Bauwelt

Abenteuer Centre Pompidou. Die Dependance in Metz.

Interview mit dem Kurator Laurent Le Bon

Text: Maier-Solgk, Frank, Düsseldorf; Redecke, Sebastian, Berlin

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Roland Halbe

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Roland Halbe


Abenteuer Centre Pompidou. Die Dependance in Metz.

Interview mit dem Kurator Laurent Le Bon

Text: Maier-Solgk, Frank, Düsseldorf; Redecke, Sebastian, Berlin

Mitte Mai erlebte Metz einen großen Moment. Mit dem Werbespruch „Picasso: Ich ziehe um nach Metz“ wurde das zweite Centre Pompidou Frankreichs in der lothringischen Stadt eröffnet. Beim Neubau steht wie beim Centre Pompidou in Paris die Konstruktion im Vordergrund, die sich aber nicht von selbst erklärt.
Ein großer Zauberhut oder ein ausladender großer weißer Champignon – das Centre Pompidou-Metz, das neue Aushängeschild der französischen Museumslandschaft, lädt ein zur Metaphernbildung. In der Tat besitzt das von Shigeru Ban und Jean de Gastines entworfene, 10.000 Quadratmeter große Kunstzentrum am Stadtrand von Metz mit seinem sämtliche Gebäudeteile überwölbenden Zeltdach (in der Form eines Sechsecks, das die Geographie der Grande Nation nachzeichnet) die formalen Attribute einer einprägsamen Signatur. Derartige Eigenschaften sind im zeitgenössischen Museumsbau spätestens seit Guggenheim in Bilbao fast schon ein Muss. Häuser mit diesen Eigenschaften sind gewissermaßen auf Fernwirkung hin berechnet, um das Publikum schon von weitem anzulocken. Aber natürlich verspricht die neue Dependance des Pariser Centre Pompidou, des Flaggschiffs der französischen Kunst der Moderne und Gegenwart, auch inhaltlich eine ganze Menge. Man will an den einstigen Aufbruch des Mutterhauses anknüpfen, an dessen Gründungsjahr nicht nur der 77 Meter hohe Signalmastin Metz erinnert. Wir sprachen mit dem Direktor Laurent Le Bon über das Haus und seine Ziele.
 
Das Centre Pompidou in Paris war zu seiner Eröffnung 1977 mit seiner zur Schau gestellten industriellen Technizität eine bewusst provokante Erneuerung von Paris wie der kulturellen Szene Frankreichs. Stellt sich das neue Centre Pompidou in diese Tradition?

Das Pariser Centre Pompidou war in der Tat eine Revolution. Es verkörperte den Geist der Erneuerung. Diesen Geist wollen wir hier in Metz wiederbeleben: Er wird sichtbar durch eine Architektur, die mit einer zum ersten Mal in Europa umgesetzten Zeltdachkonstruktion innovativ und markant wirkt; die zum anderen mit ihren zur Stadt hin orientierten Galerien unseren Wunsch nach Öffnung des Hauses gegenüber der Stadt und der Bevölkerung signalisiert, und natürlich auch durch ein inhaltliches Programm, das parallel zu den einzelnen Ausstellungen – wir planen im Jahr vier bis sechs Ausstellungen – eine Vielzahl an begleitenden Live-Performances, an Filmen, Vorträgen, Tanz- und Musikveranstaltungen anbieten wird.
 
Für viele Besucher scheint zunächst die Architektur des Hauses der spektakuläre Anziehungspunkt zu sein.

Die Architektur signalisiert Modernität und Öffnung. Aber der Bau feiert sich nicht selbst, er ist durchaus auch funktional. Im Gegensatz zu manchen anderen neuen Häusern, zum Beispiel dem neuen Museum für Gegenwartskunst in Rom MAXXI von Zaha Hadid (Bauwelt 3.10), das mir völlig unge­eignet zur Präsentation von Kunst erscheint, kann man in unseren, eher zurückhaltenden Galerien sehr gut Kunst präsentieren. In der Eröffnungsausstellung zeigen wir die Arbeiten sogar in vier unterschiedlichen Szenografien. Ansonsten ist die Architektur wie im Mutterhaus auch bei uns in­haltli­ches Thema. Zu unserer Ausstellung „Meisterwerke?“ gehört auch in der Galerie zwei eine durch Modelle visualisierte Geschichte der Museumsarchitektur in Frankreich seit den 1930er Jahren. 
 
Das neue Centre Pompidou ist allerdings nicht wie in Paris ein Museum, sondern ein reines Ausstellungshaus. Fehlt ihm dadurch nicht die Identität?

Auch in diesem Punkt setzen wir genau genommen die bisherige Tradition in Paris fort. Auch dort hat das Centre Pompidou seine Sammlungen nicht unverändert präsentiert, sondern seit seinen Anfängen 1977 permanent gewechselt – ein Prinzip, das Schule gemacht hat und zum Beispiel auch von der Tate Modern in London übernommen wurde. Wir machen auch hier nichts anderes. Unser Vorteil ist natürlich, dass wir die gesamten Bestände des Mutterhauses nutzen können; sagen wir fast die gesamten Bestände; etwa 100 Werke können aufgrund ihrer Fragilität nicht reisen. Wir sind dennoch völlig autonom in unserer Planung und keine bloße Extension der Fläche von Paris. Wir übernehmen auch nicht einfach Ausstellungen aus Paris.
 
