Bauwelt

Architektur im Rückwärtsgang

Sollten Architekten lernen, ein Gebäude auseinanderzunehmen? Das belgische Büro Rotor, bekannt für die Demontage von Gebäuden und die Wiederverwendung ihrer Bauteile, hat im letzten Jahr dazu ein Entwurfsstudio an der TU Delft unterrichtet. Untersucht wurde, wie zeitgenössische Bauten in ihre Einzelteile zerlegt werden können, um aus ihnen Neues zu entwerfen. Lionel Devlieger, Mitglied von Rotor, ordnet das „Wiederverwenden“ in seinem Essay in einen architekturtheoretischen Kontext ein.

Text: Devlieger, Lionel, Gent

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    Büroräume sind ein großes Anwendungsfeld von Rotor, denn mit den meisten Mieterwechseln erfolgt die Anpassung der Büro­flächen auf die unter­nehmens­ei­ge­ne Ausstattung – ganz unabhän­gig von deren Alter.
    Foto: Rotor

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    Büroräume sind ein großes Anwendungsfeld von Rotor, denn mit den meisten Mieterwechseln erfolgt die Anpassung der Büro­flächen auf die unter­nehmens­ei­ge­ne Ausstattung – ganz unabhän­gig von deren Alter.

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    Den Ausbau übernimmt Rotor häufig selbst. Die Entscheidung, was erhaltenswert ist, bedarf vorab eines genauen Abweges: Es gilt unnötige Kosten für lange Lagerungen zu vermeiden und im besten Fall, bereits zu wissen, wo die Ausbauten eingebaut werden können.
    Fotos: Rotor

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    Den Ausbau übernimmt Rotor häufig selbst. Die Entscheidung, was erhaltenswert ist, bedarf vorab eines genauen Abweges: Es gilt unnötige Kosten für lange Lagerungen zu vermeiden und im besten Fall, bereits zu wissen, wo die Ausbauten eingebaut werden können.

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    Die Zwischendecke aus einem Bankgebäude kaufte das Brüsseler Studio plusofficearchitects und verbauten diese in einem goldfarbenen Bibliotheksneubau in der Gemeinde Sint-Pieters-Woluwe.
    Foto: Rotor, Filip Dujardin

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    Die Zwischendecke aus einem Bankgebäude kaufte das Brüsseler Studio plusofficearchitects und verbauten diese in einem goldfarbenen Bibliotheksneubau in der Gemeinde Sint-Pieters-Woluwe.

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    Aus Teilen des Innenausbaus der größten belgischen Bank entwarfen Rotor für ein anderes Projekt neue Büromöbel.
    Foto: Rotor

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    Aus Teilen des Innenausbaus der größten belgischen Bank entwarfen Rotor für ein anderes Projekt neue Büromöbel.

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    Die Keramikfliesen der belgischen Firma Cerabel, die Rotor aus einem von Joseph Moutschen entworfenen Universitätsgebäude in Lüttich rettete, wurde von Doorzon Interieurarchitecten in einem Lebensmittel­laden zu einem neuen Boden verlegt.
    Foto: Rotor

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    Die Keramikfliesen der belgischen Firma Cerabel, die Rotor aus einem von Joseph Moutschen entworfenen Universitätsgebäude in Lüttich rettete, wurde von Doorzon Interieurarchitecten in einem Lebensmittel­laden zu einem neuen Boden verlegt.

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    Foto: Rotor, Moor&Moor

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Architektur im Rückwärtsgang

Sollten Architekten lernen, ein Gebäude auseinanderzunehmen? Das belgische Büro Rotor, bekannt für die Demontage von Gebäuden und die Wiederverwendung ihrer Bauteile, hat im letzten Jahr dazu ein Entwurfsstudio an der TU Delft unterrichtet. Untersucht wurde, wie zeitgenössische Bauten in ihre Einzelteile zerlegt werden können, um aus ihnen Neues zu entwerfen. Lionel Devlieger, Mitglied von Rotor, ordnet das „Wiederverwenden“ in seinem Essay in einen architekturtheoretischen Kontext ein.

