Bauwelt

Wohnhaus Schmuck



Text: Brensing, Christian, Berlin


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    Foto: Christoph Kranenburg

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Im Frankfurter Westend ergab sich die Möglichkeit, ein geräumiges Einfamilienhaus zu implantieren. Die Architekten Meixner Schlüter Wendt verwandelten einen unscheinbaren Bestandsbau in eine Stadtoase, die ihre Umgebung reflektiert.
Das Frankfurter Westend steht spätestens seit Martin Mosebachs literarischen Exkursionen für das Scheitern der modernen Architektur. In Romanen wie „Westend“ attestiert der Büchner-Preisträger von 2007 der modernen Architektur ein dezidiertes Unvermögen, auf den Ort, dessen Historie und das städtebauliche Umfeld eine adäquate wie zeitgemäße Antwort zu finden. Umso erstaunlicher und zugleich faszinierender ist es, wenn in jüngster Zeit Architekten das Frankfurter Westend als Terrain architektonischer Möglichkeiten neu entdecken. Das Frankfurter Westend als Experimentierstube – und einmal nicht als Sündenbabel – deutscher Architektur? Undenkbar für die einen, aber Realität für die anderen.
Der Wunsch einer sechsköpfigen Familie, ihren Wohnsitz in das Frankfurter Westend zu verlegen, gehört heutzutage zu den Besonderheiten eines wiedererwachenden urbanen Lebensgefühls. Hinter diesem Ansinnen schien auch das Verlangen zu stecken, gewisse verloren geglaubte bürgerliche Werte und Lebensformen neu zu definieren, zu manifestieren und zudem wieder klar architektonisch zum Ausdruck zu bringen. Wie aber und in welcher Form sollte solch ein Vorhaben gestaltet und baulich umgesetzt werden? Schon alleine die Wahl des Standorts rief eine Vielzahl von Fragen und Optionen hervor. Denn es handelt sich bei dem Bauplatz keineswegs um ein „Filetgrundstück“ erster Wahl, sondern um eine prekäre Lage im Inneren einer Blockrandstruktur. Mit anderen Worten, viele Charakteristika, die Bauherren von Einfamilienhäusern zur Grundvoraussetzung ihres Wohnverständnisses machen, zum Beispiel unverbauter Blick, möglichst großes Grundstück mit entsprechend großem Garten, gebührender Abstand zu den Nachbarn etc., treffen auf die Ausgangsbedingungen des Wohnhauses Schmuck nicht zu. Die Bezeichnung „Villa“ wäre hier vollkommen fehl am Platz.
Nicht noch mehr Garagen
Das 650 Quadratmeter große Grundstück war mit einem mehrfach überformten eingeschossigen Wohnhaus bebaut. Alle umliegenden Bauten waren größer und höher. Es gab Baumbestand im geringen Umfang, und das Schicksal der innerstädtischen Brache wäre nur noch das weiterer Garagen und PKW-Stellplätze gewesen. Allein die zentrale Lage im Westend mochte ein Indiz für die Wertigkeit eines künftigen Bauvorhabens abgeben. Doch hatten der in Frankfurt ansässige Bauherr und die Architekten Meixner Schlüter Wendt eine Idee, wie sie mit den Widrigkeiten des Ortes umgehen könnten, um Potenzial für ein Wohnhaus freizusetzen. Dafür musste eine grundlegende Transformation des Ortes in Gang gebracht werden. In einer für die Architekten inzwischen typischen Analyse des Bestands (siehe: Rückbau Dornbuschkirche, Bauwelt 26.2005, und Leseraum im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt/Main, Bauwelt 14.2009) modellierten, schälten und definierten sie aus einer fiktiven Grundkubatur, die Teile des Altbaus mit einschloss und das gesamte Grundstück bedeckte, eine eigenständige Form und Funktion. Ein wesentlicher Parameter waren auch die vielfältigen Vorgaben hinsichtlich der Abstandsflächen.