Sie waren beim Centre Pompidou in Paris verantwortlich für die historische Sammlung und haben viele Ausstellungen kuratiert, u.a. „Versailles off“, wo Sie Gegenwartskunst in Versailles zeigten. Wie sieht Ihr inhaltliches Programm in Metz aus?

Thematische Aspekte werden im Vordergrund stehen, nicht zu sehr historische, auch deshalb, weil für solche Ausstellungen weitere Leihgaben leichter zu bekommen sind. Insgesamt geht es uns – dies zeigt schon die Eröffnungsausstellung paradigmatisch – um eine Bestandsaufnahme und Reflexion der Kunst der Moderne, wobei wir aber grundsätzlich auch beachten müssen, dass das Publikum in Metz ein anderes sein wird als in Paris.
 
Metz liegt am Knotenpunkt alteuropäischer Reisewege. Luxemburg, Trier, Straßburg, Saarbrücken, Basel liegen in gut erreichbarer Entfernung. Unter dem Boden des Centre befinden sich die Reste eines römischen Theaters. Im frühen Mittelalter war die Stadt die Hauptstadt des fränkischen Ostreichs. Tradition wie die zentrale europäische Lage sprechen durchaus für ein neues kulturelles Zentrum von Rang. Von Paris aus gesehen ist Metz jedoch nach wie vor eine un- geliebte Randlage. Was zieht das Centre Pompidou also nach Metz?

Das Centre Pompidou-Metz setzt die seit nunmehr etwa 25 Jahren verfolgte Linie der Dezentralisierung in der französischen Kulturpolitik fort, die u.a. in der Renovierung alter Häuser und dem Bau neuer Häuser in der Provinz besteht. Derzeit entstehen zum Beispiel auch in Lyon, Marseille und in Lens (mit einer neuen Dependance des Louvre) wichtige neue Häuser – mit allerdings jeweils unterschiedlichen Fi­nanzierungen und Trägerschaften. Hier in Metz erfolgt die Finanzierung zu zwei Drittel durch regionale Körperschaften; in Marseille wird das dortige Museum MUCEM ausschließlich durch Paris finanziert. Diesen Prozess und das dahinterstehende Prinzip der Öffnung der Kunst setzen wir hier in Metz noch konsequenter um. Wir beabsichtigen vor allem, unsere Ausstellungen weiter zu streuen und Teile davon auch an kleineren Orten in Lothringen und in den Nachbarregio­nen bis nach Saarbrücken und Luxemburg zu zeigen. Insgesamt soll es an zehn dezentralen Institutionen Ausstellungen des Centre Pompidou geben.
 
Sie wollen viele kleine Centre Pompidous entwickeln?

Es wird kein weiteres Centre Pompidou in einer anderen Stadt Frankreichs geben. Aber wir wollen mit dieser Ausbreitung in der Fläche vor allem neue Publikumskreise für die Kunst gewinnen. Unsere Vorstellung in Metz ist die eines transportablen, eines nomadischen Museums, eines Museum also, das flexibel ist. Das Centre Pompidou in Paris ist mit einem großen Schiff verglichen worden; ich vergleiche unser Haus gerne mit einem Schnellboot, aber sicher – dies ist vor allem auch ein Experiment.

Kommentar

Damit das erste und einzige Centre Pompidou außerhalb von Paris als solches wahrgenommen wird, bedarf es einer einzigartigen Gestalt. Dies ist mit Blick auf das Haus in der Hauptstadt naheliegend. So entschied man sich beim Wettbewerb vor sieben Jahren für die experimentell wirkende Arbeit von Shigeru Ban und Jean de Gastines, die damals noch den Londo­ner Philip Gumuchdjian als Partner mit im Boot hatten (Bauwelt 48.03, 39.04 und 30.05). Die Entscheidung für ein zweites Centre Pompidou als „autonomen Ableger“ ist aufs Engste mit der Person Jean-Jacques Aillagon verknüpft, dem Leiter des Centre Pompidou Paris von 1996 bis 2002 und späteren Kultur­minister Frankreichs. Er hat Metz für das Projekt ausgewählt.
Ebenfalls naheliegend ist, dass ein solches kulturelles Großprojekt an einem Ort in der Stadt platziert wird, in dem man sich einen entscheidenden Impuls für die Fortentwicklung erhofft. Jede größere französische Stadt hat heute ihr Neubaugebiet mit kulturellen und sportlichen Einrichtungen, von denen man sich erhofft, dass sie Investoren mit neuen Bauprojekten anziehen. Metz ist hier verwöhnt, es hat mit der Pariser Dependence einen „Leuchtturm“ von internationaler Ausstrahlung zum Geschenk bekommen. Das zu entwickelnde Neubaugebiet hat fünfzig Hektar aufzuweisen und liegt hinter dem voluminösen Bahnhof aus der deutschen Kaiserzeit. Auf dem Areal befanden sich einst der Güterbahnhof, das Messegelände, in der Antike sogar ein gallorömisches Amphitheater mit 25.000 Plätzen. So bekam das neue Entwicklungsgebiet den schönen Namen „L’Amphithéâtre“. Der Stadtplaner Nicolas Michelin und der Landschaftsplaner Paso Doble haben schon alles entworfen. Zu sehen ist allerdings nichts außer planiertem Boden. In der Ferne befestigen zwei Bagger eine Böschung.
 
