Bauwelt

Das Leben erfindet immerfort

Mit „Die Weisheit des Gärtners“ ist seit kurzem ein weiteres Buch von Gilles Clément dem deutschen Leser zugänglich. Es gehört zu einer Reihe von schmalen Bändchen des Agraringenieurs, Landschaftsarchitekten und Hochschullehrers, der sich selbst Gärtner nennt. Seine Bücher sind persönlich, politisch, poetisch und wissenschaftlich, oft humorvoll – unklassifizierbar: ein Plädoyer für eine humane Ökologie.

Text: Reimers, Brita

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    „La Vallée“, Gilles Cléments eigener Garten in der Creuse. Er wurde zu seinem Experimentierfeld, auf dem er behutsam gärtnerte: „So viel wie mög­lich mit der Natur, so wenig wie möglich gegen sie“.
    Foto: Yann Morel

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    „La Vallée“, Gilles Cléments eigener Garten in der Creuse. Er wurde zu seinem Experimentierfeld, auf dem er behutsam gärtnerte: „So viel wie mög­lich mit der Natur, so wenig wie möglich gegen sie“.

    Foto: Yann Morel

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    Blick ins Tal mit dem Dach seines kleinen Hauses, das mit Schindeln aus Edelkastanienholz ge­deckt ist.
    Fotos: Yann Monel

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    Blick ins Tal mit dem Dach seines kleinen Hauses, das mit Schindeln aus Edelkastanienholz ge­deckt ist.

    Fotos: Yann Monel

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    Kloster Valloires südlich von Boulogne-sur-Mer mit Cléments Gärten.
    Foto: Noel Yates/Alamy Stock

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    Kloster Valloires südlich von Boulogne-sur-Mer mit Cléments Gärten.

    Foto: Noel Yates/Alamy Stock

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    Partielles Mähen als szenisches Prinzip der Grenze im Garten der Ecole normale supérieure von Lyon.
    Foto: Gilles Clément

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    Partielles Mähen als szenisches Prinzip der Grenze im Garten der Ecole normale supérieure von Lyon.

    Foto: Gilles Clément

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    „Le Jardin du Tiers-Paysage“ auf dem Dach der ehe­ma­ligen U-Boot-Basis von Saint-Nazaire.
    Foto: eac, Mouans-Sartoux; Gilles Clément

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    „Le Jardin du Tiers-Paysage“ auf dem Dach der ehe­ma­ligen U-Boot-Basis von Saint-Nazaire.

    Foto: eac, Mouans-Sartoux; Gilles Clément

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    „Bois des Transparences“ im Schlosspark von Mouans-Sartoux. Im Eichenwald verstreute Monolithen aus Kalkstein der Umgebung, die das Licht reflektieren.
    Foto: eac, Mouans-Sartoux; Gilles Clément

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    „Bois des Transparences“ im Schlosspark von Mouans-Sartoux. Im Eichenwald verstreute Monolithen aus Kalkstein der Umgebung, die das Licht reflektieren.

    Foto: eac, Mouans-Sartoux; Gilles Clément

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    Eine Lücke zwischen zwei Straßen westlich von Paris, (Axe de la Défense) als Garten, in dem sich Diversität entwickeln kann.
    Foto: Gilles Clément

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    Eine Lücke zwischen zwei Straßen westlich von Paris, (Axe de la Défense) als Garten, in dem sich Diversität entwickeln kann.

    Foto: Gilles Clément

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    „Promenade des Gunneras“ (Mammutblatt) im drei Hek­tar großen „Jardins promenades“ westlich der Arche de la Défense bei Paris.
    Foto: Gilles Clément

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    „Promenade des Gunneras“ (Mammutblatt) im drei Hek­tar großen „Jardins promenades“ westlich der Arche de la Défense bei Paris.

    Foto: Gilles Clément

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    Der Parc André-Citroën im Pariser Südwesten. Seit­lich der großen Spiel- und Liegewiese schuf Clément eine Serie von sieben Gärten, die er unter anderem den sieben Planeten zuordnete.
    Foto: akg-images/vienna­slide/© Harald A. Jahn

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    Der Parc André-Citroën im Pariser Südwesten. Seit­lich der großen Spiel- und Liegewiese schuf Clément eine Serie von sieben Gärten, die er unter anderem den sieben Planeten zuordnete.

