Bauwelt

Europan 14 testet die Produktive Stadt

Die gemischte Stadt wird Fata Morgana bleiben, wenn sich das in Jahrzehnten eingeübte Bild eines störungsfreien Stadtlebens nicht zur Produktion hin öffnet – so die kontroverse These des letzten Bauwelt-Kongresses. Auch der neue Europan-Wettbewerb stürzt sich jetzt in diese Auseinandersetzung um ein neues Stadtverständnis – und riskiert Streit.

Text: Geipel, Kaye, Berlin

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Immer noch Vorbild für vi­brierende Nutzungsmischung – das am Ij in Amsterdam gelegene ehe­­ma­-
lige Werftgelände NDSM.
Foto: Aerophotostock.com/Marco van Middelkoop

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Immer noch Vorbild für vi­brierende Nutzungsmischung – das am Ij in Amsterdam gelegene ehe­­ma­-
lige Werftgelände NDSM.

Foto: Aerophotostock.com/Marco van Middelkoop


Europan 14 testet die Produktive Stadt

Die gemischte Stadt wird Fata Morgana bleiben, wenn sich das in Jahrzehnten eingeübte Bild eines störungsfreien Stadtlebens nicht zur Produktion hin öffnet – so die kontroverse These des letzten Bauwelt-Kongresses. Auch der neue Europan-Wettbewerb stürzt sich jetzt in diese Auseinandersetzung um ein neues Stadtverständnis – und riskiert Streit.

