Helden nicht durch Heldinnen ersetzen
Veranstaltungen und das Thema „Frauen in der Architektur“ können als Sprungbrett zur Sensibilisierung verschiedener Diskriminierungsformen funktionieren.
Text: Bruun Yde, Marie, Berlin
Helden nicht durch Heldinnen ersetzen
Veranstaltungen und das Thema „Frauen in der Architektur“ können als Sprungbrett zur Sensibilisierung verschiedener Diskriminierungsformen funktionieren.
Text: Bruun Yde, Marie, Berlin
Denn Vielfalt ist mit Ungleichheit verbunden. Drei Beirätinnen des aktuellen Women in Architecture Festivals im Gespräch.
Obwohl Deutschland Fortschritte erzielt hat, bleibt Gleichstellung eine langfristige Aufgabe. Was müsste sich noch ändern?
Kathrin Wiermer Einiges! Wir haben nach wie vor viele strukturell bedingte Herausforderungen: Die wirtschaftliche Eigenständigkeit von Frauen, der Zugang zu politischen Ämtern und Führungspositionen oder insgesamt die Stellung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Das hängt mit Vereinbarkeitsfragen, der ungleichen Aufteilung unbezahlter Sorgearbeit sowie unzureichender politischer und gesellschaftlicher Teilhabe zusammen. Wichtig sind zudem die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen sowie der Abbau von Stereotypen in der frühkindlichen Bildung ebenso wie in der Studien- und Berufswahl.
Wo liegen wir im europäischen Vergleich?
Kathrin Wiermer Im Gleichstellungsindex des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen aus dem Jahr 2024 liegt Deutschland auf Rang zehn und damit knapp über dem EU-Durchschnitt. An der Spitze des europäischen Gleichstellungsrankings steht Schweden vor den Niederlanden und Dänemark. Gemäß der Agenda für nachhaltige Entwicklung sollen die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung aller Frauen und Mädchen bis 2030 umgesetzt werden. Gemessen am aktuellen Tempo wird es bis zur weltweiten Gleichstellung von Frauen allerdings noch 134 Jahre dauern.
Bleibt die Architektur besonders weit zurück?
Kathrin Wiermer Frauen und marginalisierte Gruppen sind in der Architektur nach wie vor unterrepräsentiert. Die Lebenswirklichkeiten von Frauen müssen in Planungsprozesse einfließen können. Für die Stadt- und Raumplanung stellt das auch der Vierte Gleichstellungsbericht der Bundesregierung fest: Perspektiven strukturell benachteiligter Menschen werden in Planungsverfahren systematisch vernachlässigt. Dies führt dazu, dass Frauen in öffentlichen Räumen weniger Platz einnehmen als Männer, obwohl öffentliche Räume bei der Sorgearbeit wichtig sind. Auch Sicherheitsbedarfe etwa von Frauen und LSBTIQ* werden in geschlechterblinden Planungsverfahren nicht ausreichend berücksichtigt. Darüber hinaus gehen Architektur- und Planungsbüros enorme Potenziale verloren. Wir wissen, dass Unternehmen mit diverseren Teams erfolgreicher sind.
Welche Rolle spielen Veranstaltungen in der Gleichstellungsarbeit?
Kathrin Wiermer Veranstaltungen eröffnen Räume, in denen Themen sichtbar gemacht werden können. Sie bieten die Möglichkeit, unterschiedliche Perspektiven zu präsentieren, ein Bewusstsein für den Wert von Gleichstellung für demokratische Gesellschaften zu schaffen und gesellschaftliche Veränderungen durch Forderungen oder Handlungsempfehlungen an die Politik anzustoßen. Außerdem stärken sie die Vernetzung untereinander.
Sie engagieren sich im Women in Architecture (WIA) Festival-Beirat für eine inklusive Festi-valkultur. Wie kann die Teilhabe aller ermöglicht werden?
Svava Riesto Eine zentrale Frage im WIA-Beirat war, inwiefern dieses Festival sich auf Frauen in der Architektur konzentriert oder auch intersektionale Perspektiven öffnen kann...
