Bauwelt

Was wird aus Halle-Neustadt?

Das Zentrum von Halle-Neustadt wirkt verwahrlost. Viel Geld hat die Stadt in die Sicherung der leer stehenden Hochhäuser an der Neustädter Passage stecken müssen. Während die einen den Abriss fordern, reden die anderen von Denkmalschutz. Was meinen Sie?

Text: Kil, Wolfgang, Berlin;

Bild 1 von 10
  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Die bis 1970 erarbeitete Konzeption für das Zentrum von Halle-Neustadt

    Abb. aus: Karlheinz Schlesier, Halle-Neustadt. Plan und Bau der Chemiearbeiterstadt, Berlin 1972

    • Social Media Items Social Media Items
    Die bis 1970 erarbeitete Konzeption für das Zentrum von Halle-Neustadt

    Abb. aus: Karlheinz Schlesier, Halle-Neustadt. Plan und Bau der Chemiearbeiterstadt, Berlin 1972

Was wird aus Halle-Neustadt?

Das Zentrum von Halle-Neustadt wirkt verwahrlost. Viel Geld hat die Stadt in die Sicherung der leer stehenden Hochhäuser an der Neustädter Passage stecken müssen. Während die einen den Abriss fordern, reden die anderen von Denkmalschutz. Was meinen Sie?

Text: Kil, Wolfgang, Berlin;

An der Balustrade ein älteres Ehepaar. Er fotografiert das weite Panorama hinüber zu Altstadt, sie zetert: „So ein wunderbarer Ausblick! Nur die Hochhäuser sind Mist.“ Auf meine Stichelei, wir stünden doch selber auf einem, wird sie konkreter: „Ich hab nichts gegen Hochhäuser. Nur so, als verkommene Ruinen, versauen sie alles drumherum.“ Die Szene spielt in Halle-Neustadt, auf der Dachterrasse von Scheibe D. Die heißt jetzt „BüroHaus West“, ist als einziges der fünf Hochhäuser saniert und immer noch in Nutzung. Ganz oben, im 18. Geschoss, gibt es ein Café. Solch phänomenale Aussicht! Bis ins Mansfelder Land! Doch nach 18 Jahren ist es mit dem Insidertip nun auch vorbei. Den Betreibern wurde gekündigt, im November werden sie schließen. Was dann kommen soll, danach haben sie den Eigentümer nicht gefragt.
Soll denn niemals Schluss sein mit den Hiobsbotschaften? Als ob die Leute hier nicht schon genug mitgemacht haben: Zuerst 1990 die „Ursünde“, der freiwillige Verzicht auf das Stadtrecht, wodurch die einst zukunftsstolze Arbeiterwohnstadt zum wenig geliebten Anhängsel einer altehrwürdigen Universitätsstadt wurde. Dann der Einwohnerschwund! Für eine faktische Halbierung der Bevölkerung in solchem Tempo gab es nirgends Erfahrungen, gar Rezepte. Anfangs floss Geld – ein Hotel wurde gebaut, als gigantische Arche Noah strandete mitten im Zentrum eine Einkaufsmall. Sogar neue Wohnhäuser traute man dem Aufschwung Ost zu. Bis die Abrissbagger kamen. Gegen deren unheimliches Wirken sorgten Künstler für ein Wechselbad der Gefühle: In der kurzfristig wiederbelebten Scheibe A, beim Spektakel „Hotel Neustadt“, ließen sich ungeahnte Träume wilder Urbanität austoben. Das verzweifelte Ringen, aus dem toten Bahnhof eine avantgardistische Kunsthalle zu machen, endete als Niederlage. Im Rahmen der IBA Stadtumbau 2010 spendierte die Stadtverwaltung den dahindümpelnden Passagen etwas Stadtgrün und einen Skatepark. Darüber spannt sich Europas größtes „Zu verkaufen!“-Banner, wettergebleicht.
Aber dem neugierigen Besucher begegnet Halle-Neustadt auch überraschend – bunt und polyglott. Die Jugendszene hier ist schrill, offensiver als anderswo mischt sie mit ihren Outfits das Straßenbild auf. Die Marktbuden am Hotel werden von Indern, Vietnamesen, Afrikanern betrieben. Überhaupt scheinen Migranten überdurchschnittlich vertreten, Russisch ist viel zu hören. Sollte eine derartige Ballung „exotischer“ Milieus wirklich nur Ausdruck prekärer Soziallagen sein? Ließe sich der bunte Bewohnermix nicht auch als Potenzial betrachten? Alt-Halle bietet sicher Behaglichkeit, aber das krassere, von Globalisierung und deren Konflikten gezeichnete Leben findet sich zweifellos in der Neustadt. Eine Herausforderung, die Stadtentwickler nicht verschrecken sollte. Vielleicht eher zu Experimenten anstacheln?
Das Schicksal des Zentrums von Neustadt ist ungewiss, doch der Zahn der Zeit wird irgendwann Entscheidungen erzwingen: Viel Geld hat die Stadt schon in die Sicherung der verwahrlosten Hochhäuser stecken müssen, deren Besitzer jede Kooperation verweigern. Doch sobald jemand von Abriss redet, kommen vom Neustadt-Volk Proteste. Eine reichlich verfahrene Kiste, weshalb wir eine kleine Umfrage unter Kollegen gestartet haben.
Drei Dinge wollten wir wissen:
1. Würden Sie der Neustädter Passage Denkmalschutz gönnen?
2. Warum hat das aufwändige Zentrumskonzept den Systemwandel so schlecht überstanden?
3. Was spricht gegen einen radikalen Neustart, eine Freigabe der Passage für völlig neue urbane Nutzungsideen?