Text: Geipel, Kaye, Berlin

Der Wettbewerb, am 13. Februar gleichzeitig in 14 Ländern und 45 Städten gestartet – von Alta in Norwegen bis Platja de Palma auf Mallorca, von La Bazana an der portugiesischen Grenze bis Warschau im Osten – macht unter dem Stichwort „Produktive Stadt“ jetzt die Probe aufs Exempel: Können die Konflikte zwischen Produktion und Wohnen im Zuge der neuen digitalen Arbeitsformen ein Stück weit überwunden werden, um daraus neue Konzepte für die Stadt zu entwickeln? Wo sich Stadt verändert, werden eingeübte Rechte gestört. Das engere Nebeneinander von Arbeiten und Wohnen ruft tiefliegende Ängste wach, die vor allem dort, wo nachverdichtet wird, die Bewohner häufig überfordern – der Ruf nach juris­tischer Klärung der Eigentumsrechte ist die Folge. Auf der anderen Seite sieht sich die lokale Wirtschaft in ihren Entwicklungschancen gestört und beklagt in der scharfen Konkurrenz um den knappen Boden – die Wohnungsentwickler zahlen mehr – ein Abwürgen ihrer Zukunft. Pattsitua­tionen sind die Folge.
Wenn der Debatte über die Vorbehalte vieler Bewohner gegenüber neuen Formen von Mischung nicht mehr Platz eingeräumt wird, bleibt es bei der eingespielten Funktionstrennung. Auf der italienischen Website des Europan-Wettbewerbs hat man das Dilemma in eine listige Frage verpackt: „Ma qual è il mix di queste città miste? – Wie sieht der Mix der Mischung denn in Wirklichkeit aus, von dem wir ständig reden?“ Der Europan-Wett­bewerb macht es jetzt konkret und wirft Pilotprojekte in den Ring, bei deren Umsetzung politischer Streit unvermeidbar sein und die vor Ort ausgeknobelte Kompromissfindung den entscheidenden Lernprozess ausmachen wird. Stress wird es auf vielen Ebenen geben: Jedes Life-Style-Magazin hat heute den Charme von städtisch produzierten Lebensmitteln, von lokalen Energieversorgern, selbstgemachtem Bier und der lokalen Schreinerei um die Ecke entdeckt, die schnell mal für die eigene Wohnung ein Hochbett baut – aber wie sieht es mit den notwendigen Flächen aus, dort wo heute überall neue Wohnungen gebaut werden? Da und dort ein großzügig zur Verfügung gestelltes Erdgeschoss reicht nicht aus. Und umgekehrt gefragt: Wer will denn in das Gewerbegebiet am Rande der Stadt ziehen, wenn da nicht zusätzliche städtische Qualitäten umgesetzt werden, die über den Trumpf „Billiger Wohnen“ hinausgehen? Die Planung in Deutschland hat sich in dieser Sicht einiges vorgenommen. Das über Jahrzehnte nahezu unveränderte Baurecht soll künftig um den Gebietstyp des „Urbanen Gebiets“ ergänzt werden (Heft 35.2016). Aber die ursprünglich im Gesetz vorgesehene Verpflichtung, das Nebeneinander von Gewerbe und Wohnen nicht nur zu erlauben, sondern „kleinteilig zu mischen“ – es würde die Planer verpflichten, über den Ausgleich der beteiligten Interessen nachzudenken und neue Typologien zu erfinden – , wurde fast unbemerkt aus dem Referentenentwurf wieder herausgestrichen.
Beim deutschen Europan-Wettberb sind diesmal fünf Städte dabei. In Aschaffenburg geht es um eine Bebauung der 70er Jahre entlang einer Erschließungsstraße, die durch einen Entlastungsring die Möglichkeit bekommt, Wohnen und Gewerbe zu mischen. In Hamburg-Wilhelmsburg macht die IBA weitere Schritte in Richtung auf die „Metrozone“. Unter dem Stichwort „Wohnen und Arbeiten zwischen den Kanälen“ geht es um neue Raumprogramme und hybride Typologien auf der Basis eines städtebaulichen Mischgebiets, das mit herkömmlichen Antworten nicht zu bewälti­-gen ist. In Neu-Ulm sind es die Flächen und Bauten einer ehemaligen Grund- und Fachhochschule auf einem früheren Kasernenareal der Amerikaner, auf denen die städtische Wohnungsbaugesellschaft NUWOG nicht nur Wohnbau errichten möchte, sondern gleichzeitig für ein Scharnier zwischen verschiedenen Stadtgebieten sorgen soll. In Taufkirchen und Neuperlach bei München hat die städtische Wohnbaugesellschaft GEWOFAG gleich vier Parkplatzstandorte in Großwohnsiedlungen herausgepickt, für die beispielhafte Vorschläge gesucht werden, wie auf „Distanzflächen“ Wohnbauten mit zusätzlichen Gewerberäumen entstehen. Und im sächsischen Zwickau geht es um eine undurchdringliche Stadtwand von 5- und 11-geschossigen Wohnbauten entlang der östlichen Innenstadt, die im Erdgeschoss mit neuen Funktionen porös gemacht werden soll, so dass Übergang zur angrenzenden Erholungslandschaft möglich wird.
Auch die Krise hinterlässt bei Europan Spuren: Portugal ist nicht mehr dabei. Zwei englische Standorte wollten zwar gerne mitmachen, bekamen aber die Finanzierung nicht gestemmt. Gelder aus Brüssel gibt es für keinen Standort. Mehr Erfolg hatten die Niederlande, wo ein neues Team aus jungen Architekten inzwischen den Wettbewerb organisiert – dort präsentiert sich Amsterdam mit gleich fünf Standorten. Und Italien ist nach längerer Pause mit dem piemontesischen Cuneo wieder mit dabei. Das Geflecht solcher Kooperationen wie Europan ist fragil, es besteht im Wesentlichen aus einem Bund gemeinnütziger Vereine. Aber es war vielleicht nie so notwendig wie heute. Die Krise des europäischen Projekts hängt ja unter anderem auch damit zusammen, dass in Brüssel entschieden wird, und die Länder respektive die Kommunen dann die Folgekosten bei der Umsetzung zu tragen haben. Bei Europan verläuft der Verantwortungspfeil genau umgekehrt. Ein dringliches städtebauliches Thema mit europaweiter Bedeutung wird in den Ring geworfen, eine Struktur für den Austausch wird bereit gestellt. Die Städte und Kommunen entscheiden selbst, ob die besondere, sehr wissenbasierte Form dieses Ideen-Wettbewerbs für sie hilfreich ist, um sich – auch durch die Auseinandersetzung mit vergleichbaren Konzepten – entscheidende Anregungen zu holen. So gesehen ist der Europan-Wettbewerb ein Instrument gegen die aktuelle Krise, das die Architekten und Stadtplaner selbst in der Hand haben.
Informationen zu den deutschen Europan-Stand­-orten unter:
www.europan.de
Link zu den Standorten in den Nachbarländern:
www.europan-europe.eu

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