    Foto: akg-images/vienna­slide/© Harald A. Jahn

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    Die Domaine du Rayol an der Côte des Maures ist als Lehrgarten konzipiert, ...
    Foto: Domaine du Rayol

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    Die Domaine du Rayol an der Côte des Maures ist als Lehrgarten konzipiert, ...

    Foto: Domaine du Rayol

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    ... der auch den Meeresgarten einbezieht.
    Foto: Domaine du Rayol

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    ... der auch den Meeresgarten einbezieht.

    Foto: Domaine du Rayol

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    Gilles Clément
    Foto: Yann Morel

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    Gilles Clément

    Foto: Yann Morel

Das Leben erfindet immerfort

Mit „Die Weisheit des Gärtners“ ist seit kurzem ein weiteres Buch von Gilles Clément dem deutschen Leser zugänglich. Es gehört zu einer Reihe von schmalen Bändchen des Agraringenieurs, Landschaftsarchitekten und Hochschullehrers, der sich selbst Gärtner nennt. Seine Bücher sind persönlich, politisch, poetisch und wissenschaftlich, oft humorvoll – unklassifizierbar: ein Plädoyer für eine humane Ökologie.

Text: Reimers, Brita

Spätestens seit der hitzigen Debatte um den nachts an die Tafel geschriebenen Satz „Der Baum ist Kapitalist“ erschien dem 68er Gilles Clément die Studentenrevolte als theoretische Irreführung. Die Dringlichkeiten waren für ihn anderswo. Deprimiert kaufte er südlich von Châteauroux im Département Creuse ein fünf Hektar großes Grundstück in einem von Winden geschützten Tal, wo er schon als Kind Käfer und Schmetterlinge gesucht hatte. Aus dem seit 14 Jahren brach liegenden Land wollte er einen Ort der Ruhe und Toleranz für sich schaffen, einen „Ort des Teilens“, genannt „La Vallée“. Bald aber fragte er sich, ob es möglich sei, einen mit der Natur verbundenen Garten zu schaffen, in dem Pflanzen und Tiere ein – freilich instabiles – gestalterisches und biologisches Gleichgewicht mit größtmöglicher Diversität fänden. Würden sie ihn akzeptieren? Gilles Clément wollte der von der Moderne entseelten Natur neues Leben einhauchen, Poesie und Metaphysik wieder in ihr Recht setzen; eine Art natürlicher Animismus, der sich „staunend und träumend“ dem Unvorhersehbaren widmet. Dass aus diesem Experiment eine weltumspannende politische Vision würde, ahnte er damals nicht.
Jardin en Mouvement
Haus und Garten entstanden gemeinsam. Auf 100 Quadratmetern Grundfläche baute Clément mit seinen Freunden ein Haus, das bis heute für alle offen ist, für Menschen und Tiere gleichermaßen. Eduarda, die gelbgrüne Zornnatter, und die Steinmarderfrau Décibelle mit ihren Jungen haben im Dach Wohnung genommen. Der doppelte Sturz der Eingangstür beherbergt Fledermäuse, Blaumeisen, Pieper, Baumläufer, Stieglitze und Drosseln. Smaragdeidechsen und Eichhörnchen nutzen geringste Vertiefungen in den Wänden als Nester und Schlupflöcher. Mit seinen doppelten Mauern aus Stein und Ziegeln und einem Dach, das mit Schindeln aus Edelkastanienholz gedeckt ist, wuchs das Haus ohne rechten Plan. Keine der 21 Öffnungen, die den Blick nach draußen lenken, entspricht einer Norm, ebenso wenig die Treppe, die zum Obergeschoss führt. Natürlich sollte die Treppe sein, gewunden, ohne Treppenwange und Handlauf. Die Lösung fand sich im nahe gelegenen Wäldchen: der geschälte trockene Ast einer Edelkastanie, der sich der gerundeten Ecke des Hauses anpasste, als seien sie zusammengewachsen. Mit Zollstock und Kettensäge baute Gilles Clément eine Treppe mit einem lebendigen Rhythmus.
