Bauwelt

Städtebau für Mussolini

Städtebau und politscher Konsens

Text: Welch Guerra, Max, Weimar

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Städtebau für Mussolini

Städtebau und politscher Konsens

Text: Welch Guerra, Max, Weimar

Prächtige Bände mit schönen Abbildungen und magerem Text sind nicht selten. Kluge Texte lesen wir hingegen zumeist in dicht gesetzten, bildlosen Büchern. „Städtebau für Mussolini“ tanzt aus der Reihe. Der schwere Band vereint einen informativen wie wissenschaftlich anspruchsvollen, langen Text mit einer üppigen Ausstattung an Fotos und Plänen sowie einer verlegerischen Sorgfalt, wie sie in dieser Weise nur ganz selten zusammen vorkommen.
Gegenstand des Bandes ist eine Blütezeit des Städtebaus. Mussolini, zeigen Bodenschatz und seine Mitautoren, erkannte schon früh die Potenzen des Städtebaus für die propagandistische Aufwertung des Regimes. Der italienische Faschismus hat eine erstaunliche Fülle an städtebaulichen Produkten hervorgebracht. Schon Menge und Vielfalt – unterschiedliche Sanierungstypen, Stadtumbau, Stadterweiterung, Stadtneugründungen und Regional­erneuerung – überragen deutlich den Städtebau anderer Länder. Die heute noch eindrucksvollen Ergebnisse jener Zeit sind in den 70er Jahren blind verdammt, ja dämonisiert worden. In den letzten Jahren setzte sich eine gegenteilige, geradezu naive Position durch, die der Faszination der Gestalt erliegt. Das Buch nimmt eine dritte Position ein. Es fragt nach den Entstehungsbedingungen und Zielsetzungen dieses Städtebaus, und es untersucht diese Bedingungen nicht allein in materieller Hinsicht, sondern auch immer wieder anhand der heftigen Debatten, die die Pläne und Projekte zumeist begleiteten. Eines der wichtigsten Ergebnisse der Autoren lautet, der Städtebau habe eine Schlüsselrolle bei der Schaffung von politischem Konsens und letzten Endes bei der Stabilisierung des italienischen Faschismus gespielt.
Was diese Ergebnisse ermöglicht und begründet, ist eine breit angelegte Herangehensweise. In bester kritischer Manier wird nach der Stadtproduktion und ihrem Wandel in den Jahren der faschistischen Herrschaft gefragt. Es geht um die ökonomischen politischen und kulturellen Determinanten, etwa des Wohnungsbaus oder der neuen Stadtgründungen. Mussolini war eben nicht der Demiurg, sondern es gab unaufhörlich Konflikte zwischen herausragenden Planern, den unterschiedlichen faschistischen Organisationen und etwa dem 1925 ein­ge­setzten mächtigen Governatore Roms und dem Istituto per le Case Populari (ICP). Die Autoren haben viele Wettbewerbe, aber auch Fachdebatten und Deutungsmuster jener Zeit rekonstruiert und ausgewertet. Deutlich wird, wie viel fachlicher Eigensinn dem Regime getrotzt, es aber auch aufgewertet hat.
Eine verblüffende Erkenntnis für viele Leser wird sein, wie sehr das heutige Bild Roms auf die Mussolini-Zeit zurückgeht, auch da, wo keine Gebäude der Jahre 1920 bis 1943 stehen. Städtebau besteht eben nicht nur aus der Produktion neuer Architektur, sondern ist hin und wieder das Produkt der Vernichtung bestehender Bauten. Am deutlichsten wird dies an der Via dell’Impero, die das faschistische Italien als dem Römischen Reich ebenbürtig erscheinen lassen sollte. Die Blickbeziehung vom Palazzo Venezia, dem Sitz des Duce, zum Kolosseum, erscheint heute als etwas Selbstverständliches; hier wurde jedoch sogar die Archäologie eingesetzt, um das Regime symbolisch aufzuwerten und zugleich, um das historische Erbe, das gerade störte, zu vernichten. Auch sonst fiel für die Neugestaltung Roms zur faschistischen Hauptstadt viel Bestand aller früheren Epochen dem piccone, der Spitzhacke, zum Opfer.