Text: Devlieger, Lionel, Gent

Die Wiederverwendung von Elementen bestehender Gebäude wird in den kommenden Jahren immer mehr an Bedeutung gewinnen. Die Bauindustrie verbraucht Rohstoffe in beträchtlichen Mengen und produziert eine enorme Abfallmenge. Einige Länder bemühen sich, dieses Ausmaß zu verringern, indem sie eine Kreislaufwirtschaft fördern, die die Verwendung von recycelten oder wiederverwerteten Materialien gegenüber aus Rohstoffen gewonnenen Materialien begünstigt. Es ist jedoch nicht einfach, ein bereits verwendetes Bauteil in eine neue Konstruktion zu integrieren. Über die Wiederverwendung von Bauelementen vor Ort, im Rahmen einer Restaurierung oder Renovierung, gibt es umfangreiche Literatur. Die Frage, wie man gebrauchte Bauteile an anderen Standorten einsetzen kann, ist theoretisch bisher kaum untersucht.
Unbeantwortet sind etwa folgende Fragen: Handelt es sich um einen „eigenen“ Entwurf, wenn wir Bauteile aus verschiedenen Gebäuden zu einem Neuen zusammensetzen? Oder sind sie Teil einer kollektiven Arbeit, die sich über die Jahrhunderte erstreckt? Andere Fragen betreffen den Umgang mit den gewonnenen Bauma­terialien: Sollen wir das Alter der Materialien bekannt geben, die wir wiederverwenden? Die Patina erhalten oder beseitigen? Wie können wir Gebäudefragmente verwenden, so dass ihre Assemblage Sinn macht?
Von Spolien zum Recycling
Der Rückbau von Gebäuden, mit einer Weiterverwendung seiner Bestandteile, ist nichts Neues. Die Geschichte der Architektur ist voll von Beispielen über Recycling und Wiederverwendungen. Archäologen haben gezeigt, dass selbst die Megalithen des Stonehenge hunderte Jahre vor deren Aufbau geschlagen und zuvor bereits näher am ursprünglichen Steinbruch verwendet wurden.
Im Laufe der Jahrhunderte haben sich zwei Formen der Wiederverwendung herausgebildet: einerseits die sichtbare Verwendung, andererseits eine unauffällige, eher verborgene. Für die Wiederverwendung prägten Archäologen zunächst den lateinischen Begriff „spolia“ (dt.: Spolien). Dieser Begriff wird vor allem mit dem spätrömischen Reich und der byzantinischen Tradition in Verbindung gebracht. Ein klassisches Beispiel ist der Konstantinsbogen, ein dreitoriger Triumphbogen in Rom. Dieses Denkmal für den ersten christlichen Kaiser ist ein Flickwerk, das zu großen Teilen Fragmente früherer Triumphbögen enthält, die Konstantins Vorgängern gewidmet waren. Der Konstantinsbogen und die auf gleiche Weise errichteten Bauten zeugen von siegreichen Feindseligkeiten oder zumindest Überlegenheit gegenüber denjenigen, deren Häuser dafür geplündert wurden. Für den Bau der ersten christlichen Kirchen in Rom wiederum wurden Säulen, Kapitelle, Architraven und andere Elemente, die aus heidnischen Tempeln stammen, verwendet und dienten so dazu, auch die Zerstörung heidnischer Heiligtümer zu feiern.
Eine andere Art der Wiederverwertung ist der Umgang mit Antiquitäten. Das Sammeln von Antiquitäten begann im siebzehnten Jahrhundert und wurde im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert populär. Auf den ersten Blick scheint hier der Respekt vor dem „Original“ im Vordergrund zu stehen. Andererseits kann nicht übersehen werden, dass Antiquitäten nicht selten von einem Kontinent zum anderen transportiert werden. Die Antiquität kann als eine Form der Erhaltung angesehen werden, aber sie ist auch eine Demonstration des Reichtums und der Macht. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts florierte zwischen Europa und den USA der Markt mit Architekturausstellungen, dazu gehörten Interieurs verschiedener Zeitperioden. Die Architektin Julia Morgan entwarf mit solchen Stücken, die der Pressemagnat William Randolph Hearst erwarb, das Hearst Castle in Kalifornien, ein seltenes Beispiel für die „Cut-and-Paste“-Architektur, das zu einer Inkunabel der Architekturgeschichte wurde.