... Das bedeutet, anzuerkennen, dass sich verschiedene Diskriminierungsformen überschneiden und gegenseitig verstärken können.
Svava Riesto Aus meiner Sicht sollten wir die Bau- und Planungskultur ändern, sodass die Türen für viele aufgemacht werden und vielfältige Perspektiven zusammenkommen. Dazu gehören Themen wie Gender, sozialer und kultureller Hintergrund, körperliche Möglichkeitsräume – kurz: Fragen von Macht und Marginalisierung.
Kathrin Wiermer Es ist wichtig, intersektionale Ansätze zu verfolgen und marginalisierte Gruppen gleichberechtigt mit einzubeziehen. Ich wünsche mir, dass die zahlreichen Festival-Angebote möglichst barrierearm umgesetzt werden und sich vielfältige Besucher:innen – bezogen auf Geschlecht, Alter, Bildungshintergrund, Migrationserfahrung, Behinderung oder finanzielle Ressourcen – eingeladen fühlen. Ziel ist eine lebendige Festivalkultur, in der nicht übereinander, sondern miteinander gesprochen wird.
Elena Spatz Wir verstehen Feminismus ganzheitlich und wollen nicht einzelne Personen to-kenisieren...
... Also Menschen auf bestimmte Merkmale, wie ihr Geschlecht oder ihre vermeintliche Herkunft, reduzieren.
Elena Spatz Ich finde es problematisch, wenn die Personen, die Diskriminierung erfahren, zusätzlich Aufklärungsarbeit leisten müssen. Deswegen ist für uns Antiklassismus und Antiras-sismus ein natürlicher Teil des Feminismus.
Wie vermeiden wir, dass der Fokus auf Frauen in der Architektur sie weiterhin in eine Nischen- kategorie drängt?
Elena Spatz Für mich kann Feminismus ein guter Einstieg in kritisches Denken sein. Er kann helfen, eigene erlebte Ungerechtigkeit im größeren Kontext zu verstehen. Feminismus legt erstmal strukturelle Ungleichheiten offen. Von dort aus kann man die Verbindung zwischen Architektur, Macht und Geld verstehen. Ich bin aber der Meinung, dass es nicht reicht, nur über Frau-en zu sprechen, wenn es bedeutet, dass wir nur über weiße, mittelständische Frauen sprechen. Diese Exklusivität müssen wir überwinden. Wir sind alle in vielfältigen Machtbeziehungen posi-tioniert und deswegen sind Ungleichheiten auch immer ein Ausdruck von Herrschaftsstrukturen. Deutlich wird das zum Beispiel dadurch, wenn Migrantinnen auf prekäre Weise die Care-Arbeit von hochqualifizierten Frauen übernehmen, damit diese zur Arbeit gehen können.
Das WIA-Festival fand vor vier Jahren nur in Berlin statt, jetzt bundesweit. Hat sich das Thema Frau in der Architektur von einem Rand- zu einem Trendthema entwickelt?
Svava Riesto In der Forschung und in der Lehre ist viel passiert. Vor allem in den jüngeren Generationen gibt es großes Interesse an die Themen gendergerechte Stadt und Intersektionalität. Wichtig ist, dass wir das Thema Frau nicht als Nische behandeln, sondern nutzen, um traditionelle Hierarchien in der Baukultur in Frage zu stellen und zu ändern. Was betrachten wir als wertvoll, wer hat eine Stimme, wie sehen Lehrpläne aus?
Elena Spatz Wir sollten nicht dabei aufhören, es als emanzipatorischen Akt zu feiern, wenn wir mehr Frauen in Führungspositionen sehen. Sondern wir müssen anfangen, das System zu hinterfragen. Das sollte in sich radikal sein und nichtvon Firmen angeeignet werden, die mit Frauen- oder Diversitätskampagnen nur Pinkwashing betreiben oder Queersein zum Wirtschaftsfaktor machen. Feminismus funktioniert antikapitalistisch.