Gärtnern hieß in La Vallée zunächst vor allem anschauen, wie die Diversität aufgrund der neu­-en Umstände von Tag zu Tag reicher wurde. Es hieß die universellen Wechselwirkungen verstehen und einen Weg finden, sich in diesen energetischen Fluss einzugliedern. Als der kaukasische Bärenklau auftauchte, war der Jardin en Mouvement erfunden: Die Blütenschirme der mächtigen Pflanze beschatteten Bockkäfer, Zweiflügler und Rosenkäfer. Ihre duftenden gerillten Stängel, die mit der Zeit von weither sichtbare, wandernde Inseln bildeten, veränderten die Maßstäbe des Tals. Dieser Überfrachtung gebot die Sommermahd Einhalt. In den Maulwürfen, im Garten seiner Kindheit mit grausamen Methoden verfolgt, fand Clément kleine Gärtnergehilfen. Zuden von ihnen aufgeworfenen Erdhügeln wandern die ein- und zweijährigen Pflanzen, um dort ihre Samen keimen zu lassen.
In „Le Salon des Berces“ schreibt Clément: „In La Vallée betrifft der bewohnte Bereich das Gebiet als Ganzes und nicht die auf die Anlage reduzierte Fläche. Ich kann hoffen, dass über den Bau hinaus und wann immer er seine Grenzen erreicht haben wird, das Projekt, anstatt einEnde zu finden, sich weiter entfaltet und durchden Garten den Blick unbegrenzt in die Zukunft richtet.“
Bei der Interpretation des evolutionären Geschehens ist Gilles Clément nicht Darwin verpflichtet, sein „Fährmann“ ist Lamarck, der fünfzig Jahre früher eine Evolutionstheorie vorlegte, die davon ausgeht, dass im Laufe des Lebens erworbene Eigenschaften vererbt werden können, eine Hypothese, die heute wieder wissenschaftliche Beachtung findet. Ihm widmete Clément in Valloires, Département de la Somme, den 6000 Quadratmeter großen Garten Jardin de l’évolution. Von der archaischen Vegetation über die mittelalterlichen zu den höchst entwickelten Pflanzen präsentiert er sich als Spirale des Lebens. Das „Chambre des Nuages“ erinnert an Lamarcks Klassifikation der Wolken und die Meteorologie. Über seine eigenen Wolkenstudien auf einer Schiffsreise nach Valparaiso schrieb Clément den tagebuchartigen Essay „Nuages“. Fasziniert von verschwimmenden Grenzen beschäftigt er sich mit den Beziehungen zwischen dem Gärtner und dem Himmel, der sich trotz al­-ler Versuche dem menschlichen Zugriff entzieht.
Jardin Planétaire
Die Ökologie entlarvt den Gartenzaun als Illusion. „Alles ist verbunden und alles bewegt sich durch den Wind, die Schmetterlinge, die Vögel oder durchuns.“ Auf seinen Reisen durch die ganze Welt stellt Gilles Clément ein ungeheures plane­tarisches Umrühren und Durchmischen aller Lebewesen fest, das einzig durch die verletzliche Biosphäre begrenzt ist. Das bedeutet, dass unser Planet der Garten ist und sein Gärtner die ganze Menschheit. Das „Genie der Natur“ lehrt uns, gegen die herrschenden Gesetze des Marktes und des Wirtschaftswachstums unsere Erde so zu verwalten, dass das Leben die Evolution fortsetzen kann. So wird sich alles ändern: die Philosophie und Ästhetik, die Ökonomie, unser Umgang mit der Zeit und den Ressourcen. Im Garten des 21. Jahrhunderts sind die Pflanzen und die Tiere die Hauptakteure; ein gelungener Garten misst sich an dem sich dort entwickelnden Leben. Die Rolle des Gartenkünstlers reduziert sich auf die des „Grenzenkünstlers“, der die natürlichen Beziehungen aufwertet: ein Sockel, eine Trennlinie, ein Höhenunterschied, eine Grenze „deren Form mit dem Sinn des jeweiligen Projektsebenso gut übereinstimmt wie mit der Achtung vor dem Leben.“ Darüber hinaus fordert Clément eine Kultur des Immateriellen, die prinzipiell alles als flüchtig und recycelbar erachtet, selbst unsere Städte. Schön ist, was wahr ist.