Neben solch einer in Szene gesetzten Wiederverwendung von Fragmenten zeugen viele Beispiele von einem pragmatischeren Umgang mit alten Materialien. Die Römer recycelten ihre Trümmer vor Ort zu Beton. Als der Transport noch viel Zeit und Energie für Mensch und Tier in Anspruch nahm, war alles willkommen, was sich in Reichweite befand. Verlassene Gebäude wurden als Steinbrüche für Baustoffe oder Or­namente genutzt. Steinblöcke wurden wieder auf Maß gemeißelt, Ziegel gereinigt und wieder­verlegt, Holz gesägt, Stahl und Bronze geschmolzen und neu gegossen.
Downcycling und Wiederverwendung
Die Wiederverwendung erfolgt heute in der Regel vor Ort. Bekannte Formen sind die Restauration, die Sanierung oder der Umbau. Bauteile an einem neuen Ort wiederzuverwenden, ist in der Regel mit Schutt verbunden. Belgien hat seit der Zerstörung seiner Städte im Ersten Weltkrieg in der Verwaltung von Abbruchmaterial im industriellen Maßstab sehr viel Know-how entwickelt: Das Land gehört bei der Wiederaufbereitung von Bau- und Abbruchabfällen mit einer Recyclingquote von 80 bis 90 Prozent zu den Vorreitern im europäischen Vergleich. Obwohl das Recycling von Metallen in der Regel ökonomisch und ökologisch relevant ist, bestehen die meisten Abbruchprodukte aus groben Verbundmaterialien. Um recycelt zu werden, müssen Beton, Ziegel, Steine, Fliesen, Pflastersteine usw. mechanisch zerkleinert werden, bevor sie als Füllmaterial für Infrastrukturprojekte verwendet werden können. In den letzten Jahren ist dieses Verfahren infolge des Rückgangs im Straßenbau zum Erliegen gekommen; das Angebot hat die Nachfrage übertroffen und der Wert dieser Zuschläge ist eingebrochen. Während der Design-Triennale „Reciprocity“ im Jahr 2015 in Lüttich haben wir in unserer Ausstellung „Deconstruction“ diesen ineffizienten Schutt der großflächigen Zerstörung von Geld- und Gebrauchswert gegenübergestellt.
Jenseits solchen Formen von Recycling – die de facto einem Downcycling gleichkommen – bestehen die Möglichkeiten der Wiederverwendung ex situ, die Wiederverwertung von Gebäudeteilen an anderer Stelle, ohne diese vorher zu schreddern. Vier Praktiken lassen sich hier unterscheiden.
Es gibt einen stark ökologisch geprägten Ansatz, Abbruchabfälle in Gebäuderessourcen mit Do-it-Yourself-Strategien zu verwandeln. Dieser Ansatz bezieht sich auf eine Bewegung, die Mitte der 1960er Jahre mit dem Bau von Drop City in Colorado begann und bis heute aktuell bleibt, wenn beispielsweise Studenten, Aktivisten oder junge Designer Pavillons, kleine Häuser oder Stände aus kaputten Paletten bauen. Die Verwendung von ungehobelten Holzbohlen gehört heute außerdem zu den Trends der Innenar­chitektur, mit denen Restaurants und Ladengeschäfte gestaltet werden.
Ein zweiter Ansatz verwendet gebrauchte Materialien vornehmlich aus wirtschaftlichen Gründen. Der Austausch von Ressourcen mit begrenztem Marktwert hat in den letzten Jahrzehnten durch das Internet und Online-Marktplätze wie „Le Bon Coin“ in Frankreich und „Kapaza“ in Belgien einen Aufschwung erfahren. Materialien zirkulieren auf diese Weise in großen Mengen, auch wenn ihr Marktwert schwer zu bestimmen ist.
Dann gibt es diejenigen, die gebrauchte Materialien schätzen, weil deren Oberflächen die Spuren des Gebrauchs von Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten tragen. Patina, sichtbar auf Naturstein, Holz, Bronze usw. ist begehrt, weil hier das hohe Alter als Wert begriffen wird.