Svava Riesto Wir sollen Helden nicht mit Heldinnen ersetzen. Das würde nur das patriarchalische System weiterführen. Es geht um etwas anderes: Dass wir unsere Wertevorstellungen, unsere Kulturen ändern.
Elena Spatz Genau, eine der größten Gefahren ist es, solche Unterdrückungsmechanismen zu reproduzieren. Dieser Akt des Entpolitisierens von gelebten Erfahrungen sehen wir auch von Institutionen. Es ist wichtig, dass wir uns politisieren. Frausein ist höchstpolitisch.
Wie gelingt es, auch jene einzubeziehen, die bisher vom Gleichstellungsdiskurs kaum erreicht wurden?
Kathrin Wiermer Menschen, die bisher wenig mit Gleichstellungsthemen in Berührung gekommen sind, lassen sich am besten durch verständliche Kommunikation und niedrigschwel-
lige Angebote erreichen. Es ist wichtig, auf die Lebensrealitäten derjenigen einzugehen und den großen gesellschaftlichen Mehrwert von gelebter Geschlechtergerechtigkeit in den Mittelpunkt zu rücken, beispielsweise durch partizipative Formate oder lokale Veranstaltungen.
lige Angebote erreichen. Es ist wichtig, auf die Lebensrealitäten derjenigen einzugehen und den großen gesellschaftlichen Mehrwert von gelebter Geschlechtergerechtigkeit in den Mittelpunkt zu rücken, beispielsweise durch partizipative Formate oder lokale Veranstaltungen.
Was bedeutet Intersektionalität für die Architektur?
Svava Riesto Jenseits des männlich geprägten Starkults um Architekten entdecken wir andere Figuren, die vielleicht nicht neu bauen, sondern Stadtnatur, öffentliche Parks und sozialen Wohnungsbau pflegen und präservieren. Geschichten von Fürsorge werden relevanter, diese müssen wir erzählen. Ein Festival zu Frauen in der Architektur bietet die Möglichkeit, dies zu machen, aber auch Architektur als Zusammenarbeit zu präsentieren.
Elena Spatz Von Frauen in der Architektur über feministische Raumpraxis hin zur Kollektivität zu kommen, macht den Diskurs stark und wiederständig. Es ist wichtig, keinen Personenkult zu betreiben, sondern vielen unsichtbargemachten, „anderen“ Geschichten Raum zu geben – ohne „das Andere“ zu naturalisieren oder durch Othering erneut als Abweichung von der Norm zu markieren. In der Architektur heißt ein Umdenken: Wie schaffen wir flexible Räume für weitere Lebensformen als die Kleinfamilie, zirkuläre Materialkreisläufe oder Umverteilung von Flächen innerhalb der Stadt? Das sind feministische Themen, weil sie darauf basieren, dass Menschen Zugang zu etwas bekommen, was unerreichbar oder unbezahlbar geworden ist.
Verändert sich gerade etwas im Architektur- und Planungsdiskurs?
Elena Spatz In Seminaren zu Stadt und Gender oder antirassistischer Architekturpraxis häufen sich die Anmeldungen. Sowohl in der Universität als auch außerhalb wird die Auseinandersetzung mit Antidiskriminierung unausweichlich. Das Interesse, den Diskurs zu verstehen und mitzuprägen ist da. Das legt hoffentlich einen wichtigen Grundstein für ein Umdenken in unserer Planungskultur.
Kathrin Wiermer leitet den Bereich Presse, Kommunikation und Veranstaltungen der Bundesstiftung Gleichstellung.
Svava Riesto ist Professorin und Forschungsgruppenleiterin am Institut für Geowissenschaften und Naturressourcenmanagement im Bereich Landschaftsarchitektur, Planung und Gesellschaft an der Universität Kopenhagen.
Elena Spatz bildet zusammen mit Marie Gnesda und Lisa André den ersten studentisch gegründeten Lehrstuhl an der Technischen Universität München, Chair of Unlearning, der Diskriminierung in der Architekturlehre hinterfragt.
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