Der Jardin Planetaire ist ein geistiges Konzept, das am ehesten in der 20 Hektar großen Domaine du Rayol an der südfranzösischen Côte des Maures begreifbar wird: Das steile Hanggrundstück, das nur mit leichter maschineller Hilfe verwaltet wird, ist ein Index für die mediterranen Lebensräume unserer Erde.
Auch Le Tiers-Paysage ist ein geistiges Konzept, zu sehen als Brache, als Straßen- oder Uferrand, wo der Natur freier Lauf gelassen wird, ein Artenspeicher. Lesen kann man davon im „Manifest der Dritten Landschaft“. Dieser Begriff verweist auf die Französische Revolution, die den Dritten Stand (tiers état) als tragfähigen Teil der Gesellschaft betrachtete: „Was ist der Dritte Stand? – Alles. Was ist er bisher gewesen? – Nichts. Was hofft er zu sein? – Etwas“, formu­lierte Emmanuel Joseph Sieyès 1789. Diese Hoffnung setzt Gilles Clément in die Dritte Landschaft, in der sich die Diversität ungestört entwickeln kann und damit unsere Zukunft garantiert. Vielleicht bedeutet Gärtnern eines Tages einfach nur noch anschauen.
Mouans-Sartoux und André-Citroën
Ein kleiner Garten, der mir besonders im Gedächtnis blieb, ist der Park des Renaissanceschlösschens in Mouans-Sartoux oberhalb von Cannes. Auf die Gebäude referierend, führen einige geometrische Kalksteinstufen einladend in das Steineichenwäldchen hinunter, wo wie Lichtpunkte weiße Monolithen zwischen den Bäumen verstreut sind. Überrascht lese ich auf ihnen poe­ti­sche Ausdrücke wie „Bart des Jupiter“. Als ich den Garten oben am Schloss betrete, finde ich sie wieder, als Namensschilder vor blühenden Pflanzen. Tiere und Pflanzen zu erreichen, ohne ihre Namen zu wissen, erscheint Gilles Clément unmöglich.
Für mich begann alles in Paris, als ich vor Jahren zufällig in den 14 Hektar großen Parc André-Citroën geriet. Die lange, sich von der Seine zur Stadt erstreckende Rasenfläche und die aus dem Boden sprudelnen Fontänen wirkten an diesem grauen und kühlen Novembertag nicht gerade einladend. Aber dann, am seitlichen Hang, eine Reihe schmaler Gärten. Mein Schritt verlangsamt sich, bezaubert setze ich mich hier auf eine Holzbank, dort auf einen Stein und staune. Alle Gärten sind verschieden, aber alle voller Heiterkeit und lebendiger Bewegung, in die ich mich eingebunden fühle. Ich habe gefunden, was ich lange gesucht hatte: einen gestalteten Ort, an dem Mensch und Natur miteinander kommunizieren. Obwohl die gewohnte Ästhetik gewahrt zu sein scheint, ist in diesem Garten alles ganz anders.
Im letzten Jahr kam ich an einem heißen Augusttag zurück. Auf der Wiese tummelte sich die hal­-be Stadt, in den Jardins Sériels dagegen träumte ein junger Mann im blauen Garten auf einer Holzliege im Halbschatten, ein Paar lag versteckt im goldenen Garten im Gras und las sich vor. Ein älterer Herr saß an der erhöhten Kirschenallee im rotem Garten auf einer Holzbank. Jemand sagte: „Im grünen Garten werden die Kinder ganzstill.“ Anders als im November wuchsen und blühten die Pflanzen in sommerlicher Üppigkeit und streckten ihre Stängel und Blätter auch überbordend auf die Wege aus. Gerade Linien gibt es nicht. Wie natürliche Bach- oder Flussläufe wirken die aus verschiedenen Steinarten und -formen gelegten Wege. In diesen Gärten, die mit ihren Referenzen an die traditionellen alchemistischen Symbole, die Metalle, die Steine, das Wasser und die Planeten, neue Blicke auf die Natur im Garten werfen, scheint alles in fließender Bewegung zu sein.
Die durch den grünen Garten führende Diagonale brachte mich in den Jardin en Mouvement. Hier entwickelt sich die Natur in ihrer ganzen Energie und Dynamik, in ihrem eigenen Rhythmus; nur einige gemähte Wege und Flächen haben Platz geschaffen für größere Sitzplätze. Auf denFelsbrocken spielen die Kinder.
Fakten
Architekten Clément, Gilles
aus Bauwelt 5.2018
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