Die vierte Praktik befasst sich mit der Wiederverwendung standardisierter Komponenten wie Steinplatten, Ziegel, Bordsteine usw., die dank ihrer Modularität leicht zu reinigen und wiederzuverwenden sind. Pflastersteine aus Naturstein sind seit Jahrzehnten das am häufigsten wiederverwendete Produkt in unserer Region. In der Ziegelindustrie werden handgeformte alte Modelle seit langem geschätzt – zu hohen Preisen. Der Markt für Industrieziegel, die aus Mauerwerk aus den 1940er und 50er Jahren gewonnen wurden, floriert ebenfalls. Dabei ist es keine einfache Sache, die Mörtelreste von diesen Steinen zu entfernen; eine Arbeit, die von Hand erledigt werden muss.
Umbau vor Ort
Rotor strebt im Gegensatz zu diesen vier Praktiken eine neue Form der Wiederverwendung an. Wir haben unsere Rückbauaktivitäten auf moderne Bürogebäude konzentriert. Büroräume sind in der Regel mit verglasten Trennwänden, abgehängten Decken, Einbauleuchten, Doppelböden, Teppichfliesen usw. ausgestattet. Das sind fast immer modulare Elemente, die meist wenig wiegen, einfach zu zerlegen sind und ohne viel Aufwand angepasst werden können. Trotz dieser Möglichkeiten werden sie bei jeder Renovierung üblicherweise entfernt und zerstört. Dies geschieht routinemäßig bei einem Mieterwechsel, typischerweise alle zehn Jahre, manchmal bereits schon nach drei Jahren.
Wir verbringen einen Teil unserer Zeit mit der Suche nach qualitativ hochwertigen Gebäuden, die gerade renoviert oder abgerissen werden, um dann mit den Eigentümern und den für die Arbeiten verantwortlichen Unternehmen in Kontakt zu treten. Um Transport- und Lagerkosten zu sparen und einen zu hohen Lagerbestand zu vermeiden, sind wir stets bemüht vor Beginn der Demontage Käufer für die Ausbauten zu finden. Bei Bedarf helfen wir beim Ausbau vor Ort als auch beim späteren Wiedereinbau. Beispielsweise bei der Renovierung der Universitätsbibliothek Gent von Henry van de Velde, einem zwanziggeschossigen Turm von 1936. Als das denkmalgeschützte Gebäude im Jahr 2015 grundsaniert wurde, erreichte uns die Anfrage, ob wir uns für die lackierten Bücherregale aus Stahl interessieren würden, die man sonst auf den Schrott gebracht hätte. Bei der Besichtigung stellten wir fest, dass ein Teil der Regale noch original war. Eine lokale Firma hatte sie damals produziert, unter der Lizenz der amerikanischen Firma Snead, die auch die Regale für die Bibliothek des Kongresses lieferte. Wir rieten dem Auftraggeber, eine Ausschreibung für die Demontage, Reinigung, Verpackung und Lagerung dieser Regale zu organisieren, damit sie nach der Fertigstellung wieder eingebaut werden können. Dadurch konnte die Universität nicht nur ihr Erbe bewahren und die Umweltbelastung begrenzen, sondern auch Geld sparen.
Weiterverkauf
Unsere bisher größte Rettungsaktion in der Sorge um das baukulturelle Erbe betraf den Hauptsitz von BNP Paribas Fortis in Brüssel, früher „Générale de Banque“, der größten Bank Belgiens. Das Gebäude aus dem Jahr 1971 ist ein bemerkenswertes Beispiel für brutalistische Architektur, aber nicht sonderlich beliebt. Seine Innenräume jedoch, die fast ausschließlich vom belgischen Innenarchitekten und Möbel-Designer Jules Wabbes gestaltet wurden, sind von der Öffentlichkeit und den Kritikern stets hoch gelobt worden. Sie standen aber nicht unter Denkmalschutz. Docomomo Belgien (das belgische Komitee für die Dokumentation und Konservierung von Gebäuden der Moderne) lud Rotor ein, sich Gedanken um die Erhaltung dieser Werte zu machen. 230 Tonnen Material haben wir dann aus dem Gebäude geholt: Granitboden- und Wandbeläge, Holzarbeiten, polierte Stahltüren, abgehängte Metalldecken, Akustikverkleidungen, exotische Holztreppen, usw. In unserem Lager haben wir alles gründlich gereinigt, restauriert, fotografiert und dokumentiert. Anschließend ging einiges zu einem Brüsseler Auktionshaus, das sich auf Kunst und Design aus Belgien spezialisiert hat, anderes verkauften wir direkt, wie die Zwischendecke der Schalterhalle, die dann in einen Bibliotheksneubau eingebaut wurde.
