Bauwelt

Walter A. Noebel, 1953–2012

Text: Kahlfeldt, Paul, Berlin

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Stefan Müller

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Stefan Müller


Walter A. Noebel, 1953–2012

Text: Kahlfeldt, Paul, Berlin

Die Fertigstellung seiner Rathausbrücke hat der Architekt nicht mehr erlebt. Ein langjähriger Freund und Weggefährte würdigt das Bauwerk und den Menschen.
Nach fast vierzehnjähriger Planungs- und Bauzeit wird im August die neue Rathausbrücke in Berlin dem Verkehr übergeben. Es ist ein Ort von besonderer Bedeutung. Historisch war die ehemals als Kurfürstenbrücke bezeichnete Spreequerung nach dem Mühlendamm der zweite Flussübergang und verband einst die Städte Cölln und Berlin. Heutet verbindet sie das Nicolaiviertel mit dem Schlossplatz. Ursprünglich war sie aus Holz gebaut, seit dem 18. Jahrhundert aus Stein, zunächst mit fünf Jochen, im 19. Jahrhundert auf drei und im 20. Jahrhundert auf zwei Joche reduziert. Jetzt überspannt ein eleganter Stahl-Verbundträgerrost, der nur an den Ufern aufgelagert ist, die rund 40 Meter Wasserraum. Die nahezu horizontale Gradlinigkeit des grünlich gestrichenen Stahlträgers thematisiert mit der skulpturalen Pfeilerüberhöhung der vier Lager das klassische Stützen-Balken-Motiv des Brückenbaus. Die konstruktive Selbstverständlichkeit findet eine präzise Klarheit, deren Einfachheit nicht in die Banalität rein technischer Zweckerfüllung mündet. Stützwand und Auflager sind aus exakt gesetztem Granit gebildet und verdeut­lichen die Lastaufnahme, die schräg gefasten Pfeiler dienen zugleich als Stützen blendfreier Fahrbahnleuchten, und vier nahezu symmetrische Treppenanlagen verbinden die unter der Brücke durchgeführten Uferwege mit dem städtischen Raum. Am Marstall endet der Gang auf einem gerundeten Belvedere, ein stiller Ort urbaner Romantik.

Walter Noebel, der Architekt dieser Brücke, publizierte kaum, schrieb über seine Arbeit sehr selten, stellte vorzugsweise ausgewählte Zitate aus theoretischen Traktaten zusammen. So erschließt sich sein architektonisches Denken nur indirekt, vergleichend – diese Vorgehensweise lässt interpretatorischen Spielraum, stellt seine Bauten aber auch in den von ihm gewollten überindividuellen Zusammenhang der Kohärenz. Und diese fand er vor allem in Italien. Seine Beziehung zu diesem Land ging weit über die bei Architekten übliche Liebe zu Arcadien hinaus. Er hatte kurz in Florenz studiert und sprach perfekt Italienisch, die Kochkunst war seine Herzensangelegenheit, aber das war nicht das Besondere. Es war die italienische Architektur als Synonym für eine von der humanistischen Vernunft bestimmte Baukunst, der er sich auf außer­gewöhnliche Art verbunden und verpflichtet fühlte. Eine Hal­tung, die heute eher selten geworden ist. In Mailand, Turin und Neapel waren seine Vorbilder beheimatet, nicht in Holland, der Schweiz oder wo sonst der Zeitgeist gerade unterwegs war.

Seine Zeit im Büro von Oswald Mathias Ungers und anschließend bei Vittorio Gregotti in Mailand dürften für Noebels Verständnis prägend gewesen sein. In seinem Denken und Handeln verband sich die sture, man kann auch sagen humorlose, deutsche Abstraktion auf Maß, Ordnung und Geometrie mit der spielerischen, südländischen Leichtigkeit unbekümmerter, vielleicht naiver Formverliebtheit. Die künstlerische Poesie des Feinsinnigen traf auf eine technisch zu­verlässige und ingenieurhaft durchdachte Aufgabenbewäl­tigung.

Die Belange des Ingenieurbaus finden auch bei der Rathausbrücke in Berlin ihre Beachtung, sind jedoch nicht das Thema. Das enge Korsett der Vorschriften und die standardisierten Regeldetails des Ingenieurbaues für anscheinend optimierte Lösungen dienen hier der Gestaltung einer angemessenen Gesamt­erscheinung. Zitat Noebel: „Baukunst muss nicht konstruktiv ehrlich sein, sondern einen Schein des ehrlich Konstruierten erzeugen. Ihr eigentlicher Stoff ist die Problematik von Wahrhaftigkeit und Wahrscheinlichkeit, von Konstruktion und Bild, von Wesen und Erscheinung.“

Als der Wettbewerb 1998 entschieden wurde, war eine zeitgenössische Lösung für diesen Ort umstritten, aber noch denkbar. In unmittelbarer Nachbarschaft zum Schloss würde heute eine stärker am historischen Vorbild orientierte Ausführung gewünscht. Während der Bauarbeiten wurde ernsthaft gefordert, hier wieder das Standbild des Kurfürsten zu platzieren. Ein Ansinnen, das Walter Noebel kategorisch ablehnte, da er in seinem klaren Rationalismus eine gestalterische Qualität und Schönheit sah, deren zeitlose Relevanz auch heute besteht. Seine Feinsinnigkeit im Umgang mit dieser Haltung konnte er an vielen Bauten in Berlin unter Beweis stellen. Die Brücke in Spandau war sein liebstes Werk, zeugte sie doch von einer von gegenseitiger Anerkennung und Respekt getragenen Zusammenarbeit mit den Ingenieuren. Eine Verpflichtung, die auch seine lange Tätigkeit als Hochschullehrer an der TU Dortmund prägte.

Walter Noebel ist nach kurzer Krankheit am 2. Juli in Berlin verstorben. Kurz vor seinem Tod kam er noch zu einer Veranstaltung in die Bauakademie, anlässlich der Emeritierung von Fritz Neumeyer. Er blieb nur sehr kurz, er verabschiedete sich von seinen Kollegen und Freunden – stilvoll. Der Verlust ist in vieler Hinsicht schmerzlich. Es fehlen auch die regelmäßigen Dienstagabende im „Golfo“ in Dortmund. Mit stoischer Ruhe versuchte Walter Noebel jede Woche den Kellner davon zu überzeugen, wie man wirklich Risotto zubereitet und eine richtige Spaghetti Carbonara anrührt. Trotz regelmäßiger Kritik, auch an der sich nie ändernden Speisekarte, und permanenter Residenz im „Römischen Kaiser“, einer Location die er von seinem Vorgänger Jürgen Sawade übernahm und deren Frühstücksbuffet er verabscheute, blieb er diesen Institutionen treu. Welchen Grund sollte es auch geben, etwas Bewährtes in Frage zu stellen? Wegen marginaler Defizite ein Experiment mit ungewissem Ausgang eingehen? Gewiss, immer an einer Verbesserung arbeiten, aber das grundsätzlich Richtige nicht einfach nur gegen etwas Neues, Anderes eintauschen. Diese Haltung galt für seine Arbeit, seine Kleidung, das Essen, sein Leben und war durchgängig schlüssig. Die Rathausbrücke wird ihn uns in Erinnerung halten.  

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