Landschaftstheorie und Landschaftspraxis
Einführung aus sozialkonstruktivistischer Perspektive
Text: Reimers, Brita, Berlin
Landschaftstheorie und Landschaftspraxis
Einführung aus sozialkonstruktivistischer Perspektive
Text: Reimers, Brita, Berlin
„Lehrbuch“ prangt in großen Lettern auf dem Cover, und wenig ansprechend ist die Ausstattung des auch als eBook erhältlichen Bandes. Das sollte aber niemanden davon abhalten, sich in diese souveräne Einführung in die Landschaftstheorie und -praxis zu vertiefen; erschienen in der Reihe „Raumfragen: Stadt – Region – Landschaft“, einem Forum für Anthropogeographie und sozialwissenschaftliche Raumforschung.
Neben der Beschäftigung mit dem Phänomen Zeit rückt seit einigen Jahren zunehmend der Raum ins Zentrum wissenschaftlichen Interesses, sodass man bereits von einem Spatial Turn in den Kultur- und Sozialwissenschaften spricht. In diesem Zusammenhang gerät auch Landschaft verstärkt ins Blickfeld der wissenschaftlichen Diskurse. Aber auch in Politik und Öffentlichkeit gewinnt das Thema an Bedeutung, seit uns ein ökologisches Bewusstsein, der demographische Wandel und das Ende des Industriezeitalters vor neue Aufgaben stellen.
Landschaft ist kein fest definierter Begriff. Bei einer Umfrage im Saarland beispielsweise dachten 100 Personen an Natur, 37 an Heimat, 12 an Erholung und je drei an Garten und Landwirtschaft. Aber auch in den verschiedenen Disziplinen der Wissenschaften besteht kein Konsens, was unter Landschaft zu verstehen sei. Um die Komplexität des Begriffs darzustellen, gibt der Geograph und Soziologe Olaf Kühne, der seit vielen Jahren im Themenkreis Landschaft, Raumentwicklung und nachhaltige Entwicklung forscht, eine Einführung in die historische Entwicklung des Landschaftsverständnisses und in die aktuelle Theoriebildung. Dabei verbindet er die Forschungsstränge unterschiedlicher sozial- und kulturwissenschaftlicher Disziplinen wie Geographie, Soziologie, Psychologie, Philosophie, Raumplanung sowie Landschaftsarchitektur und -planung unter der Perspektive sozialkonstruktivistischer Ansätze.
Kühne versteht Landschaft als gesellschaftlich und individuell erzeugtes und vermitteltes Konstrukt eines physischen Raumes und derjenigen Objekte, die als Landschaft synthetisiert werden. Auf dieser analytischen Basis beschäftigt der Autor sich mit der Entwicklung der physischen Grundlagen angeeigneter physischer Landschaft von der Vor- bis
zur Postmoderne und zeigt die bestimmende Rolle von Ökonomie und Politik in amerikanischen, sozialistischen und postsozialistischen Landschaften. Er befasst sich mit Konzepten und Theorien von Landschaft wie beispielsweise mit verschiedenen ästhetischen Landschaftskonstruktionen oder solchen aus der Perspektive der Kritischen Wissenschaft oder liberaler und konservativer Weltanschauungen. Kulturelle und mediale Einflüsse sowie die demographische Variabilität werden als Aspekte der sozialen Konstruktion von Landschaft behandelt. Dabei geht es auch um Konstruktionen jenseits des Visuellen, um Duft- und Geräuschlandschaften, um Landschaft und Angst, es geht um Filmlandschaften und Heimat. Da die Entstehung von Landschaft immer auch mit den Machtverhältnissen innerhalb einer Gesellschaft zu tun hat, legt Kühne bei der Thematisierung des praktischen Umgangs mit Landschaft ein besonderes Gewicht auf die Frage, wie eine am Gedanken der Nachhaltigkeit orientierte Entwicklung von Landschaft aussehen und wie diese unter Einbindung unterschiedlicher Interessenvertreter und insbesondere der Bevölkerung realisiert werden könne.
Die Kapitel des Buches sind so konzipiert, dass sie, ohne durch Wiederholungen zu ermüden, je nach Interessenlage auch einzeln verständlich sind. Damit brächte man sich allerdings um den Genuss einer Lektüre, die insbesondere aufgrund ihrer komplexen Darstellung des Themas in einem weiten, fächerübergreifenden Horizont äußerst anregend ist.
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