Bauwelt

Lausitz – Landschaft mit neuem Gesicht

Text: Kil, Wolfgang, Berlin

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Lausitz – Landschaft mit neuem Gesicht

Text: Kil, Wolfgang, Berlin

Inzwischen ist die Internationale Bauausstellung (IBA) Fürst-Pückler-Land auch schon wieder Geschichte, während ihrer zehnjährigen Laufzeit (2000 bis 2010) hat sich in der Lausitz tatsächlich allerhand getan. Verändert hätte sich die vom Braunkohleabbau geprägte Landschaft dank staatlicher Rekultivierungsmilliarden sowieso, aber die kulturellen Interventionen der IBA hatten, so die Verwaltungssprache, eine „Erhöhung der Folgenutzungsstandards“ zum Ziel.
Aus Tagebaulöchern einfach nur Badeseen mit rutschungsfesten Ufern machen, das war zu wenig. „Wir wollen Landschaft sichern, aber dabei auch Heimat herstellen, also neben der Sicherheit Attraktivität der Region erreichen, regionale Wertschöpfungsketten, Erholungs- und Kulturmöglichkeiten.“ Die Probleme, das wurde schnell klar, waren bei nicht nur geotechnischer, sondern immer wieder gesellschaftlicher Art: Wie kommt eine armselige Wald-, Sumpf- und Heidelandschaft nach knapp hundert Jahren exzes­siver Energiewirtschaft zu einer Perspektive jenseits der industriellen Monostruktur? Wie rüstet man Menschen, die seit drei, vier Generationen Stolz und Ehrgeiz der Bergbaukultur verinnerlicht haben, mit neuem Selbstwertgefühl für eine wahrscheinlich postindustrielle Zukunft aus? Die IBA hat viel Enthusiasmus in die Schaffung von Leuchtturmprojekten investiert, doch als eigentliches Bewährungsfeld stellten sich die Lausitzer selbst heraus. „Die Spuren unseres Tuns wird man vor allem in den Köpfen der Leute hier suchen müssen“, so IBA-Direktor Rolf Kuhn noch am Abend der großen Abschlussgala.
Genau diese Neugier treibt auch das vorliegende Buch. Es gehört nicht zu den zahlreichen Publikationen der IBA, sondern verdankt sich eigener Initiative von Autor und Fotograf, ihrer Begeisterung für den schwierigen Landstrich. Da es aber zeitgleich und im selben Revier entstand, bleiben parallele Themen und gleiches Personal nicht aus: André Brie, EU-Parlamentarier a.D. mit publizistischer Neigung, hat eine Reihe Entscheidungsbefugter oder einfach nur unbeugsamer Akteure des großen Umbruchs
aufgesucht, und indem er den Politiker, den Pfarrer, die Bergbauingenieurin, Künstler, Naturschützer und schließlich auch die sorbische Gastwirtin leider nur etwas skizzenhaft porträtiert, entsteht ein Gesamteindruck von der Region und ihren Problemen. Krasse Widersprüche werden nicht ausgespart, Kohle wird ja weiter gefördert. Die Verteidiger des letztlich doch abgebaggerten Dorfes Horno und des demnächst bedrohten Atterwasch dürfen ihre Argumente (und ihre Wut) genauso in die Waagschale werfen wie Ex-Ministerpräsident Stolpe oder Vattenfall-Direktor Zeiß ihre Sachzwänge (und ihr schlechtes Gewissen). Fa­talerweise hinterlässt solche Korrektheit aber den Anschein flauer Meinungslosigkeit, die man angesichts der berührten Konfliktlinien – Energiewende, Ökologie, Arbeitsgesellschaft, Sozialstaat – dem habilitierten Politikwissenschaftler eigentlich nicht unterstellen möchte. Auch sein nicht allzu tief schürfen­-der Essay am Schluss des Buches belässt es bei Feststellungen – hie die „Herausforderungen“ des großen Weltenlaufs, da die unabweisbaren Realitäten der konkreten Region und Hoffnung auf deren weiterhin guten Weg. Da hat sich wohl der Politpraktiker über den sachkritischen Analytiker hinweggesetzt. Oder sollen wir die Unauflösbarkeit der Widersprüche als das eigentliche Thema der Lausitz erkennen?
Der Fotograf, Jahrgang 1979 und im Berliner Umland aufgewachsen, praktizierte nach handwerk­licher Lehre jahrelang als Firmenfotograf. Diese berufliche Herkunft ist seinen Schwarz-Weiß-Bildern anzusehen: Für die himmelweiten, immer wieder im­posanten Tagebaulandschaften werden alle Register grafischer Faszination gezogen. Die dem Maschinenpathos der Neuen Sachlichkeit entlehnten Ablichtungen technischer Gebilde – Abraumbagger, Kühltürme, Kraftwerksturbinen, die schwimmenden Häuser vom Geierswalder See – verkünden dagegen vor allem den Stolz ihrer Konstrukteure. Beim Durchblättern der verschwenderisch layouteten Seiten mag sich ein hämischer Gedanke einschleichen: Wäre die Lausitz ein Unternehmen, dem irgendein rundes Jubiläum ins Haus steht, dann sähe so vielleicht die Festschrift der Firmenleitung aus. Aber die Lausitz ist kein Unternehmen. Noch ist sie ein unabsehbares gesellschaftliches Laborprojekt.
Fakten
Autor / Herausgeber André Brie und Alexander Schnippel
Verlag Imhof Verlag, Petersberg, 2011
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aus Bauwelt 20.2012
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