6 Kommentare


Benjamin Förster-Baldenius, Raumlabor Berlin, hat 2002 einen Schrumpfungsplan für Halle-Neustadt erstellt und 2003 das Theater-Kunstprojekt „Hotel Neustadt“ organisiert

Halle-Neustadt darf kein Museum werden. Chemiekombinate tragen diese Stadt nicht mehr, deshalb müssen jetzt neue Ideen und Konzepte her. Die Hochhausscheiben mit der Einkaufspassage sollten aber erhalten bleiben. Vielleicht lassen sich ja zeitgemäße Überformungen finden, in denen die Ursprungsidee sichtbar bleibt. Wohnen wie Gewerbe sehen heute anders aus. Aber umbauen kann man ja alles. Stadtplanung braucht keine Idealbilder, sondern sinnvoll gestaltete Prozesse und gute, intelligente, freundliche Menschen – in der Stadtverwaltung, unter den Eigentümern wie unter den Nutzern. Ich fürchte allerdings, rentabel werden sich die Scheiben kaum renovieren lassen – zumindest solange nicht, wie in der Saale kein Gold gefunden wird!


Antje Osterwold, Architektin, Osterwold°Schmidt Architekten Weimar, bis September 2014 Vorsitzende des Planungs- und Gestaltungsbeirats der Stadt Halle

„Ostmoderne“ war nach der Wende (und ist großteils bis heute) tabu. Probleme wie Einwohnerschwund, zunehmende soziale Entmischung usw. trugen nicht unbedingt zur positiven Bewertung bei. Trotzdem wäre es wichtig, das Zentrum dieser Planstadt komplett zu erhalten! Dahinter steht mehr als eine Reißbrettidee, das ist ein realisiertes Beispiel rigoroser Nachkriegsmoderne. Hier kann man sich an realen Objekten mit damaligem Fortschrittsdenken und technologischem Anspruch auseinandersetzen. Vielleicht auch die Unterschiede zu zeitgleichen Versorgungszentren im Westen analysieren: Dort die starke Ausrichtung auf Kommerz, hier betonte Egalität – das gleichförmige Lebensmodell der „Arbeiterfamilie“. Aber geht es nicht auch um den „Heimatfaktor“ für die Generation, die einst überglücklich ihre Wohnungen in Neustadt bezogen hat, und deren Kinder, die dort aufgewachsen sind?


x

In Stuttgart und um Stuttgart herum schießen neue Shopping Malls wie Pilze aus dem Boden. Wenn sie eröffnen, ist das Entsetzen groß. Zu hässlich, zu groß, rufen dann auch die Politiker, die das ...

Betrifft 22.10.2014

Keiner will’s gewesen sein

In Stuttgart und um Stuttgart herum schießen neue Shopping Malls wie Pilze aus dem Boden. Wenn sie eröffnen, ist das Entsetzen groß. Zu hässlich, zu groß, rufen dann auch die Politiker, die das ... mehr

Ende September fand in Bologna die weltgrößte Fliesenmesse Cersaie statt. Die Hersteller warteten bei den Oberflächen wieder mit allerlei optischer Raffinesse auf

Betrifft 22.10.2014

„Naturstein“, „Olivenholz“ und Keith Haring

Ende September fand in Bologna die weltgrößte Fliesenmesse Cersaie statt. Die Hersteller warteten bei den Oberflächen wieder mit allerlei optischer Raffinesse auf mehr

10.2025

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.