Sorgfältig führen die Autoren vor, wie differenziert und mitunter mit welchem gestalterischen Geschick der Wohnungsbau die Stadt Rom erweitert und verändert hat. Sie arbeiten allerdings auch den sozialen Inhalt heraus, der im Kern darauf hinaus lief, das die Mittelschichten, auf die das Regime angewiesen war, in der Stadt gehalten, die Ärmeren aus der Stadt vergedrängt wurden.
Das Buch behandelt ebenso den Städtebau vieler anderer Städte und neuer Stadtgründungen, aufschlussreich ist auch der Bericht von der Urbarmachung der Pontinischen Sümpfe. Die zwanzig Seiten zu EUR, dem ursprünglich für die nicht realisierte Weltausstellung 1942 vorgesehenen Viertel zwischen Rom und dem Meer, dürften viele dazu animieren, es zu besuchen, um seine städtebauliche Eloquenz zu erleben. EUR sollte schließlich nichts Geringeres als die kulturelle Führerschaft des faschistischen Italiens in der Welt bekunden. Mit diesen Gegenständen war in einem solchen Buch zu rechnen. Unerwartet für viele ist wahrscheinlich die eifrige Tätigkeit in den italienischen Kolonien. In Städten wie Addis Abeba hat ein rassistischer Städtebau Apartheid-analoge Strukturen geschaffen, der daheim als zivilisatorischer Eingriff in unterentwickelte Welten gefeiert wurden. Auch im 1938 gewaltsam annektierten Libyen wurde das Erbe vergangener Epochen vernichtet, um das Neue aufzustellen, das von der Größe des Mutterlandes zu künden hatte. Dies ist in Italien heute kaum ein Thema.
In mehrfacher Weise profitiert das Buch von den Vorarbeiten vor allem von Harald Bodenschatz, etwa bezüglich der Aufmerksamkeit gegenüber den internationalen Querbezügen. Die Bedeutung des Städtebaus unter dem Faschismus in Italien haben auch die Zeitgenossen wahrgenommen. Von 1920 an hatte die Städtebaupolitik Mussolinis Einfluss auf andere Länder, besonders auf Deutschland und auf die Sowjetunion. Diese Querbezüge sind mehr als eine Fußnote der Geschichte, sie sind auch Ansatzpunkte für die langsam entstehende gemeinsame europäische Städtebaugeschichte.
Bemerkenswert ist das Werk als Typus wissenschaftlicher Produktion. Es hat mehrere Autoren, ist aber kein Sammelband, sondern eine wohldurchdachte Monographie, geschrieben von einer Handvoll Fachleuten mit eigenem Profil und Gegenstand. Es ist ein Werk der Reife vom gerade emeritierten Bodenschatz, der schon in den 70er Jahren über italienische Stadterneuerung promoviert wurde.
Zwar enthält das Buch keine umfängliche Darstellung des italienischen Faschismus, es erstaunt allerdings, wie viel wir über den italienischen Faschismus und über die Geschichte Italiens durch diese Art der Beschäftigung mit dem Städtebau begreifen. Der hohe Anspruch der Autoren, die sorgfältige Bearbeitung und der Grad an wissenschaftlicher Reflexion, sei schließlich angemerkt, befruchten nicht nur die reichhaltige deutschsprachige Italienliteratur. Ein vergleichbares Werk ist selbst in Italien nicht erschienen.
Fakten
Autor / Herausgeber Harald Bodenschatz (Hrsg.)
Verlag Dom Publishsers, Berlin 2011
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aus Bauwelt 12.2012
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