bräuchte. Außerdem fand ich, dass das Gelände mit einbezogen und das Gebäu-
de deshalb nicht nur zu einer Seite geöffnet sein sollte.
 
Wie haben Sie den Entwurf abgeändert?
Ich hatte mich vom Farnsworth House von Mies inspirieren lassen. Man konnte dies beim ausgeführten Objekt an der Westseite erkennen, da dort der Pavillon etwas über der Erde schwebte, weiterhin an den außen liegenden Stützen. Ich habe mit zwei Mitstreitern innerhalb eines Wochenendes die Neuplanung ausge­führt. Es gab kein bauaufsichtliches Genehmigungsverfahren, alles wurde direkt von der Se­natsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen überwacht, auch die Oberbauleitung lag dort.
 
Wie ging es weiter?
Wenige Tage nach der Entscheidung für meinen Entwurf begannen die Bauarbeiten. Als die Streifenfundamente für die Wände ausgehoben wurden, stieß man plötzlich auf Kellerräume. Wir hörten mit dem Aushub auf und ließen ei­nen Keller ausgraben. Als nach weiteren Grabungen das ganze Ausmaß klar wurde, kamen alle entscheidenden Leute zusammen und überlegten: Wie gehen wir mit dieser neuen Situation um?
 
Was wusste man über die gefundenen Keller?
Unterlagen darüber gab es damals nicht, und auch auf den Luftaufnahmen der Alliierten war nichts Greifbares zu erkennen. Anfangs war man noch ganz besorgt, ob diese gemauerten und gefliesten Behälter in den Kellern nicht vielleicht irgendetwas mit den Misshandlungen im „Hausgefängnis“ zu tun hätten.
 
Wann stellte sich heraus, dass es sich dabei um das Untergeschoss einer Verpflegungsbaracke handelte?
Von meinem Wehrdienst in der Schweiz kannte ich etwas ganz Ähnliches, da gab es riesige  geflieste Behälter neben der Kartoffelschälmaschine. Ich nahm deshalb schnell an, dass diese Mauern etwas mit einer Großküche zu tun haben müssten. Es wurde dann beschlossen, den Ausstellungspavillon ein weiteres Mal umzuplanen. Die Maße stimmten ja beinahe. Wir verzichteten auf die Streifenfundamente und setzten das Gebäude direkt auf die freige­leg­ten Mauern.
 
Was erneute Diskussionen provozierte.
Der wissenschaftliche Leiter und spätere Direktor der Topographie Reinhard Rürup war sehr kritisch, was die Aura eines solchen Kellers in der Ausstellung bewirken würde. Ich nahm die Gegenposition ein. Ich vertrete die Meinung, dass die Aura der Originalität sich positiv auf die Ausstellungsbesucher auswirkt. Diese beiden Positionen waren in den Gremien fast zu gleichen Teilen vertreten. Ulrich Eckardt, der Intendant und Geschäftsführer der Berliner Festspiele, war eindeutig dafür, esso zu machen. Er hatte ein gutes Gefühl für...
 
... Attraktionen?
Ja, so könnte man es ausdrücken. Dann haben wir das ganze Gebäude leicht verändert und die Maße angepasst. Eine Treppe und Kellerfenster waren bereits vorhanden. Über die Mauerkronen, die hier und da noch etwas aufgemauert oder abgetragen wurden, haben wir einen Ringbalken betoniert, auf dem dann im Raster von vier Metern Stahlträger lagen, auf denen die Holzkonstruktion ruhte. Der Fußboden war zum Teil ausgespart, den geschlos­senen Bereich haben wir mit Berliner Gehwegplatten eingedeckt. So schafften wir es, im Zeit- und Kostenrahmen zu bleiben.
 
Das klingt nach einem sehr einfachen Bau.
Es war ein temporäres Gebäude, zwar mit ei­nem gut gedämmten Dach, aber die Fenster be­standen nur aus Einscheibensicherheitsglas. Kurz nach Eröffnung kam die Frage auf, ob man es nicht noch ein bisschen länger stehen lassen sollte als geplant. Noch im selben Jahr rüstete man die Scheiben mit Isolierglas nach und installierte eine Heizung. Dadurch war es ganzjährig zu benutzen. 1991 gab es eine weitere Verbesserung, als man den Ausgang verlegte, um die Anbindung an den Geländerundgang zu optimieren.
 
Warum konnte es nicht dabei bleiben?
In den Kolloquien zum Wettbewerb von 1993, den Peter Zumthor gewann, gab es widerstreitende Parteien. Dieter Hoffmann-Axthelm sprach sich dafür aus, das Ganze zu bewahren. Er nannte den Bau damals interessanterweise immer „Baracke“, was mir nie gefiel. Eine Baracke ist leichter abgerissen als ein Pavillon. Hätte Hoffmann-Axthelm den Bau als Pavillon bezeichnet, hätte er vielleicht mehr Chancen gehabt. Ich bin natürlich parteiisch, weil es mein erstes Häuschen war. Es genügte dann in der Tat nicht mehr, weil die Stiftung allesbeieinander haben wollte, die Verwaltung, die Bibliothek, den Raum der Stille, die Besprechungs-, Film- und Gruppenräume. Das hätte mit dem alten Gebäude nicht funktioniert.
 