Neue Einbauten
Viele Materialien aus der Bank verbauten wir selbst. In der Stadt Namur wurde ein alter Schlacht­hof, ein Gebäude der Moderne, das Ende der 1930er Jahren entstand, nach längerem Leerstand zu einem Kulturzentrum umgebaut. Um die Fassade aus gelben Ziegeln zu erhalten, isolierte der Architekt das Gebäude von innen mit einer dicken Schicht aus Steinwolle und Gipskartonplatten. Unsere Aufgaben bestand darin, den nüchternen Innenräumen wieder eine „Seele“ zu geben. Dafür haben wir fast ausschließlich gebrauchte Materialien verwendet. Die Bar entstand aus den ehemaligen Cafeteria-Einbauten der Bank, die Ende der 70er Jahre von dem Designer Christophe Gevers entworfen wurde. Da die räumliche Situation anders war, haben wir die 6 Meter lange Theke zu einem Tisch halbiert und die Cappuccino-Bar in Edelstahl und Tropenholz neugestaltet. Für den Holztisch und die Lederbank, die ursprünglich einen Betonsockel hatten, entwarfen wir neue Gestelle.
Identifizierung von Quellen
Diese zeitgenössischen Beispiele rufen einem Spolien-Fälle aus der Architekturgeschichte in Erinnerung. Ein italienisches Beispiel aus dem Mittelalter sind die Kosmatenmosaiken aus Marmor, in die Scheiben antiker Porphyr-Säulen eingebettet sind. In der damaligen Zeit kannte man den Ursprung dieser Steinscheiben und war sich der kaiserlichen Konnotationen des Porphyrs sehr bewusst.
Wie wählt man die passenden Komponenten aus, die in einem neuen Projekt wiederverwendet werden können? Die Kosten des Ausbaus sind ein entscheidender Faktor, ebenso der Zustand des betreffenden Baustoffs, seine Festigkeit, Haltbarkeit und schließlich die Leichtigkeit, mit der dieser in einen neuen Zustand integriert werden kann sowie sein funktionaler und symbolischer Wert. Wenn wir durch ein Gebäude gehen, ist es unser Aufgabe, diese Parameter zu berücksichtigen, um zu entscheiden, was wir erhalten und was wir in die Hände der Abbrucharbeiter geben. Ein schlechtes Urteilsvermögen kann teuer werden. Unsere Einschätzung des Wertes hängt natürlich vom Markt ab, aber dieser kann beeinflusst werden. Wo es noch keine Nachfrage gibt, kann sie ausgelöst, wo das Angebot fehlt, kann es gefördert werden.
Kürzlich hat Rotor einen Leitfaden für Behörden entwickelt, die Abbrucharbeiten in Belgien in Auftrag geben. Es handelt sich um ein Dokument, das all die rechtlichen Fragen klärt und den Beamten helfen soll, sich mit der Idee des Verkaufs von Abrissmaterial weiter vertraut zu machen. Wenn erst einmal die Verwalter von öffentlichen Gebäuden, denen ein Abriss oder Umbau bevorsteht, seinen Vermögenswert erkennen und verstehen, dass es für die Wiederverwertung auch einen rechtlichen Rahmen gibt, dann sind wir zuversichtlich, dass in den kommenden Jahrzehnten weitaus mehr architektonische Bauteile in den Gebrauchtmarkt zurückgeführt werden können.
Erbe in Fragmenten
Der Architekturhistoriker Joseph Alchermes analysierte 1994 in einem Aufsatz eine Reihe von Rechtsdokumenten, insbesondere das Kapitel „De operibus publicis“ aus dem Codex Theodosianus, eine Gesetzessammlung aus der Spätantike, die sich mit der Wiederverwendung von Materialien zum Ende des Römischen Reichs befasst. Schon damals waren große öffentliche Gebäude weitgehend vor der Zerstörung geschützt. Ihr Abbruch war nur bei irreparablen Schäden und unter der Bedingung erlaubt, dass möglichst viele Bauteile sorgfältig demontiert und später wiederverwendet werden. Diese architektonischen Elemente, Säulen, Kapitelle, Architraven wurden von den Behörden als eine Art „mobiles Erbe“ betrachtet. Die Konservierungspflicht erstreckte sich über die Lebensdauer des Gebäudes hinaus. Diese Beobachtung wirft ein ganz neues Licht auf die Integration alter Tempelfragmente in frühchristlichen Schöpfungen. Die Wiederverwendung war ein Garant für historische Kontinuität. An anderer Stelle zeigt Alchermes, dass der Begriff „spolia“ im dritten und vierten Jahrhundert nicht verwendet wurde und erst mehr als ein Jahrtausend später bei Giorgio Vasari auftaucht.