Der „Leuchtturm von Metz“ ist 77 Meter hoch. An ihm hängt ein Zelt. Tritt man näher heran, stellt man fest, dass es sich hier um zwei deutlich voneinander getrennte Baueinheiten handelt, die sich aber durchdringen. Der erste Teil setzt sich zusammen aus dem Mast und dem Zelt mit dem einzigartigen Holzgeflecht als Unterkonstruktion, das mit „verdrehten“ Rund­stützen am Boden aufsitzt (Bauwelt 11.10). Die große Eleganz und Feierlichkeit erlangt diese Haube, wenn sie bei Dunkelheit von innen leuchtet. Erst dann schimmert die Konstruktion durch das weiße, in Japan produzierte Zeltdach aus Glasfasern mit Teflonbeschichtung hindurch und das Centre Pompidou stellt dann in der Stadtsilhouette endgültig den Stephansdom von Metz in den Schatten. Der zweite Teil des Neubaus entwickelt sich von innen: „Übereinandergestapelte“, in den Obergeschossen längliche Galerie-Raumkörper, die das eigentliche Museum mit 5000 Quadratmeter Fläche darstellen. Für sich gesehen ist dies eine eigenständige Architektur, der ein Phantasiedach eigener Art als Dekor übergestülpt wurde. Durch dieses Konzept ergeben sich gewaltige Leerräume. Der größte Raum ist das Forum mit dem Masten, der als Aufzugsturm genutzt wird. Auch oben, beim Blick aus den einzelnen Ausstellungsblöcken in das Forum hinein, sind freie Flächen zu sehen, die sich nicht zuordnen lassen; dies sind Restflächen. Zudem erklären sich die Aufsichten der verdreht zueinander gestapelten und weiß gestrichenen Balken nicht. Ein Betreten ist nicht möglich. Schaut man von den wenigen internen Terrassen aufs Dach, ist man erstaunt über die breite offene Fuge zwischen der Brettschichtholzkonstruktion und der Stahlglasfassade des Forums.
 
Die Ausstellung zur Eröffnung heißt „Meisterwerke?“ Es handelt sich um eine Auswahl bedeutender Werke der modernen Kunst, die in den verschiedenen Galerien nach Themen geordnet sind. Im Vordergrund steht der Bedeutungswandel, den der Begriff des Meisterwerks in der Geschichte seit dem Mittelalter erfahren hat. Metz profitiert natürlich von Paris. Noch nie hat das Centre Pompidou eine solch große Anzahl an Leihgaben vergeben. Nur 100 der insgesamt 800 Werke wurden wo­an­ders ausgeliehen. Schon im Herbst wird die Ausstellung nach und nach anderen temporären Ausstellungen weichen.
 
Es liegt auf der Hand, dass man sich in die siebziger Jahre zurückversetzt und sich das Centre Pompidou von Renzo Piano und Richard Rogers in Erinnerung ruft: Die erste Idee war die „Maschine“, eine Architektur, die aus Bauteilen zu einer Einheit zusammengesetzt ist und nur so funktioniert. Die Entschie­denheit und Prägnanz dieses Bauwerks ist noch heute präsent. Das Schöne an diesem Kunstzentrum im Herzen der Stadt ist, dass im Laufe der Jahre Transformationen, von denen die Architekten von Anfang an sprachen, tatsächlich stattgefunden haben. Zum Beispiel sind die Ausstellungsbereiche in den Obergeschossen nun abgeschlossener. Das Restaurant auf dem Dach wurde völlig umgestaltet. Die „Maschine“ bleibt eine nationale Kulturinstitution ersten Ranges und wird sich auch in Zukunft entsprechend neuer Anforderungen verändern.
 
Warum diese Zwänge in Metz? Warum ein Konzept, das zwar große Überraschungsmomente birgt, aber so wenig flexibel ist und viel Raum zum Luftraum deklariert? Mit diesem zweiten Centre Pompidou ist für 70 Millionen Euro ein weithin sichtbares Zeichen entstanden. Dies war entscheidend. Beim Rundgang durch die Galerien mit ihren Panoramafenstern kommt einem der Gedanke, dass die Umnutzung und Aufstockung alter Hallen, die sich gewiss auf dem Gelände befanden, auch diese Aufgabe erfüllt hätten.
Fakten
Architekten Ban, Shigeru, Tokio; de Gastines, Jean, Paris
aus Bauwelt 22.2010
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