Hätte man es denn erweitern können?
Ja, aber das stand merkwürdigerweise nie zur Debatte.
 
Als Peter Zumthors Entwurf 1997 realisiert wer- den sollte, waren Sie wieder beteiligt.
Da ging es um die Ausstellungsgestaltung. Wir konnten uns gegen drei Büros durchsetzen, in der Endrunde dann auch gegen Zumthor, dem das überhaupt nicht passte. Ich hatte manchmal das Gefühl, er verzögerte das Ganze nur, da- mit nicht jemand anderes die Ausstellung macht.
 
Worin unterschieden sich die beiden Konzepte?
Zumthor hatte die Idee, ausschließlich Tische zu verwenden, die auf ganz dünnen, feinen Na- deln stehen. Dagegen sprachen zwei Argumente: einerseits der riesige Luftraum, den er geschaffen hatte, denn Pulte hätte man ebenso gut in einem 2,50 Meter hohen Gebäude aufstellen können. Zweitens sind Pulte für Rollstuhlfahrer, aber auch für Kinder, ungeeignet. Uns kam Zumthors Stabwerk dagegen immer wie eine Barockbühne vor, und wir wollten esdurchaus theatermäßig bedienen: von der De­cke abgehängte Panels, die je nach Bedarf variabel zu positionieren sein würden.
 
Die Ausstellung war mit dem Abriss Ihres Pavillons 1997 obdachlos geworden.
Zunächst kam sie in einer Art Festzelt unter. Damit war ich nicht betraut, ich hätte mich auch geweigert, es zu tun. Das war unwürdig und ärgerlich. Ich weiß heute nicht mehr, ob Reinhard Rürup, Andreas Nachama oder ich die Idee hatten, man könnte die Ausstellung doch viel besser in den Graben der freigeleg­ten Fundamente integrieren.
 
Die nächste Improvisation?
Das kann man schon so sagen. Um die Fundamente entlang der Niederkirchnerstraße und des Prinz-Albrecht-Palais zu schützen, hatten wir schon 1991 ganz einfache Pultdächer gebaut, mit Knaggen und Stützen, die auf kleinen Betonfundamenten ruhten. Dadurch hatten wir bereits ein Ausstellungsgerüst geschaffen, ohne es im Sinn gehabt zu haben. Man konnte dann sogar die Originalrahmen der Ausstellung von 1987 wiederverwenden, mit dem gleichen System wie im Pavillon. Nun hatte man eine doppelte Ausstellung, eine zum Thema selbst, und zum anderen konnte man noch auf die einzelnen Ausgrabungssituationen hin-
weisen. Nicht nur die Wegeführung, auch die inhaltliche Gliederung wurde durch die Vor- und Rücksprünge der Fundamentreste gut rhythmisiert.
 
Warum war die Nähe zu den Spuren wichtig?
Ich habe bei Ausstellungen vielfach beobachtet, dass die Aura eines nicht renovierten Or­tes das Publikum dermaßen in Beschlag nimmt, dass es mental viel offener ist, als wenn es mit den Exponaten in einem White Cube oder einem Glasbau damit konfrontiert wird. Die Haltung „erst renovieren, dann ausstellen“ ist eigentlich der größte Fehler. Man sieht das
bei­spielsweise an der Steinwache in Dortmund, einem ehemaligen Polizeigefängnis, das man erst picobello renoviert und dann mit ei­ner Ausstellung ausgestattet hat. Da geht heute kaum jemand hin.
 
Führt dieses Festhalten an kärglichen Spuren nicht in die Irre?
Ich würde dem entgegenhalten: Sie sind der Beleg, dass man am authentischen Ort ist. Im Unterschied zum Holocaust-Denkmal, das an einem zufälligen Ort steht. Ich glaube, dass ein Ort wie die Topographie des Terrors gerade durch diese Originalität, durch diese Belege, und wenn sie für sich genommen noch so un-bedeutend sind, seine Relevanz erhält. Der Erfolg der Open-Air-Ausstellung beruhte meiner Ansicht nach auch darauf, dass sie eben an ge­nau diesem Ort stattfand.


Im Jahr 2005, nachdem das Zumthor-Projekt abgesagt war, hätten Sie ihren Pavillon fast ein zweites Mal bauen dürfen.
Nicht denselben Bau, wohl aber auf der gleichen Unterkonstruktion wie 1987: wieder ein temporärer Pavillon, diesmal allerdings mit ei­nem Stahldach und rundum verglast. Die Mauern des Küchentrakts waren ja seit dem Zumthor-Baustopp freigelegt, da bot es sich an, den Keller mit einer umlaufenden Rampe barrie­re- frei zu erschließen. Die Senatsverwaltung fürStadtentwicklung wollte sich mit dieser Interimslösung absichern, falls der Wettbewerb ein weiteres Mal scheitern sollte.

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