Das Spiel von Masse und Volumen – inklusive negativer Volumen – in einem quasi-skulpturalen Bezug ist ein zutiefst eigenes Thema der Architekten. Viele ihrer Projekte basieren auf einer grundlegenden Infragestellung und Durchdringung von Ort und Aufgabe. Dabei wird die Fülle der maximalen Baumasse systematisch ausgehöhlt und reduziert, bis eine klare plastische Struktur herausgearbeitet ist. Ganz im Sinne der Kubisten legen Meixner Schlüter Wendt in diesem Prozess tektonische „Urlinien“ und „Urformen“ frei. Dem Wesen des Raums, und gleichzeitig des Wohnens, spürt man auf diese Art und Weise methodisch nach. Zu keiner Zeit entstehen daraus die typologischen Erkennungszeichen z.B. eines klassischen Einfamilienhauses. Wie schon bei dem Haus F. in Kronberg (Bauwelt 9.2008) ist eher das Gegenteil der Fall. Immer handelt es sich aber um Variationen eines Urtyps, der entsprechend verwandelt wird. Im Falle des Wohnhauses Schmuck eröffnet der Vorgang der formalen Substraktion bestimmte Ein- und Ausblicke, Sichtachsen und Raumteilungen auf dem durch die umgebende Bebauung stark eingezwängten Grundstück. Das Stadthaus als eine zum Tageslicht hin ausgerichtete Großform, quasi wie ein Objektiv wirkend: jedes Fenster ein Blickwinkel, jede Öffnung eine Blickachse. Das Eigenheim als Abdruck seiner bebauten Umgebung.
Abdruck, Landschaft, Ordnung
Dabei nutzen die Architekten den Baugrund fast hundertprozentig aus und setzen die Außenmauern direkt an die Grundstücksgrenzen. Selbst der Garten erfährt als „Landschaft“ eine Modellierung: Er tritt als Senke auf und ist in seiner plastischen Struktur von allen Seiten durch bauliche Maßnahmen gefasst. Bühnenartige Treppen führen von zwei Seiten hinab auf den Rasen. Die Brückenloggia ist die Verbindungsachse, sozusagen eine Spange, die mit raumgreifender Geste Innen- und Außenraum wie auch Privates und Öffentliches miteinander verbindet. Sie öffnet sich genau in dem Maße, wie sie trennt.
Bei dieser Definition des Raums wandten die Architek­ten zwei gestalterische Kunstgriffe an: zum einen die farbliche Absetzung aller Rücksprünge durch strahlendes Weiß von der ansonsten alles bedeckenden hellgrünen Außenwandfarbe der Gartenräume und der umbragrauen Mantelfläche. Und zum anderen die Verwendung von flachen Winkeln in den Fensterlaibungen, aber auch an den Gebäudekanten. Selbst in der Böschung von der Terrasse zum Garten tritt dieser Winkel wieder auf. Damit wird die ansonsten strenge Orthogonalität des Baus geschickt relativiert. Das mehr oder weniger starke Abknicken der Flächen und Linien ist die eigentliche Überraschung, die den Sog von außen nach innen nur noch verstärkt. Im Inneren kann diese Spannung jedoch nicht aufrechterhalten werden. Nur im Eingangsbereich und im Treppenhaus blitzt etwas von den virtuosen Raummodulationen auf und leitet in den fließenden Wohn- und Essbereich über. Die restlichen Räume wirken ruhiger, was zum Teil mit der Einbeziehung des Bestands zusammenhängt, wobei das gesamte Erdgeschoss „nur“ umgebaut wurde.
So entstand ein Ort des intensiven Zusammenlebens der Familie in den buchstäblich eigenen vier Wänden. Die Theorie der architektonischen Komposition wird durch die gelebte Struktur der Familienbande vervollständigt. Wohnhaus Schmuck verkörpert eine durchgängige Abfolge von Wohn- und Funktionszonen, die nahtlos ineinander übergehen. Wo sonst ist man mit den Nachbarn dermaßen auf Tuchfühlung und zugleich den Hochhäusern Frankfurts so nah? Eine im Frankfurter Westend bisher unvermutete und einmalige Interpretation der Dialektik von Nähe und Ferne.



Fakten
Architekten Meixner Schlüter Wendt Architekten, Frankfurt am Main
Adresse Savignystraße 51, 60325 Frankfurt am Main


aus Bauwelt 4.2011
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