Regeln der Neuzusammensetzung
Wie können die extrahierten Elemente so gut wie möglich in Neues integriert werden? Diese Frage stellen wir uns ständig. Wir spüren, dass es Regeln der architektonischen Eignung oder Zweckmäßigkeit geben muss, die im Zusammenhang mit der Wiederverwendung eingehalten werden sollten, ohne dass wir diese benennen könnten. Es ist eine Sache, eine Holzfurnierplatte mit einer Melamin-Heizkörperabdeckung zu verbinden, aber können wir die Bedeutung des Zusammenspiels kontrollieren, die diese Komponenten vermitteln? Passt das postmoderne Beleuchtungssystem gut zu der Glastrennwand mit Kastanienprofilen? Solche ästhetischen Wechselwirkungen können funktionieren, aber auch nur mittelmäßige Ergebnisse hervorbringen. Parallel zu unserer Tätigkeit als Architekten arbeiten wir seit einigen Jahren als Ausstellungskuratoren.
Um unsere Arbeit zu erklären, verwenden wir gerne die Casting-Metapher: Die Auswahl der Teile einer guten Ausstellung und der Elemente eines soliden Architekturprojekts sind wie die Auswahl der Schauspieler, die in einem Film besetzt werden. Jedes Element muss eine eigene Rolle spielen, um den Faden der Erzählung voranzubringen. Die Integration von wiederverwendeten Elementen ähnelt dabei dem Einsatz eines erfahrenen Schauspielers, der diese Art von Rolle bereits an anderer Stelle gemeistert hat. Das besagt aber auch: Nichts ist völlig vorhersehbar und es kann viele Versuche brauchen, bevor man eine akzeptable Auswahl zusammengestellt hat. Wir bauen immer 1:1-Mockups und Prototypen, bevor wir eine wichtige Entwurfsentscheidung treffen.
Der Konstantinsbogen (312–315) in Rom besitzt unter all seinen Teilen ein Basrelief aus Marmor, das ursprünglich für das Hadrianstor (76-138) in Athen angefertigt wurde und das die Jagd und das Töten eines Ebers darstellt. In der „neuen“ Konfiguration auf dem Konstantinsbogen wird das gleiche Fragment Teil eines neuen Erzählzyklus, der diesmal Konstantins Verdienste lobt. Im Rückblick wird eine doppelte Lektüre möglich: Man kann Konstantin sehen, nicht Hadrian, der seinen Speer in den Rücken des Ebers versenkt und man kann dies als Übereinstimmung mit der ikonographischen Agenda der Herrscherzeit Konstantins deuten. Man kann aber auch in den geschnitzten Zügen Hadrian erkennen und in dem ganzen Ensemble den Hinweis erblicken, dass Konstantin durch dieses Detail seinem Vorgänger Tribut zollt. Architektur- und Kunsthistoriker wie Mark Wilson Jones und Jas Elsner sind zu dem Schluss gekommen, dass es gerade diese Bedeutungszusammenführung ist, die den Konstantinbogen zu einem großen kollektiven Werk gemacht hat, das eine wechselvolle Geschichte erzählt.
Übersetzung aus dem Englischen: Kirsten Klingbeil
Lionel Devlieger dankt Francesca Torrello und Kai Gutschow (Carnegie Mellon University), Leiter der Society of Architectural Historians Annual International Conference 2016 zum Thema „Intersections: Dialogues of Architecture and History“, bei der er die erste Version dieses Textes präsentierte, und Valéry Didelon und Françoise Fromonot für ihre Anmerkungen der ersten Version, die in Criticat 18 (Frühjahr 2016) erschienen ist.

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